URI: 
       # taz.de -- Katholische Kirche: Keine Revolution
       
       > Eine neue Grundsatzerklärung des Vatikans erlaubt künftig auch die
       > Segnung homosexueller Paare. Das ist aber noch lange keine progressive
       > Kehrtwende.
       
   IMG Bild: Verhedderte Regenbogenfahne an einer katholischen Kirche in Osnabrück
       
       „Kehrtwende“ ([1][WDR)]? „Revolution“ ([2][Bild])? Wer die Schlagzeilen zum
       neuesten Beschluss der katholischen Kirche überfliegt, könnte glauben, der
       Papst hätte den ägyptischen Imam Ahmed al-Tajjeb auf die Lippen geküsst,
       wie in der [3][Benetton-Kampagne] aus dem Jahr 2011. Dabei sieht die am
       Montag veröffentlichte Grundsatzerklärung des Vatikans keineswegs eine
       Anerkennung homosexueller Paare vor. Der Beschluss besagt lediglich, dass
       auch gleichgeschlechtliche und nichtverheiratete Paare in kirchliche
       Ritualen miteinbezogen werden sollen.
       
       Bei Wallfahrten, Begegnungen mit Priestern und kollektiven Gebeten etwa
       sollen auch sie ein Kreuzchen auf die Stirn erhalten oder mit Weihwasser
       besprengt werden dürfen – ebenso wie Autos, Traktoren und sonst allerlei
       Dinge. Das ist insofern neu, als eine Erklärung des Vatikans von 2021
       [4][die Segnung homosexueller Paare noch ablehnte].
       
       Im Rahmen von Eheschließungen ist sie [5][auch zukünftig nicht vorgesehen],
       sie darf weder während eines Gottesdiensts noch im Standesamt erfolgen.
       Reformbewegungen innerhalb der katholischen Kirche wie „Wir sind die
       Kirche“ und das Katholische LSBT+-Komitee [6][begrüßen den jetzigen
       Beschluss], weisen aber darauf hin, dass sich an der Haltung der Kirche zu
       Beziehungen abseits der heterosexuellen Ehe nichts geändert hat.
       
       In seinem 45 Absätze langen Beschluss bekräftigt der Vatikan vielmehr seine
       bisherige Haltung zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Sollte das im
       allgemeinen Gejubel untergegangen sein: Diese ist zutiefst konservativ und
       liefert die Grundlage für die weltweite Diskriminierung
       gleichgeschlechtlicher Paare, also die Vorstellung, dass ihre Beziehung
       nicht „natürlich“ sei.
       
       ## Good News? Wohl eher nicht
       
       Die Vorstellung einer „natürlichen, vorherbestimmten“ Daseinsweise kommt
       nämlich nicht ohne Gott aus. Und der gibt gleichgeschlechtlichen Ehen, das
       lässt sich auch anders formuliert in der Erklärung nachlesen, kein Go,
       sondern ein No. Dass niemand den Beschluss für progressiv hält, dessen
       wollten sich die Erklärungsschreiber ausdrücklich versichern.
       
       Es wäre ein „Skandal“, verlautbart der Vatikan wortwörtlich in Absatz 39
       der Erklärung, würde die Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares mit
       dem Sakrament der Ehe verwechselt werden. Dieser Verwechslungsgefahr müsse
       vorgebeugt werden, nichts an der Segnung (also auch nicht „Kleidung,
       Zeichen und Worte“) dürfe an eine Hochzeit erinnern.
       
       Etwaige Grauzonen, die in diesem Beschluss enthalten sein könnten, werden
       dadurch sorgfältig ausgeschlossen. Es scheint, als hätten sich die Denker
       hinter diesem Entwurf alle möglichen Szenarien ausgemalt – etwa, dass
       gleichgeschlechtliche Paare im Hochzeitskleid pilgern, um sich so das
       Sakrament der Ehe zu erschleichen. Es ist deshalb ein Skandal, dass manche
       den Vatikan nun verdächtigen, progressiv zu sein.
       
       Wieso hat sich der Vatikan dann mit so einem Beschluss auf das Fahrwasser
       der medialen Eigenlogik begeben, die in der Nachricht am liebsten eine
       „Kehrtwende“ wittern will? Grund dafür ist, dass der im Juli neu ins Amt
       versetzte Glaubenspräfekt [7][Víctor Manuel Fernández] die katholische
       Seelsorge lebensweltlicher gestalten will.
       
       Er sitzt in vielen hochrangigen Gremien des Vatikans und ist unter anderem
       an der offiziellen Auslegung kirchlicher Gesetzestexte beteiligt. Wenn es
       nach ihm geht, sollen Pfarrer und Bischöfe in der kirchlichen Praxis
       Sünder:innen nicht canceln, sondern ihnen gegenüber Barmherzigkeit
       walten lassen.
       
       Allen soll die Erfahrung Gottes ermöglicht werden. Dass Fernández nicht
       angetreten ist, um die Kirche auf einen progressiven Pfad zu bringen, war
       auch schon vor der Erklärung am Montag klar. Zu Reformvorhaben der
       deutschen Kirche äußerte er sich in der Vergangenheit kritisch. Diese ist
       nämlich in einigen Fragen offener als der Vatikan und plant, ab März 2026
       [8][offizielle Segensfeiern für homosexuelle Paare] zuzulassen. In der
       Vergangenheit wurden diese mitunter [9][aus Protest] ohne Einverständnis
       des Vatikans durchgeführt.
       
       Wenn es nach dem Vatikan geht, sollen sich homosexuelle Paare lieber von
       Gott bekehren lassen. So zumindest ließe sich der ebenfalls in der
       Erklärung enthaltene Satz verstehen, auch jene, deren Beziehungsform nicht
       der Ehe entspricht, sollen Gottes „Hilfe erflehen und zu einem besseren
       Verständnis seines Plans der Liebe und der Wahrheit geführt werden“. Good
       News? Wohl eher nicht.
       
       19 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www1.wdr.de/nachrichten/vatikan-erlaubt-segnung-fuer-homosexuelle-paare-100.html
   DIR [2] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/ein-trick-machts-moeglich-papst-erlaubt-segen-fuer-schwule-86473858.bild.html
   DIR [3] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/empoerung-im-vatikan-benetton-zieht-papst-kussbild-zurueck-a-798293.html
   DIR [4] /Vatikan-lehnt-Segnung-Homosexueller-ab/!5754741
   DIR [5] https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2023/12/18/0901/01963.html#DE
   DIR [6] https://www.zeit.de/news/2023-12/19/segnung-homosexueller-schritt-in-richtige-richtung
   DIR [7] https://www.katholisch.de/artikel/49661-segnung-homosexueller-paare-ist-vatikan-erklaerung-eine-revolution
   DIR [8] https://www.deutschlandfunk.de/katholische-kirche-soll-homosexuelle-paare-segnen-und-frauen-in-messfeiern-predigen-lassen-110.html
   DIR [9] https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/segnungsfeier-koelner-dom-100.amp
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lara Ritter
       
       ## TAGS
       
   DIR Katholische Kirche
   DIR Homosexualität
   DIR Vatikan
   DIR IG
   DIR Griechenland
   DIR Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
   DIR Vatikan
   DIR Vatikan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gegen großen Widerstand: Griechenland führt Homo-Ehe ein
       
       Das Parlament hat für die Homo-Ehe votiert. Griechenland wird erstes
       christlich-orthodoxes Land mit Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche
       Paare.
       
   DIR Segnungsverbot für homosexuelle Paare: Homoliebe zählt im Vatikan nicht
       
       Gleichgeschlechtliche Paare dürfen in der katholischen Kirche nicht
       gesegnet werden. Viele Betroffene wenden sich deshalb nun von der Kirche
       ab.
       
   DIR Vatikan lehnt Segnung Homosexueller ab: Macht schützt vor Dummheit nicht
       
       Der Vatikan hat die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare verboten. Damit
       widerspricht er dem Fortschritt der Theologie im Bereich der Sexualität.
       
   DIR Vatikan und Homosexualität: Keine Segnung homosexueller Paare
       
       Nach eigenen Angaben ist es der katholischen Kirche nicht möglich,
       gleichgeschlechtliche Paare zu segnen – denn es durchkreuze die Pläne
       Gottes. Der Papst stimmte zu.