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       # taz.de -- Krankenstand in Berlin: Attacke auf die Schleimhaut
       
       > Atemwegserkrankungen führen derzeit zu vielen Ausfällen – nicht nur bei
       > der BVG. Dabei spielt auch Corona wieder eine Rolle.
       
   IMG Bild: In der U-Bahn mutieren Nachbar*innen aktuell wieder zu potentiellen Virenträger*innen
       
       BERLIN taz | Gefühlt rückt das Virus, dessen Namen wir alle am liebsten
       schon längst vergessen hätten, einem ja gerade wieder sehr auf die Pelle –
       oder besser: die Schleimhäute. Die Arbeitskollegin aus dem Großraumbüro
       fällt aus, die Freundin sagt den Kinoabend ab. Und Sitznachbar*innen in
       U-Bahn und Bus schniefen und husten aus allen Richtungen. „Covid? Hatten
       wir gerade erst wieder“, heißt es im Bekanntenkreis. Aber waren wir dagegen
       nicht schon mal besser gewappnet?
       
       Kaum jemand trägt aktuell noch Masken, geschweige denn das Fläschchen
       Desinfektionsmittel in der Tasche. Und dass [1][die aktuell weit
       verbreiteten Coronavirus-Varianten Eris und Pirola] heißen (beides
       Unterformen von Omikron), gehört längst nicht mehr zum Allgemeinwissen.
       
       Zuverlässige Daten [2][für Berlin liefert das Abwassermonitoring]. Und
       [3][die Kurve dort bestätigt das Gefühl, dass es gerade wieder mit Covid]
       losgeht. Seit Anfang Dezember steigen die Zahlen, die Wasserbetriebe messen
       dort mRNA-Kopien pro Liter Abwasser, ein zuverlässiger Indikator,
       insbesondere jetzt, wo viele sich nicht mehr testen. Die vorherrschende
       Variante ist demnach weiterhin Omikron. Auch aus dem Berliner
       Corona-Lagebericht (Stand 12. Dezember) geht eine steil steigende Kurve
       bestätigter Virusnachweise hervor.
       
       Es ist aber nicht nur Covid, das uns momentan plagt. So nehmen in Berlin
       gerade generell Atemwegserkrankungen zu. Von deutlichen Anstiegen der
       gemeldeten Fälle von Grippe und RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus)
       berichtet das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) am Donnerstag
       in seinem Bericht zu Infektionen für die vergangene Woche. Erwartungsgemäß
       für die Jahreszeit habe sich der steigende Trend fortgesetzt, hieß es.
       
       ## Grippefälle verdreifacht
       
       Die Zahl der im Labor bestätigten Grippefälle in der Hauptstadt hat sich
       laut Lageso-Bericht im Vergleich zur vorherigen Woche mehr als
       verdreifacht, sie bewegt sich mit gut 120 aber immer noch auf einem relativ
       niedrigen Niveau. Nach Definition des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat die
       Grippewelle noch nicht begonnen. Bei RSV – diese Welle rollt laut RKI
       bereits – berichtet das Lageso von einer Beinahe-Verdopplung im
       Wochenvergleich, auf 65 Nachweise. Hauptsächlich Kinder bis zwei Jahre
       seien betroffen gewesen.
       
       Bei diesen Krankheiten werden sehr hohe Dunkelziffern angenommen, weil
       nicht jeder Betroffene einen Arzt aufsucht und auch nur bei einem kleinen
       Teil ein Labortest auf den Erreger gemacht wird. Die Dimension zeigt eine
       Schätzung des RKI: Bundesweit geht es für die vergangene Woche von 7,9
       Millionen akuten Atemwegserkrankungen aus. Aus Sicht von Fachleuten gibt es
       für das Thema mittlerweile auch eine erhöhte Aufmerksamkeit.
       
       Zu spüren bekommen die Atemwegserkrankungen viele. Bei [4][der BVG
       (Berliner Verkehrsbetriebe) fallen aktuell zahlreiche Busse und U-Bahnen
       aus]. Die Krankenstände seien aktuell gegenüber den für die Jahreszeit zu
       erwartenden Werten sehr deutlich erhöht, um rund 6 bis 8 Prozentpunkte,
       bestätigt die BVG. Momentan könne das Unternehmen nicht jede Fahrt
       anbieten, sagte Rolf Erfurt, Betriebsvorstand bei der BVG, am Mittwochabend
       in der RBB-„Abendschau“.
       
       „Für die Fahrgäste heißt das, dass sie zum Teil länger warten müssen und es
       zeitweise enger wird als sonst“, teilte die BVG mit. „Wir bedauern die
       aktuelle Situation und bitten unsere Fahrgäste um Verständnis. Diese können
       helfen, indem alle Rücksicht aufeinander nehmen und beispielsweise in den
       Fahrzeugen durchrücken.“ Der [5][Tagesspiegel hatte vorgerechnet], dass
       allein am Dienstag 108 U-Bahn-Fahrten ausgefallen waren. Die Zeitung bezog
       sich dazu auf interne Zahlen der BVG – die diese Zahl auf Nachfrage aber so
       nicht bestätigen mochte.
       
       ## Lange Wartezeiten und verschobene Termine
       
       Auch an der Uniklinik Charité fallen viele Kräfte aus: „Wir verzeichnen
       aktuell weiterhin steigende Krankenstände bei ärztlichem und pflegerischem
       Personal“, sagte ein Sprecher auf Anfrage der taz. Die Krankenversorgung
       sei dennoch sichergestellt, allerdings sei in einzelnen Bereichen mit
       Terminverschiebungen oder längeren Wartezeiten zu rechnen. „Dafür bitten
       wir um Verständnis“, sagte er. Außerdem bitte die Charité zurzeit alle
       Besucher*innen „dringend, in den Kliniken eine Maske zu tragen, um eine
       mögliche Verbreitung von Infektionen zu vermeiden“. Eine generelle
       Maskenpflicht auf dem Klinikgelände sei aktuell nicht geplant.
       
       Ähnlich sieht es bei Vivantes aus, die ebenfalls einen erhöhten
       Krankenstand verzeichnen – wohl ebenso getrieben von den
       „jahreszeittypischen Atemwegserkrankungen“ wie Erkältung, Grippe oder
       Covid-Infektion. Der Klinikbetrieb sei aber darüber hinaus nicht
       eingeschränkt. „Es gibt derzeit keine generelle Maskenpflicht oder
       Einschränkungen, lediglich anlassbezogen bei infektiösen, vulnerablen
       Patient*innen oder bei gehäuften Covid-Vorkommen auf
       Klinikstationen“, teilte eine Sprecherin mit. „Wir überprüfen laufend,
       mit welchen Maßnahmen Patient*innen, Besucher*innen und Angehörige
       bestmöglich geschützt werden können, und passen diese nötigenfalls an“,
       sagte sie.
       
       ## Wieder Maskenpflicht
       
       Das Sana-Klinikum Lichtenberg hingegen hat wegen eines starken Anstiegs der
       Coronafälle bereits eine Maskenpflicht eingeführt. „Die Maskenpflicht gilt
       im gesamten Krankenhaus für Patientinnen und Patienten, Besucher und alle
       Mitarbeitende“, teilte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur mit.
       Die Pflicht gilt seit dem Dezember. Patientinnen und Patienten müssen
       demnach einen Mund-Nase-Schutz außerhalb des Zimmers tragen.
       
       Auch in den Praxen wird es laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) deutlich
       voller, wegen Erkältungserkrankungen, grippalen Infekten, aber auch
       Erkrankungen, die auf eine Corona-Infektion zurückzuführen sind. „Mit
       zunehmend kälteren Temperaturen ist davon auszugehen, dass noch mehr
       Menschen erkranken und die Situation in den Praxen angespannt bleibt“,
       heißt es von der KV. Auch wenn das Tragen einer Maske nicht mehr
       verpflichtend sei, sei es „ratsam, dass Menschen, die Erkältungssymptome
       haben, Abstand halten und gegebenenfalls eine Maske tragen, um andere
       Menschen nicht anzustecken“. Auch bei Sorge vor einer Corona-Ansteckung
       können eine Maske helfen.
       
       Denn nach wie vor können [6][Corona-Infektionen auch Post Covid] nach sich
       ziehen, erklärt Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an
       der Charité. „Das trifft leider immer noch viele Patienten“, sagt sie.
       Weiterhin hätten sie im Charité Post Covid Netz lange Wartezeiten, vor
       allem für ME/CFS.
       
       „Viele, die wir jetzt sehen, sind erst 2023 und nach 3 Impfungen erkrankt“,
       sagt Scheibenbogen. Die Impfung reduziere das Risiko von Long Covid zwar um
       etwa 50 Prozent, „aber mit steigenden Zahlen wird jetzt auch die Zahl an
       Post Covid wieder zunehmen“. Post Covid könne man auch erst nach der 2.
       oder 3. Infektion bekommen. Ein guter Grund also, mal nachzugucken, ob
       nicht irgendwo zu Hause noch Masken lagern.
       
       15 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/infektionen/corona-virus/coronavirus-eris-und-pirola-2157600?tkcm=ab
   DIR [2] /Coronavirus-Monitoring/!5865241
   DIR [3] https://data.lageso.de/lageso/corona/corona.html#abwasser
   DIR [4] /Personalkrise-im-OePNV/!5973802
   DIR [5] https://www.tagesspiegel.de/berlin/hunderte-ausfalle-allein-am-dienstag-krise-bei-berlins-bussen-und-bahnen-spitzt-sich-zu-10922392.html
   DIR [6] /Langzeitfolgen-der-Pandemie/!5956714
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
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