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       # taz.de -- Prozesse nach Waldbesetzung in Flensburg: Hausfriedensbruch im Wäldchen?
       
       > Wegen der Besetzung des Flensburger Bahnhofswaldes steht eine Aktivistin
       > vor Gericht. Ein anderes Verfahren wurde eingestellt.
       
   IMG Bild: Hausfriedensbruch oder nicht? Aktivist hängt im Bahnhofswald am Baum
       
       Rendsburg taz | Hausfriedensbruch lautet der Vorwurf gegen Hanna Poddig,
       die am heutigen Donnerstag in Flensburg vor Gericht steht. Die Aktivistin
       kämpfte im Herbst und Winter 2020/21 für den Erhalt eines Wäldchens am
       Flensburger Bahnhof, das für den Bau eines Hotels mit Parkhaus abgeholzt
       werden sollte. Das Wäldchen wurde bei einer illegalen Aktion zwar zum Teil
       zerstört, aber der Bau nie begonnen.
       
       Poddig droht nun eine hohe Strafe, weil die Staatsanwaltschaft davon
       ausgeht, dass sie sich wochenlang auf dem Gelände aufgehalten und dort in
       selbst gebauten Baumhäusern gelebt habe. Gleichzeitig bietet die
       Staatsanwaltschaft einem Mitstreiter von Poddig an, dessen Verfahren
       einzustellen – wegen Geringfügigkeit und fehlenden öffentlichen Interesses.
       
       Passt nicht zusammen, finden beide. Poddig kritisiert, dass die Verfahren
       gegen die Personen, die ohne Genehmigung Bäume ansägten und damit Menschen
       gefährdeten, nie eröffnet wurden.
       
       In dem Wäldchen an der Straße, die zum Bahnhof führt, wollten Flensburger
       Investoren in Kooperation mit einer chinesischen Investmentfirma ein
       Intercity-Hotel mit rund 150 Zimmern, Veranstaltungsräumen und einem
       angrenzenden Parkhaus bauen. Um das Projekt hatte es jahrelang politischen
       Streit im Stadtrat gegeben.
       
       ## Parkhaus für Pendler
       
       Am Ende erhielten die Investoren die Genehmigung. Die Stadtverwaltung,
       damals unter Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD), sah Vorteile und
       versprach sich vom bahnhofsnahen Parkhaus mehr Zug-Pendler*innen.
       
       Doch es gab Proteste von Anwohner*innen, die die grüne Oase erhalten
       wollten. Im Herbst 2020 errichtete eine Gruppe von Aktivist*innen
       mehrere Baumhäuser in den Wipfeln. Schwierig war das nicht: Zwar waren am
       Rand des Geländes Reste eines Maschendrahtzauns zu erkennen, aber jede*r
       konnte vom Gehweg oder von einem benachbarten Parkplatz in den Wald
       gelangen. Die Frage, ob das Betreten eines öffentlichen Waldes
       Hausfriedensbruch sei, spielte bei mehreren Prozessen eine Rolle.
       
       „Die Gesamtschau ist spannend“, sagt Hanna Poddig. „Was wird angeklagt, was
       nicht?“ Ihr drohen nach dem Willen der Staatsanwaltschaft 60 Tagessätze –
       in anderen Fällen ging es um 15 Tagessätze.
       
       So auch im Fall von Philipp A., der in der ersten Instanz freigesprochen
       wurde: Die Flensburger Richterin hatte anerkannt, dass die
       Aktivist*innen sich [1][gegen den Notstand der Klimakatastrophe
       einsetzten], und dieses Anliegen höher zu bewerten sei als das Betreten des
       Wäldchens. Doch das [2][Oberlandesgericht in Schleswig hob den Freispruch
       auf]. Nun soll der Fall eingestellt werden.
       
       Noch haben A. und sein Verteidiger Alexander Hoffmann nicht angenommen.
       Aber A. glaubt, dass sich die mögliche Einstellung seines Verfahrens
       auswirken könnte: „Wenn es hier nur eine geringe Schuld und kein
       öffentliches Interesse gibt, warum sollte das nicht für die anderen Fälle
       gelten?“ Hoffmann sieht auch höhere Hürden durch den Prozess in Schleswig:
       „Das Oberlandesgericht hat klargelegt, welche Beweise für eine Verurteilung
       erbracht werden müssten.“
       
       Hanna Poddig verweist außerdem darauf, dass die Staatsanwaltschaft zwar
       gegen die Aktivist*innen vorgeht, aber die Ermittlungen gegen die
       Arbeiter*innen eingestellt hat, die im Februar 2021 ohne Genehmigung
       Bäume ansägten, darunter auch einen, auf dem eine Person saß. „Der Baum war
       hoch. Wenn die Person gefallen wäre, wäre sie sehr wahrscheinlich tot“,
       sagt Poddig. „Die Ermittlungen einzustellen bedeutet im Grunde, dass die
       Staatsanwaltschaft sagt, für den Hotelbau sei es erlaubt, über Leichen zu
       gehen.“
       
       Nachdem Firmen im Auftrag der Investoren mehrere Bäume angesägt hatten,
       drohte Sturzgefahr, daher wurde ein Teil des Waldes abgeholzt. Doch eine
       [3][Klage des BUND] [4][verhinderte den Baubeginn]. Inzwischen ist unklar,
       ob das Hotel jemals entsteht.
       
       6 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Flensburger-Hotelprojekt/!5943707
   DIR [2] /Gericht-in-Schleswig-hebt-Freispruch-auf/!5949385
   DIR [3] http://www.bundflensburg.de/
   DIR [4] /Gericht-stoppt-Hotelbau-in-Flensburg/!5934824
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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