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       # taz.de -- EU-Gipfel in Brüssel: Mut dringend gesucht
       
       > Milliarden für Kyjiw, EU-Erweiterung, Migration. Ab Donnerstag sind die
       > EU-Staats- und Regierungschefs gut beschäftigt. Orbán hält am Doppel-Veto
       > fest.
       
   IMG Bild: Orbán, Sánchez, Selenski: Händeschütteln beim informellen EU-Treffen im Oktober in Granada
       
       Brüssel taz | Reichen zwei frische Hemden, oder brauchen Kanzler Olaf
       Scholz und seine europäischen Amtskollegen drei oder gar vier, um die
       nächsten Tage und Nächte durchzustehen? Diese heikle Frage stellt sich beim
       EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt. Die Beratungen über die
       Ukraine, das EU-Budget und Migration könnten bis zum Wochenende dauern – so
       kontrovers sind die Themen.
       
       „Pivotal“, also „zentral“ oder gar „lebenswichtig“ werde das Treffen der 27
       Staats- und Regierungschefs, schreibt EU-Ratspräsident Charles Michel in
       seiner Einladung. Jetzt gelte es, die Versprechen gegenüber der Ukraine
       einzulösen und den „Mut zu den richtigen Entscheidungen“ zu beweisen. Es
       klingt nach Blut, Schweiß und Tränen.
       
       Michel fordert, der Ukraine grünes Licht für den Start von
       EU-Beitrittsgesprächen zu geben. Dies sei ein „notwendiges Signal“, um
       Kyjiw „näher an unsere europäische Familie“ zu bringen. Außerdem sollen die
       EU-Chefs eine Finanzspritze in Höhe von 50 Milliarden Euro bewilligen – nur
       so lasse sich die Ukraine vor der Pleite bewahren.
       
       Beides sind pikante Forderungen in einem schwierigen internationalen
       Umfeld. Die EU soll etwas beschließen, das in den USA und der Nato nicht
       möglich war. [1][In Washington scheitern geplante Finanzhilfen für die
       Ukraine bisher am Widerstand der Republikaner]. Und beim Nato-Gipfel in
       Vilnius wurde [2][der Beitritts-Wunsch abgewiesen].
       
       ## Wegen Orbán könnte der Gipfel scheitern
       
       Die EU soll nun einspringen, fordert der ukrainische Präsident Wolodimir
       Selenski. Unterstützung erhält er aus Berlin: Obwohl im deutschen
       Staatshaushalt der Notstand ausgebrochen ist, soll es frisches Geld für
       Kyjiw geben, wie Scholz in seiner Regierungserklärung am Mittwoch in Berlin
       bekräftigte. Und obwohl Kyjiw noch nicht alle EU-Kriterien erfüllt, sollen
       die Beitrittsgespräche beginnen.
       
       Doch Selenski und Scholz haben die Rechnung ohne Viktor Orbán gemacht. Der
       rechtslastige Regierungschef aus Ungarn hat mit einem doppelten Veto
       gedroht – gegen die EU-Gespräche und gegen die geplante Finanzspritze. Er
       fordert eine Strategiedebatte über die Ukraine und die Freigabe von
       eingefrorenen EU-Mitteln für sein Land.
       
       Damit könnte Orbán den Gipfel zum Scheitern bringen – oder in die
       Verlängerung zwingen. Doch es geht nicht nur um den chronischen Neinsager
       aus Budapest. Gegen den Start von Beitrittsverhandlungen hat sich auch
       Österreich ausgesprochen. Die Regierung in Wien fordert, [3][auch
       Bosnien-Herzegowina das begehrte EU-Ticket] zu geben.
       
       Beim Geld stehen noch mehr Länder wie Italien oder Griechenland auf der
       Bremse. Sie sehen nicht ein, dass das EU-Budget für Kyjiw aufgestockt
       werden soll, nicht aber für die gemeinsame Migrationspolitik und andere
       Aufgaben. Insgesamt geht es um 66 Milliarden Euro, die die EU für Migration
       und andere Themen angefordert hat.
       
       ## Milliarden-Poker oder Erpressung der EU
       
       Und dann wären da noch die rund 30 Milliarden Euro, die die EU-Kommission
       wegen Rechtsstaats-Problemen in Ungarn auf Eis gelegt hat. Die Europäische
       Kommission hat am Mittwoch zehn Milliarden Euro davon für Ungarn
       freigegeben. Damit ließe sich Orbán, so die Hoffnung, vielleicht doch noch
       in letzter Minute umstimmen.
       
       Der Milliarden-Poker verfehlte zunächst jedoch seine Wirkung. Man brauche
       nicht nur zehn, sondern die ganzen 30 Milliarden Euro, hieß es in Budapest.
       Protest kam auch aus dem Europaparlament. Die EU dürfe sich nicht erpressen
       lassen, forderten die Abgeordneten. Wenn man Orbán den kleinen Finger
       reiche, wolle er die ganze Hand.
       
       „Orbán wird diesen Weg immer wieder einschlagen, wenn er jetzt Erfolg hat“,
       warnte die Vizepräsidentin des Parlaments, Katarina Barley (SPD). „Es ist
       fast zu einem Ritual geworden, dass Orbán mit seinem Veto droht und die
       EU-Kommission Gelder für Ungarn freigibt“, sagte der europapolitische
       Sprecher der Grünen, Rasmus Andresen.
       
       Die EU-Kommission wies den Vorwurf zurück. Man halte sich strikt an die
       Regeln, so der Sprecher von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
       Sobald Ungarn die geforderten Rechtsstaats-Reformen im Amtsblatt
       veröffentlicht habe, könne das Geld fließen.
       
       Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Denn von der Leyen war es auch, die
       den Start von Beitrittsgesprächen und die Aufstockung des EU-Budgets
       gefordert hat. Nun versucht sie, ihren Plan in letzter Minute zu retten.
       
       13 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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