# taz.de -- Kriegsverbrechen der Wagner-Gruppe: Die ganze Kommandokette
> Ein Ex-Ausbilder der Söldner will vor dem Internationalen
> Strafgerichtshof aussagen. Es geht um entführte Kinder und den
> abgeschossenen Flug MH17.
IMG Bild: Ehemalige Wagner-Söldner, die sich einer Einheit der Achmat-Spezialkräfte angeschlossen haben, im Oktober in der Ukraine
Amsterdam taz | Erstmals ist am Montag ein russischer Militärangehöriger in
die Niederlande eingereist, um sich dem Internationalen Strafgerichtshof in
Den Haag (IStGH) als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Der 60-jährige Igor
Salikow war ab 2014 als Oberst in der selbsternannten Volksrepublik Donezk
im Einsatz. Zudem war der frühere Soldat der sowjetischen Armee auch
Ausbilder bei der Söldnergruppe Wagner und kämpfte für diese in Syrien, der
Ukraine und [1][mehreren afrikanischen Ländern], wie niederländische Medien
Anfang der Woche berichteten.
Für eine strafrechtliche Verfolgung des russischen Angriffs auf die Ukraine
kann Salikows Aussage als sogenannter Insider-Zeuge von großer Bedeutung
sein. [2][Im März erließ der IStGH einen Haftbefehl gegen den russischen
Präsidenten Putin und die Kinder-Beauftragte seiner Regierung, Marija
Lwowa-Belowa]. Salikow kam auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol in die
Niederlande, wo er ein Video aufnahm, das auf niederländischen Websites
dokumentiert wird.
Zuvor hatte Salikow, der ab 2022 sein Wissen über Kriegsverbrechen und
deren Täter aufschrieb und dem IStGH eine Version dessen schickte, dem
TV-Magazin „[3][Een Vandaag“ (1V)] ein Online-Interview gegeben.
Dort berichtet er unter anderem davon, er habe gesehen, wie Kinder
„tagelang“ und „aus dem einen oder anderen Grund ohne ihre Eltern“
abgeführt wurden. Die Redaktion bringt diese Aussage in Verbindung mit
[4][über 6.000 entführten ukrainischen Kindern, die auf russischen Websites
zur Adoption angeboten wurden].
## Befehle aus dem russischen Verteidigungsministerium
Salikow behauptet in einem Schreiben an das Tribunal, die gesamte
Kommandostruktur der sogenannten Volksrepublik Donezk zu kennen. Die
Befehle dort seien zumeist direkt aus dem Moskauer Verteidigungsministerium
und manchmal auch aus dem Kabinett Putins gekommen.
Bei illegalen Operationen seien häufig die Geheimdienste FSB und GRU
beteiligt gewesen. Auf ein Konkurrenzverhältnis zwischen diesen geht laut
Salikow auch [5][der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 2014 über der
Ostukraine zurück], bei dem 289 Insassen getötet wurden.
Seine eigene Motivation betreffend sagt Salikow, er habe in der Ukraine
Faschisten bekämpfen und Russland wieder „stark und vereinigt“ machen
wollen. „Wir glaubten da wirklich dran. Wir glaubten, dass in der Ukraine
der Nationalismus aufkam.“ Dem Menschenrechts-Aktivist Wladimir Osechkin
zufolge, der Salikow unterstützt, habe dieser „auf einmal eingesehen, was
die russische Armee in der Ukraine anrichte“.
Gegenüber „Een Vandaag“ berichtet Osechkin, die meisten von Salikows
Aussagen seien verifiziert worden. „Dadurch wurden Orte entdeckt, an denen
getötete ukrainische Bürger begraben waren, und auch Kriegsgefangene, die
zu Tode gefoltert oder exekutiert wurden.“
Osechkin, der von Frankreich aus das Projekt [6][Gulagu.Net] gegen Folter
und Korruption in Russland betreibt, half Salikow im vergangenen Sommer bei
der Flucht aus Russland, die „komplex und riskant“ gewesen sei.
Zwischenzeitlich hielt sich der Ex-Oberst mit seiner Frau und drei Kindern
auf Zypern auf. Dort allerdings, berichtet das Algemeen Dagblad, habe ihnen
nicht nur das russische Konsulat Unannehmlichkeiten bereitet, sondern sie
seien auch durch Autos mit verdunkelten Scheiben verfolgt worden.
In der Pressestelle des IStGH verweist man an die Anklage des
Strafgerichtshofs, der bis zum Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage der
taz antwortete. Offizielle Stellungnahmen seitens des Tribunals gibt es
bislang keine. Ein Mitarbeiter von „Een Vandaag“ berichtet von der prekären
Situation Salikows, der bislang weder um politisches Asyl in den
Niederlanden gefragt habe noch Teil eines Zeugenschutzprogramms sei.
19 Dec 2023
## LINKS
DIR [1] /Wagner-Gruppe-in-Afrika/!5950691
DIR [2] /Internationaler-Strafgerichtshof/!5922646
DIR [3] https://eenvandaag.avrotros.nl/item/voormalig-wagner-officier-in-nederland-om-zich-bij-strafhof-te-melden-bevelen-voor-oorlogsmisdaden-kwamen-rechtstreeks-uit-het-kremlin/
DIR [4] /Kinderverschleppung-nach-Russland/!5945739
DIR [5] /Prozess-um-MH17-Abschuss/!5892143
DIR [6] https://gulagu.net/
## AUTOREN
DIR Tobias Müller
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