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       # taz.de -- Neue Zugstrecke in Mexiko: Rollendes Denkmal für Präsidenten
       
       > Der „Tren Maya“ in Mexiko soll die indigene Bevölkerung aus der Armut
       > holen. Doch nicht nur die hält wenig von dem Prestigeprojekt des
       > Staatschefs.
       
   IMG Bild: Ein Projekt gegen die Armut – mit Folgen für die Umwelt: der Maya Zug
       
       Berlin taz | Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador nennt ihn ein
       „Meisterwerk“: Der Tren Maya, der Maya-Zug, soll nach einer Rekordbauzeit
       von nur dreieinhalb Jahren rollen. Und bei der Eröffnung des ersten von
       sieben Streckenabschnitten am Freitag machte López Obrador, der in Mexiko
       meist „Amlo“ genannt wird, deutlich, dass er sich mit dem Projekt selbst
       ein Denkmal gesetzt hat. Er ließ es sich nicht nehmen, zur Jungfernfahrt in
       einem der grünweißen Waggons mitzufahren und von einem „Zünder für die
       wirtschaftliche Entwicklung des Südens“ zu schwärmen.
       
       Der Zug ist das zentrale Infrastrukturvorhaben der Regierung Amlos und wird
       die Halbinsel Yucatán mit den anliegenden Bundesstaaten Quintana Roo,
       Campeche Tabasco und Chiapas massiv verändern. Auf insgesamt 1.554
       Kilometern verbindet er Urlaubsorte mit archäologischen Stätten der
       Maya-Hochkultur. Das Megaprojekt soll der ganzen Region einen ökonomischen
       Schub geben, sie aus der Armut holen, das hat Amlo immer wieder betont.
       
       Doch dass ihm das gelingt, ja, dass der Präsident das wirklich vorhat,
       [1][bezweifeln viele Umwelt- und Menschenrechtler:innen]. Camila Jaber
       etwa, die Vorzeigeathletin Mexikos im Höhlen- und Tiefseetauchen. „Dieses
       Projekt zerstört die Biodiversität und die Ökosysteme, die eine Vegetation
       wie im Amazonasgebiet zeigen“, sagt sie. „Und das alles auf Kosten der dort
       lebenden indigenen Völker, mit fatalen Konsequenzen für die ganze Welt.“
       
       Jaber ist Sprecherin des Kollektivs „SOS Cenote“. Cenoten werden die
       unterirdischen, mit Süßwasser gefüllten Höhlen genannt, die zu den
       Attraktionen auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán gehören und sich unter
       anderem nahe dem Playa del Carmen erstrecken. Kaum jemand kennt sie so gut
       wie die Sportlerin. Nun sollen die Höhlen für den Massentourismus
       erschlossen werden, was nicht nur an sich schon ein Problem ist – der
       fünfte Streckenabschnitt verläuft nach Ansicht des Kollektivs auch noch
       viel zu nahe an den Cenotes von Quintana Roo. Das gefährde die Höhlen – und
       die Sicherheit des Zugs.
       
       ## Zerstörung von Lebensraum, Kultur und Traditionen
       
       Doch die Kritik geht viel tiefer. Denn nach Ansicht indigener
       Organisationen verstößt das Infrastrukturprojekt, das nach den Maya benannt
       ist, gegen alles, was deren Kultur ausmacht. Es zerstöre Lebensraum, Kultur
       und Traditionen, anstatt sie zu erhalten.
       
       Der Nationale Indigene Kongress und etliche Gemeinden haben deshalb
       [2][gegen den Zug mobilgemacht]. Sie haben die Gerichte eingeschaltet, auf
       ihr Recht hingewiesen, das in der Konvention 169 der Internationalen
       Arbeitsorganisation zum Schutz indigener Völker verankert ist: vorher
       befragt zu werden und zustimmen zu müssen. Sie haben dargelegt, dass
       Umweltgutachten fehlten oder zu spät vorgelegt wurden. Erfolglos.
       
       Die mexikanische Umweltorganisation Cemda moniert, dass die Zugtrasse die
       Selva Maya zerschneidet – das zweitwichtigste Waldreservat Lateinamerikas
       nach dem Amazonas. 2.500 Hektar Regenwald seien gerodet worden, in der
       Region lebende bedrohte Tierarten wie Pumas, Jaguare, Iguanas, Fledermäuse
       nun noch stärker gefährdet.
       
       Für Mexikos Regierung wiegen die wirtschaftlichen Vorteile schwerer. Und
       sie hat auch die Unterstützung vieler Menschen in der Region, die sich Jobs
       nicht nur im ohnehin boomenden Tourismus versprechen. Der wird in jedem
       Fall von dem Projekt profitieren.
       
       ## Projekt rigoros durchgedrückt
       
       Die übrigen Abschnitte des Tren Maya sollen im ersten Quartal 2024 in
       Betrieb genommen werden. In einer zweiten Phase sollen auf der Strecke auch
       Güterzüge rollen, was die Wirtschaft im Südosten des Landes ankurbeln soll.
       Befürchtungen von Geologen, dass der Boden unter dem hohen Gewicht
       einsacken könnte, wischen die Mitarbeiter:innen der Regierung
       beiseite.
       
       Experten wie Pedro Faro vom Menschenrechtszentrum Frayba in San Cristóbal
       de las Casas kritisieren vor allem, wie rigoros das Projekt durchgedrückt
       wurde. „Mexikos Präsident stufte die Bauarbeiten per Dekret als
       Angelegenheit der nationalen Sicherheit ein. Seitdem werden sie unter der
       Aufsicht der Armee durchgeführt, die Region wird militarisiert, nationales
       Recht ausgehebelt“, kritisierte Faro bei einer Visite in Deutschland im
       September.
       
       Präsident López Obrador hat Umweltgruppen sogar öffentlich bezichtigt, mit
       seinen politischen Gegnern zusammenzuarbeiten – in Mexiko ein gefährlicher
       Vorwurf. UN-Organisationen kritisieren ohnehin, dass Angriffe auf
       Umweltaktivist:innen zugenommen haben, sie massiv bedroht würden. Und
       sie monieren, dass das Militär federführend an den Bauarbeiten beteiligt
       ist. Dessen Befugnisse hat Amlo zuletzt ausgeweitet. Es ist auch beim Bau
       von Flugplätzen und anderen Projekten dabei. Doch der Tren Maya ist eine
       neue Dimension.
       
       18 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Protest-gegen-Grossprojekte-in-Mexiko/!5932404
   DIR [2] /Bahnstrecke-Berlin--Hamburg-lahmgelegt/!5959002
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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