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       # taz.de -- Änderung des Geschlechtseintrags: „Papierkram“ mit großer Bedeutung
       
       > Jurist_innen und Verbände wurden am Dienstag im Familienausschuss zum
       > Selbstbestimmungsgesetz angehört. Es stößt auf Vorbehalte und Zustimmung.
       
   IMG Bild: Bundesjustizminister Buschmann und Familienministerin Paus bei einer PK zum Selbstbestimmungsgesetz im August 2023
       
       Berlin taz | Die bundespolitische Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz
       [1][bleibt aufgeladen]. Am Dienstagmorgen wurden Jurist_innen, der
       Bundesverband Trans* und andere Expert_innen zum ersten Mal im
       Familienausschuss angehört. Die meisten Sachverständigen begrüßten das
       Vorhaben der Bundesregierung, sprachen sich jedoch mehrheitlich für einen
       Diskriminierungsabbau im aktuellen Gesetzesentwurf aus. Andere lehnten das
       Gesetz komplett ab.
       
       Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* (BVT*) sagte in seinem Statement:
       „Das Selbstbestimmungsgesetz ist [2][eine historische Chance], diese darf
       aber nicht verspielt werden. Es geht um demokratische Grundprinzipien wie
       den Minderheitenschutz, die Menschenwürde und das Recht auf die Entfaltung
       der Persönlichkeit.“ Hümpfner fordert im Namen des BVT* „ein
       Selbstbestimmungsgesetz, das seinen Namen wirklich verdient“.
       
       Die Europarechtlerin Anna Katharina Mangold kritisiert, dass das Gesetz
       nicht für alle gelte: „Dem Entwurf fehlt die Einsicht, dass das Recht auf
       geschlechtliche Selbstbestimmung ein Menschenrecht ist.“ So sei es nicht
       nachvollziehbar, dass es sich auf deutsche Staatsangehörige beschränke.
       „[3][Queere Asylsuchende] sind eine besonders vulnerable Gruppe, die
       Einschränkung sollte wieder gestrichen werden“, mahnte die Juristin.
       
       Ähnlich äußert sich Nele Allenberg vom Deutschen Institut für
       Menschenrechte. Derzeit ist vorgesehen, dass nach einer Änderung von Namen
       und Geschlechtseintrag personenbezogene Daten an zehn Sicherheitsbehörden
       weitergegeben werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Person bereits
       straffällig war oder nicht. Diese Maßnahme ist auf das SPD-geführte
       Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI) zurückzuführen, viele
       Jurist_innen sehen darin das Recht auf informelle Selbstbestimmung
       eingeschränkt. So auch Mangold und Allenberg.
       
       Allenberg hält einen Missbrauch, der hier unterstellt wird, ohnehin für
       nicht sehr wahrscheinlich: „Inwiefern ist es realistisch, einer Abschiebung
       zu entgehen und dafür den nicht ganz unaufwändigen Weg zu gehen, das
       Geschlecht und den Namen zu ändern? Eheschließung wäre ein vielleicht etwas
       unauffälligeres Verfahren.“
       
       ## Ab November 2024 soll das Gesetz gelten
       
       Bei der Anhörung stellten CDU und AfD immer wieder das Kindeswohl in den
       Mittelpunkt. „Ängste und Horrorszenarien haben sich in keinem europäischen
       Land bestätigt. The kids are alright“, sagte Richard Köhler vom Verein
       Transgender Europe. Köhler verwies darauf, dass es in Europa elf Gesetze
       gibt, die mit dem Selbstbestimmungsgesetz zu vergleichen sind:
       „Befürchtungen aus [4][öffentlichen Debatten], ähnlich den hiesigen, sind
       nicht eingetreten.“ Niemand werde gefährdet. „Geschlechtliche
       Selbstbestimmung hilft einigen Menschen sehr, während es für die Mehrheit
       der Menschen schlicht irrelevant ist.“
       
       Ein weiterer Aspekt der Anhörung betraf den sogenannten
       [5][Hausrechtsparagrafen]. Demnach sollen Betreiber_innen von Frauensaunen
       selbst entscheiden können, wer Zutritt bekommt, um die Besuchenden vor
       Gewalt zu schützen. Henrike Oswald vom [6][Deutschen Frauenrat] sagte dazu:
       „Durch ein Selbstbestimmungsgesetz sind Frauenschutzräume nicht in Gefahr.
       Aus unserer Sicht und aus Sicht eines Großteils einer feministischen
       Zivilgesellschaft ist diese Formulierung unnötig und nicht in unserem
       Sinne.“
       
       Till Randolf Amelung, freier Autor und trans Mann, sprach sich gegen das
       geplante Selbstbestimmungsgesetz aus, da es Missbrauchsmöglichkeiten gebe:
       „Missbrauch kann nicht ausgeschlossen werden“, sagte er in der Anhörung als
       Begründung dafür. In einer Beratung könne ein möglicher Missbrauch entdeckt
       werden.
       
       Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* lehnt eine Begutachtung für den
       Nachweis zur Transidentität wie die meisten Betroffenen ab: „Wenn mein
       Erscheinungsbild meiner geschlechtlichen Identität nicht entspricht, muss
       ich mich zusätzlich erklären und setze mich einem erhöhten
       Diskriminierungsrisiko aus.“ Als Reaktion erfahre man Unverständnis bis
       Abwertung oder [7][auch Anfeindung und Gewalt]. „Das macht eine
       verletzliche Gruppe noch verletzlicher.“ Letztendlich ginge es um
       „Papierkram“, aber dieser Papierkram habe eine große Bedeutung für die
       Betroffenen.
       
       Der Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass trans, inter
       und nichtbinäre Personen ihren Geschlechtseintrag sowie Vornamen künftig
       beim Standesamt ändern können. Es soll das größtenteils verfassungswidrige
       Transsexuellengesetz ablösen und nach derzeitigem Stand ab dem 1. November
       2024 gelten. Das Bundesjustizministerium von Marco Buschmann (FDP) und das
       Bundesfamilienministerium von Lisa Paus (Grüne) hatten monatelang um
       Kompromisse beim [8][Selbstbestimmungsgesetz] gerungen.
       
       28 Nov 2023
       
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