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       # taz.de -- Neue Ölfelder vor Schottland: Bis zum letzten Tropfen
       
       > Klimakrise, war da was? Im Vereinigten Königreich wurde das bisher größte
       > britische Ölfeld zur Erschließung freigegeben – allen Warnungen zum
       > Trotz.
       
   IMG Bild: Kurz nach der Entscheidung Ende September im Londoner Regierungsviertel
       
       Dublin taz | Es hat den klangvollen Namen „Rosebank“ und liegt gut 130
       Kilometer nordwestlich der Shetland-Inseln – die Rede ist vom größten
       unerschlossenen Ölfeld in britischen Gewässern. 350 Millionen Barrel Öl
       befinden sich dort im Meeresboden. Ende September hat die zuständige
       britische Behörde die Lizenz für die Ausbeutung von Rosebank erteilt. Die
       Firma Equinor, die mehrheitlich dem norwegischen Staat gehört, und ihr
       Juniorpartner Ithaca Energy wollen hier 69.000 Barrel Öl pro Tag fördern.
       
       „Ich bin wütend und verzweifelt“, sagt Jean Boucher. „Aber ich werde
       weiterkämpfen.“ Boucher gehört in Schottland der radikalen
       Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion an.
       
       Es sei der „größte Akt von Umwelt-Vandalismus in meiner Lebenszeit“, sagt
       Caroline Lucas, die einzige Grünen-Abgeordnete im Londoner Unterhaus. „Das
       Öl und Gas von Rosebank wird mehr CO2 produzieren als die 28 ärmsten Länder
       der Welt zusammen. Mit anderen Worten: Dieses eine Ölfeld richtet mehr
       Umweltschäden an als 700 Millionen Menschen. Wie rechtfertigt die Regierung
       ein solches Umweltverbrechen?“
       
       Die Welt trifft sich dieser Tage zur globalen Klimakonferenz COP28 in
       Dubai. Und während sich die meisten Expertinnen und Experten längst einig
       sind, dass unter keinen Umständen noch neue Öl- und Gasfelder erschlossen
       werden dürfen, gibt es gleichzeitig weltweit einen Boom bei der Öl- und
       Gasförderung. Die größten Expansionspläne haben dabei die USA, Kanada und
       Russland.
       
       ## Schlupfloch bei der Steuer
       
       Die britische Grüne Caroline Lucas ist nicht nur darüber entsetzt, dass
       Großbritannien sich diesem Trend anschließt. Vor allem die Art und Weise
       schockiert sie. Im Grunde finanziere die britische Bevölkerung das Projekt,
       denn sie komme für Steuererleichterungen im Wert von 3,75 Milliarden Pfund
       auf, sagt Lucas: „Ein ungeheuerliches Schlupfloch bei der
       Spekulationssteuer sorgt dafür, dass sich die Unternehmen für 100 Pfund,
       die sie in umweltzerstörendes Öl und Gas investieren, 91,25 Pfund vom
       Finanzamt zurückholen können.“ Equinor hat für das Jahr 2022 einen
       Rekordprofit von 62 Milliarden Pfund gemeldet.
       
       „Für das Vereinigte Königreich ist Rosebank groß, nicht aber im
       norwegischen Kontext“, sagt dagegen der Pressesprecher von Equinor, Ola
       Morten Aanestad. „Wir werden in der ersten Phase ab Ende 2026 vielleicht
       250 Millionen Barrel fördern. Die Größe von Rosebank wird stark
       überschätzt.“
       
       Aanestad betont, dass man Jobs schaffe, in der ersten Phase sollen 1.600
       Arbeitsplätze entstehen. „Diese Jobversprechen sind eine große Lüge“, hält
       Jean Boucher von Extinction Rebellion dagegen: „Die Ölfirmen haben kein
       Interesse an Arbeitern, es ist eine kapitalintensive Industrie.“ Nicht
       einmal ein Drittel der versprochenen 1.600 Jobs würden durch Rosebank
       dauerhaft entstehen, der Rest sei lediglich Zeitarbeit in der sehr kurzen
       Konstruktionsphase. „Man könnte viel mehr Jobs durch Investitionen in
       erneuerbare Energien schaffen“, sagt Boucher.
       
       Für Extinction Rebellion engagiert sich Boucher in Aberdeen, die lokale
       Gruppe ist allerdings überschaubar. „Wir sind nur sieben Leute. In Aberdeen
       stoßen Projekte wie Rosebank nicht auf großen Widerstand.“ Aberdeen ist die
       Ölhauptstadt des Vereinigten Königreichs. Eine reiche Stadt, prächtige
       Villen in den Vororten, intakte Häuser in der Innenstadt, Kunstgalerien,
       Museen, exklusive Restaurants. Seit 1969 vor der Küste Schottlands Öl
       entdeckt wurde, schossen Büroblöcke aus dem Boden, der Hafen wurde
       ausgebaut, der größte Hubschrauber-Landeplatz Europas angelegt.
       
       ## 2,8 Millionen Koks
       
       Jean Boucher ist davon überzeugt, dass Aberdeen die besten Zeiten hinter
       sich habe. „Rishi Sunaks Kehrtwende bei der Klimapolitik könnte ein Vorteil
       für uns sein“, sagte er. „Es ist nun für alle offensichtlich, was er unter
       Klimapolitik versteht.“ Im Dezember 2022 genehmigten die Tories von
       Premierminister Sunak das erste britische Steinkohlebergwerk seit 30
       Jahren.
       
       Man will dort 2,8 Millionen Tonnen Kokskohle fördern. Anfang August
       erklärte Sunak, dass alte und neue Ölfelder in der Nordsee bis zum letzten
       Tropfen ausgebeutet werden. Und auch den Verbrenner-Ausstieg sowie die
       Umstellung von Gaskesseln auf Wärmepumpen in Privathaushalten will er
       verschieben. „Wir brauchen dringend eine hohe CO2-Steuer“, sagt Jean
       Boucher und seufzt: „Es wird ziemlich schmerzhaft sein, den Planeten zu
       retten.“
       
       Auch Alex Armitage war früher bei Extinction Rebellion. Seit anderthalb
       Jahren sitzt er für die Grünen in der Bezirksverwaltung von Shetland, zu
       der das Ölfeld Rosebank gehört. Der 42-Jährige ist eigentlich Londoner,
       aber seine Mutter stammt aus Shetland. Vor drei Jahren ist er dort
       hingezogen.
       
       „Wir müssen Druck auf Labour-Chef Keir Starmer ausüben, damit er die Lizenz
       für Rosebank zurücknimmt, wenn er nächstes Jahr Premierminister wird“, sagt
       Armitage. „Aber er ist ein Zyniker. Er will an die Macht, koste es, was es
       wolle. Man kann ihm nicht trauen.“ Labour hat bereits angekündigt, die
       Erlaubnis für Rosebank nicht zurückzuziehen, aber man will zumindest die
       Steuererleichterungen streichen.
       
       ## Wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg
       
       „Shetland war früher der rückständigste Ort im Vereinigten Königreich“,
       sagt Armitage. „Die Inseln wurden als letzte elektrifiziert, sie bekamen
       als letzte Telefone und Farbfernseher.“ Dann kam das Öl. Als 1969 im Meer
       zwischen Norwegen und Schottland die ersten Ölvorkommen entdeckt wurden,
       entstand in Sullom Voe auf Shetland eines der [1][größten Öl-Terminals
       Europas]. Man nutzte die Betonpisten der Royal Air Force aus dem Zweiten
       Weltkrieg als Basis für Versorgungsflüge zu den Ölplattformen. Ende der
       neunziger Jahre wickelte Sullom Voe mehr als ein Viertel der
       Erdölproduktion des Vereinigten Königreichs ab.
       
       „Der Ort sieht aus wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg“, sagte Armitage.
       „Aber Öl und Gas haben massive Veränderungen auf Shetland bewirkt. Binnen
       einer Generation zog der Wohlstand ein – und mit ihm die Angst vor einem
       Unglück, das den Wohlstand gefährden könnte.“
       
       Dieses Unglück geschah in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 1993. An der
       Südspitze der Hauptinsel lief die „Braer“, ein liberianischer Öltanker mit
       84.500 Tonnen Rohöl an Bord, bei Sturm nach einem Maschinenschaden auf
       einen Felsen auf und zerbrach. Tausende von Vögeln verendeten, und mehr als
       ein Dutzend Lachsfarmen mussten dichtmachen, nachdem die Fische vom Öl
       verseucht worden waren. Die Säuberungsaktionen kosteten 2,5 Millionen
       Pfund. Dazu kam der Schaden, den die Tourismusindustrie erlitt.
       
       Der Untergang der „Braer“ ist in Shetland nicht vergessen. „Aber zehn
       Prozent der Wirtschaft werden noch immer durch Öl und Gas generiert“, sagt
       Armitage. Es sei zwar eine sterbende Industrie, aber viele unterstützten
       sie. Am 16. Oktober veröffentlichte das Institut Savanta das Ergebnis einer
       Umfrage, [2][wonach 51 Prozent der befragten Schotten] die Erschließung von
       Rosebank begrüßen. Nur 22 Prozent sind dagegen.
       
       ## Klage noch vor Jahresende
       
       Kann die Ausbeutung von Rosebank noch verhindert werden? „Die besten
       Chancen hat wohl der juristische Weg“, sagt Armitage. „Die NGO Uplift will
       gegen Rosebank klagen. Schließlich verstößt Rosebank gegen die
       Klimaverpflichtung der britischen Regierung.“
       
       [3][Uplift] wurde 2020 von der Umweltanwältin Tessa Khan gegründet. „Es war
       die Antwort darauf, dass die britische Regierung sich viel zu langsam
       bewegt“, sagt die 40-Jährige. „Ich habe sehr direkte persönliche
       Verbindungen zu zwei Ländern, die am meisten vom Klimawandel betroffen
       sind: Australien, wo ich aufgewachsen bin, und Bangladesch, wo meine Eltern
       herkommen und wo viele meiner Verwandten noch immer leben.“
       
       Noch vor Jahresende soll die Klage gegen Rosebank eingereicht werden. Khan
       ist zuversichtlich. „Regierungen haben wissentlich von steigenden
       Kohlendioxidwerten profitiert und die Umwelt geschädigt“, sagt sie und
       verweist auf den Präzedenzfall Irland. Dort hat der höchste Gerichtshof in
       Dublin im Jahr 2020 die Regierung auf Uplifts Antrag dazu verurteilt, bei
       den Klimazielen nachzubessern: Nun will man eine Reduktion der CO2-Werte um
       51 Prozent bis 2030 erreichen. Zuvor gab es gar keine konkrete Zielvorgabe.
       Irland liegt in der EU an dritter Stelle bei den Umweltsündern, wenn man es
       pro Kopf rechnet.
       
       „Wir respektieren andere Meinungen natürlich“, sagt Equinor-Sprecher
       Aanestad zur bevorstehenden Klage von Uplift. „Wir haben dasselbe Ziel,
       nämlich,net zero' bis 2050. Und das verfolgen wir aktiv.“ Equinor
       investiere deshalb im Vereinigten Königreich in erneuerbare Energien. „Wir
       bauen die größte Windfarm der Welt. Aber die Welt braucht nach wie vor Öl
       und Gas. Wir erschließen Rosebank mit den geringsten Auswirkungen auf die
       Umwelt, die überhaupt möglich sind.“
       
       Rishi Sunak argumentiert, Öl und Gas seien für Energiesicherheit und
       niedrige Stromrechnungen für Großbritannien notwendig. Das zieht bei der
       Grünen-Abgeordneten Caroline Lucas nicht. „Nichts könnte der Wahrheit
       ferner sein“, sagt sie. „Neunzig Prozent des Rosebank-Öls werden an den
       Höchstbietenden verkauft. Das werden laut Equinor Länder auf dem
       europäischen Festland sein. Für die Energiepreise in Großbritannien wird
       Rosebank nicht den geringsten Unterschied machen.“
       
       Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes wurde das
       Steuer-Schlupfloch irrtümlich als „Schlumpfloch“ bezeichnet. Wir bitten
       dafür um Entschuldigung.
       
       1 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.enquest.com/infrastructure-and-new-energy/oil-terminal-operations
   DIR [2] https://www.scotsman.com/news/politics/scots-back-rosebank-oil-field-in-major-blow-to-climate-campaigners-4372721
   DIR [3] https://upliftuk.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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