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       # taz.de -- Nach der Klimakonferenz in Dubai: Angst ist keine Lösung
       
       > Die Klimakonferenz COP28 brachte keinen Durchbruch. In
       > Weltuntergangsrhetorik sollte man trotzdem nicht verfallen – die hilft im
       > Kampf nicht weiter.
       
   IMG Bild: Nicht alle sind gleich bedroht: Den Menschen auf den Kiribati-Inseln etwa steht das Wasser schon jetzt bis zum Hals
       
       Nun sind sie wieder auseinandergegangen, nach den zwei Wochen in Dubai,
       ohne Durchbruch, [1][ohne den überfälligen, klaren Ausstieg aus Kohle und
       Öl]. Ohne die Rettung also, die das Ende immer neuer Temperaturrekorde und
       Extremwetterereignisse bringt?
       
       Bei den Klimakonferenzen ist die Frage nach dem Scheitern eine ganz eigene.
       Wie soll es anders sein, wenn der UN-Generalsekretär António Guterres Sätze
       sagt wie: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle mit dem Fuß auf dem
       Gaspedal.“ So scheint der Rahmen stets klar gesteckt: Durchbruch oder
       Untergang.
       
       Als es bei der COP24 in Madrid 2019 – wieder einmal – schlecht lief,
       [2][schrieb die Zeit:] „Die Welt hat sich bei ihrer Klimakonferenz an den
       Abgrund manövriert.“ So sehen es viele auch jetzt. Viele NGOs,
       Forscher:innen und auch Aktivist:innen bemühten sich, in der
       Abschlusserklärung aus Dubai „das richtige Signal“ oder „wichtige
       Weichen“ zu sehen. Aber die „Wir sind verloren“-Stimmen waren nicht zu
       überhören.
       
       Weil die Zeit so drängt, ist die Vorstellung verbreitet, es sei nun,
       diesmal, genau jetzt, die letzte Ausfahrt vor der Apokalpyse, an der gerade
       vorbeigerast wird – verdrängend und versagend. Es verwundert nicht, dass
       dieser Blick viele Menschen in Panik versetzt, denn das von Dubai die
       finale Weltrettung nicht zu erwarten war, schwante schon vorher vielen.
       
       ## Die Rede von Kipppunkten hat Tücken
       
       Ein Kollege twitterte Mitte 2021, die kurz darauf zu wählende
       Bundesregierung sei „die letzte, die die Weichen zur Bekämpfung der
       Klimakrise stellen kann“. Der Satz spricht dem Handeln der Zukunft seine
       Bedeutung ab. Denn natürlich wird es keineswegs egal sein, was die
       Bundesregierung, die 2025 gewählt wird, tut. Und ebenso wenig wird egal
       sein, was jene ab 2029 tut, auch wenn sich bis dahin Schäden vergrößert
       haben werden und Leid über viele Menschen gekommen sein wird.
       
       Die Neigung, die unmittelbare Gegenwart zum finalen Umbruchpunkt zu machen,
       zeigt sich in der heutigen Beliebtheit der „Kipppunkt“-Vokabel, die aus der
       Klimaforschung heraus in die allgemeine Sprache eingesickert ist: Den
       „Migrations-Kipppunkt“ beschwören jene, die den Volkstod fürchten, die
       Formel vom „autoritären Kipppunkt“ ist angesichts des Aufstiegs der
       Rechtsextremen beliebt geworden.
       
       Legt man das Verständnis von Kipppunkt zugrunde, wie es der Klimaforschung
       zugeschrieben wird, dann muss nun, genau jetzt, ein absolutes und vor allem
       irreversibles Unheil abgewendet werden. Gelingt dies nicht, ist es nicht
       mehr aus der Welt zu schaffen. Doch was etwa den Autoritarismus angeht,
       haben jüngst die Beispiele Polens und Brasiliens gezeigt, dass dieser sich
       auch wieder zurückdrängen lässt. Wer den Lauf der Dinge aber nur noch unter
       der Kipppunkt-Prämisse sieht, dem wird die Kraft für die nötigen Kämpfe
       fehlen.
       
       Beim Klima ist die Sache etwas anders gelagert: Eingetretene Schäden werden
       nur schwer oder nicht wieder aus der Welt zu schaffen sein. Geringe
       Korrekturen werden in Zukunft ein Vielfaches dessen kosten, was heute an
       Aufwand nötig wäre. Und doch wird man den betreiben müssen.
       
       ## Es hat sich schon einiges getan
       
       Die überaus düsteren Erwartungen vieler gehen zurück auf die Jahre
       2018/2019. Da kamen nicht nur Greta Thunbergs Schulstreik und in der Folge
       [3][Fridays for Future] auf. Es verbreiteten sich – auch über die Kanäle
       der Klimabewegung – Studien, die konkret vom drohenden Ende der Menschheit
       sprachen.
       
       Die zugrunde gelegten Szenarien deuteten auf eine Erderwärmung von bis zu 5
       Grad bis zum Jahr 2100 und damit auf einen Zustand hin, in dem das
       menschliche Überleben fraglich würde. Ein EU-eigener Thinktank warnte wegen
       der Erderhitzung vor „im schlimmsten Fall dem Aussterben der gesamten
       Menschheit“. Das prägt den Blick auf die Klimakrise bis heute.
       
       Dabei ist seit 2018 im globalen Klimaschutz eben doch einiges geschehen –
       und zwar ganz wesentlich auch durch den Einfluss der Klimabewegung. Heute,
       wenige Jahre später, hält die Wissenschaft 2,7 bis 2,9 Grad Erderwärmung
       für am wahrscheinlichsten. Auch damit allerdings werden Teile der Erde
       unbewohnbar und Vertreibung und Tod für viele Menschen die Folge sein.
       
       Und trotzdem geht es „nicht um alles oder nichts“, wie der US-Klimaforscher
       Zeke Hausfather sagt. Es dürfe sich nicht die Vorstellung verfestigen,
       „dass wir entweder gerettet oder dem Untergang geweiht sind“. Alle werden
       in Zukunft unter der Erderwärmung leiden, weil die Emissionen nicht sofort
       zu stoppen seien, egal, was geschehe. „Die Frage ist, wie viel Leid wir
       haben und wie viel wir retten können.“
       
       ## Ignorante Gleichmacherei
       
       Viele denken, es müsse schon deshalb vom „Aussterben der Menschheit“ die
       Rede sein, um den Menschen klarzumachen, wie schlimm es um die Erde steht.
       Nur so lasse sich der Druck aufbauen, um das nötige Handeln zu erzwingen.
       Doch die Folgen solcher Kommunikation sind ambivalent: Erkenntnis und
       politische Reaktion stehen neben Überforderung und Abwehr.
       
       Die Rede vom Untergang der Menschheit ist dabei auch eine Gleichmacherei,
       die ignorant ist gegenüber dem konkreten Leid: Wer so tut, als ob es nur
       Sieg oder totale Niederlage gibt, reißt die enormen Unterschiede der
       Betroffenheit ein. Dann ist das Unheil absolut und trifft alle gleich. Doch
       tatsächlich wirken die Risiken sich sehr unterschiedlich aus. Die
       gegenwärtigen und die historischen, kolonial geprägten Mechanismen der
       Ressourcenverteilung bestimmen, wer wie verwundbar ist.
       
       Wie sehr die realen ökologischen und sozialen Zusammenbrüche im Globalen
       Süden für viele dort schon heute das Ende ihrer Welt bedeuten, wird
       verwischt, wenn alle gleichermaßen als Opfer einer der
       Menschheitskatastrophe gesehen werden. Denn jene, die bereits jetzt ihre
       Lebensgrundlagen verlieren, tragen dafür in der Regel am wenigsten
       Verantwortung – und haben die wenigsten Ressourcen, um sich zu wappnen.
       
       Dieses Missverhältnis zu korrigieren ist nur als mühsamer, kleinteiliger
       Prozess vorstellbar. Der Gedanke an schrittweises Handeln angesichts eines
       Kontinuums erodierender Lebensgrundlagen wird aber zu oft von einer binären
       Vorstellung verbleibender Möglichkeiten verdrängt: Durchbruch jetzt oder
       Apokalypse.
       
       ## Beschwörung des Systemkollaps
       
       Viele sehen diese auch deshalb kommen, weil sie voneinander unabhängige
       oder nur teilweise verbundene Krisen zu einem umfassenden zivilisatorischen
       Rutschen zusammendenken. „Fragile States – apokalyptische Seelenzustände
       und ihre Vergemeinschaftung“ hieß ein Vortrag auf der Jahrestagung der
       Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse 2021. „Überall auf der Welt
       spitzen sich soziale und wirtschaftliche Krisen zu“, hieß es da. Immer
       häufiger würden Stimmen laut, die das Szenario eines Systemzusammenbruchs
       entwerfen.
       
       Manchen hilft es, so mit der Komplexität der Welt umzugehen: Wo überall
       Katastrophen zu sehen sind, bietet der Gedanke, es stecke etwas
       Allgemeines, Größeres dahinter, eine trügerische Erleichterung. An das
       Wirtschaftssystem denken dabei indes nur wenige – der Glaube an
       Verschwörungen ist vielen näher. Die Bereitschaft der Menschen, ihren
       Untergang zu erwarten, ist seit jeher hoch.
       
       „Seit nachweislich 3.000 Jahren hatte bisher jede Generation die
       Vorstellung, sie werde die letzte auf Erden sein, oder zumindest ihre
       Kinder die Apokalypse erleben“, schreibt der Psychoanalytiker Wolf-Detlef
       Rost. Darin spiegle sich eine „Mischung aus Schuldgefühl und
       Grandiositätsfantasien, die letzte menschliche Generation zu sein, damit
       zum Vollstrecker der Geschichte zu werden.“
       
       So gesehen neigt der Mensch zum Exzeptionalismus – er ist stets überzeugt,
       an einem Wendepunkt der Geschichte zu leben, wie der Göttinger
       Religionssoziologe Alexander Kenneth-Nagel meint. Früher war es die Bibel,
       die mit den prophetischen Ankündigungen der Apokalypse, auf die das Reich
       Gottes folgen würde, den Untergang predigte.
       
       ## Hin zu „Jedes Zehntelgrad zählt“
       
       Seit der Aufklärung, spätestens aber seit der Erfindung der Atombombe sind
       die religiösen Vorstellungen oft nur noch der unbewusste kulturelle
       Unterbau, auf den trifft, was die Naturwissenschaft kommen sieht. Doch
       anders als in früheren Zeiten ist der Mensch heute für die Krise selbst
       verantwortlich – „und wird nun zum Sachwalter der eigenen Erlösung oder
       ihres Ausbleibens“, so Kenneth-Nagel.
       
       Der Klimabewegung insgesamt wird dabei zu Unrecht Apokalyptik vorgeworfen
       wird. Denn ihr Widerstand, ihre Opferbereitschaft, ihre Unbedingtheit sind
       nur dadurch zu erklären, dass sie glauben, etwas erreichen zu können, wenn
       sie nur genügend Druck aufbauen. Tatsächlich ist bei vielen an die Stelle
       der Parole „Die Klimakatastrophe stoppen“ längst „Jedes Zehntelgrad zählt“
       getreten. Ernsthaft fatalistisch sind deshalb nicht sie. Das sind jene, die
       der Gestaltbarkeit der Zukunft keine Chance mehr geben – als Folge von
       Verdrängung, Abspaltung, Schuldgefühlen, Ignoranz, Egoismus oder
       Bequemlichkeit. Sie sagen: Es bringt ohnehin nichts mehr.
       
       Aber das ist nicht wahr. Die Ressourcen sind da. Die Menschheit hat mehr,
       als nötig ist, um ihre Existenz auf andere materielle Grundlagen zu stellen
       als bisher. Die Möglichkeiten zur Vernetzung, um diesen Wandel
       durchzusetzen, sind für die heutige Generation größer als für jede andere
       zuvor.
       
       Doch sich der Zerstörung und dem Fatalismus entgegenzustellen, erfordert
       Kraft und Glauben an die Gestaltbarkeit der Zukunft. Und zwar auch in
       kleinen Schritten.
       
       Der Autor veröffentlichte im September das Buch „Endzeit – Die neue Angst
       vor dem Weltuntergang und der Kampf um unsere Zukunft“ im Ch. Links Verlag,
       [4][auch erhältlich im taz Shop].
       
       17 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neuer-Beschlussentwurf-in-Dubai/!5980179
   DIR [2] https://www.zeit.de/kultur/2019-12/greta-thunberg-ice-klimaschutz-kontroverse-pseudo-thema
   DIR [3] /Schwerpunkt-Fridays-For-Future/!t5571786
   DIR [4] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245412
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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