URI: 
       # taz.de -- Vulkanausbruch auf Island: Wie es sich in der Evakuierung lebt
       
       > Vor sechs Wochen mussten die Menschen die Stadt Grindavík verlassen. Es
       > hat sie überrascht. Nun schießt Lava aus einem Krater.
       
   IMG Bild: Die Vulkaneruption erleuchtet den Himmel über der Stadt Grindavík am 18. Dezember
       
       „Ich muss mich an den verrückten Verkehr in Reykjaví k gewöhnen. melde mich
       wenn ich geparkt habe“, sagt Sólny Pálsdóttir zu Beginn des Gesprächs. Die
       Fotografin und Mutter von fünf Söhnen gehört zu den rund 3.600 Einwohnern
       der [1][isländischen Hafenstadt Grindavík] [2][[6642923]] [3][, unter der
       ein Vulkan] rumort. In der Nacht vom 10. auf den 11. November muss sie ihre
       Häuser verlassen, weil die Gefahr, dass Lava in der Stadt an die Oberfläche
       kommt, zu groß war. Jetzt leben sie und ihre beiden jüngsten Söhne
       vorübergehend in der Hauptstadt. Sie weiß nicht, ob und wann sie nach Hause
       zurückkehren kann. Ein Protokoll 
       
       „Die Erde bewegte sich. Es klang, als käme da ein großes Tier. Am 10.
       November 2023 gegen 18 Uhr begann ich zu packen, mein Sohn mit Downsyndrom
       hatte große Angst. Die Hauptstraße in Grindavík war bereits beschädigt, wir
       mussten sie umfahren. Ich verließ die Stadt Stunden vor der offiziellen
       Evakuierung, die gegen 22.30 Uhr angekündigt wurde.
       
       Zum Glück war es Freitag. Viele Menschen haben schon tagsüber die Stadt
       verlassen. Wir nennen das „Erdbebenferien“. Wenn man vier Jahre lang damit
       lebt, dass die Erde unter einem bebt, braucht man Pausen.
       
       Als es damals im März 2021 zu einem Ausbruch in der Nähe des Fagradalsfjall
       kam, war ich froh, als die Lava etwa zehn Kilometer von Grindavík entfernt
       aus dem Boden sickerte. Ich konnte es von meinem Balkon aus sehen. Nachdem
       die Lava an die Oberfläche trat, gab es weniger Erdbeben. Ich fühlte mich
       erleichtert. Ist es nicht unglaublich, dass man erleichtert ist, weil man
       einen Vulkan vor der eigenen Haustür hat?
       
       ## Überraschend evakuiert
       
       Wir wussten, dass die Lava 2023 vielleicht nicht an einer so guten Stelle
       wie 2021 aufsteigen würde. Doch als die Wissenschaftler sagten, dass
       möglicherweise eine Evakuierung bevorsteht, war das überraschend.
       
       Ich brachte Fotoalben in mein Sommerhaus, wo mein älterer Sohn
       vorübergehend mit seiner schwangeren Frau wohnt. Sie haben Grindavík schon
       früher verlassen. Eine Stadt, in der die Erde ständig bebt, ist keine
       sichere Umgebung für schwangere Frauen.
       
       Dorthin fuhr ich also am Abend des 10. November und blieb eine Nacht. Dann
       meldete sich meine Schwägerin und bot mir eine Wohnung in Reykjavík für
       mich und meine jüngsten zwei Söhne an. Das Schöne an der ganzen Situation?
       Zu sehen, wie die Menschen in Island zusammenhalten, wenn etwas passiert.
       
       Am Montag nach der Evakuierung durfte ich für 15 Minuten in mein Haus – mit
       drei Rettungskräften und einem Helm. Anfangs durfte nur eine Person pro
       Haushalt hinein. Mein Schwiegervater war Schriftsteller und schenkte allen
       meinen Söhnen zur Geburt und mir und meinem Mann zur Hochzeit
       handgeschriebene Gedichte. Die habe ich in Sicherheit gebracht. Die meisten
       Menschen haben nur Erinnerungen aus ihren Häusern mitgenommen.
       
       ## Schutz der Blauen Lagune
       
       Die Behörden begannen nach der Evakuierung mit dem Bau eines Schutzwalls,
       da die Blaue Lagune und das Kraftwerk in Svartsengi in unmittelbarer Nähe
       liegen.
       
       Die meisten verstehen nicht, dass [4][Erdbeben ein Teil unseres Lebens
       sind]. Für Menschen außerhalb von Grindavík ist „3,1“ nur eine Zahl in den
       Nachrichten. Für uns ist es das, was unser Haus schüttelt. Seit Anfang 2020
       scheint es, als ob die Erde in der Reykjanes-Region lebendig geworden ist.
       Die Erde bebt ein paar Tage, dann hört es auf. Man ist immer in einem
       Kampf- oder Fluchtmodus.
       
       In den zwei Wochen vor der Evakuierung bebte es nachts oft. Die Leute haben
       nicht geschlafen. Eine meiner Freundinnen hat ihr Haus zum Verkauf
       angeboten, weil sie es nicht mehr aushielt.
       
       Vorübergehend bleibe ich in Reykjavík. Ich hoffe, dass wir in ein paar
       Monaten nach Hause können. Die meisten der Kinder, die in Grindavík
       zusammen zur Schule gegangen sind, besuchen nun gemeinsam eine Schule in
       Reykjavík. Damit wurden nach den Vulkanausbrüchen von 1973 auf den
       Westmännerinseln gute Erfahrungen gemacht. Es ist wichtig, die Kinder
       zusammenzuhalten. Denn niemand außer ihnen kann ihre Erlebnisse verstehen.
       Bleiben sie danach zusammen, können sie sich darüber austauschen.
       
       Ich habe Glück, denn ich weiß, wo wir Weihnachten feiern werden. Ich habe
       eine große Familie und ein Freund hat uns sein Sommerhaus geliehen.
       
       Das Schwierigste? Wir wissen nicht, was passieren wird. Wenn man wüsste,
       dass man nie wieder nach Hause kann, könnte man die Situation verarbeiten
       und akzeptieren. Wir sind hingegen noch mittendrin im Geschehen. Niemand
       kann die Natur kontrollieren.“
       
       19 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Furcht-vor-Vulkanausbruch-in-Island/!5972268
   DIR [2] /Furcht-vor-Vulkanausbruch-in-Island/!5972268
   DIR [3] /Furcht-vor-Vulkanausbruch-in-Island/!5972268
   DIR [4] /Geologe-ueber-Vulkanausbrueche/!5973628
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaudia Lagozinski
       
       ## TAGS
       
   DIR Island
   DIR Vulkane
   DIR Natur
   DIR GNS
   DIR Vulkane
   DIR Island
   DIR Vulkane
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Geologe über Vulkanausbrüche: „Ein selbstverstärkender Effekt“
       
       Auf Island droht bald ein Vulkan auszubrechen. Der Geologe Steffen
       Kutterolf erklärt, wie sich das auf den Klimawandel auswirken könnte.
       
   DIR Furcht vor Vulkanausbruch in Island: 4000-Einwohner-Ort evakuiert
       
       Hunderte Erdbeben sind auf der Reykjanes-Halbinsel gemessen worden,
       unterhalb von Grindavik werden Magmaausbreitungen vermutet.
       
   DIR Vulkanausbruch der Antike neu bewertet: Klein, aber verheerend
       
       Kieler Forscher*innen zeigen, dass der Ausbruch in Santorini kleiner war
       als gedacht. Diese Erkenntnis kann helfen, Gefahren besser einzuschätzen.