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       # taz.de -- Fotografie von Gursky und Andreani: In der Terra dei Motori
       
       > In zwei Ausstellungen nahe Bologna zeigen Andreas Gursky und Giulia
       > Andreani, wie unterschiedlich Fotografie sein kann. Auch mit Blick auf
       > Düsseldorf.
       
   IMG Bild: Ausstellungsansicht von Giulia Andreanis „L’Improduttiva“ in der Collezione Maramotti, 2023
       
       Derweil laufen in der italienischen Emilia Romagna um Bologna zwei große
       Ausstellungen, die einen gewissen Vorgeschmack darauf geben könnten, was
       einmal im geplanten Deutschen Fotoinstitut verhandelt wird. Einander
       gegenübergestellt sind dort die fotografische Malerei der
       französisch-italienischen Künstlerin Giulia Andreani und die malerische
       Fotokunst des Düsseldorfers Andreas Gursky.
       
       [1][Kunststar Gursky, ein Schüler von] Bernd und Hilla Becher, hatte sich
       auch dafür eingesetzt, dass Düsseldorf zum Standort des zukünftigen
       Deutschen Fotoinstituts wird und nicht das von einer Expertenkommission
       favorisierte Essen.
       
       Der Reichtum der beliebten Urlaubsstadt Bologna stammt aus dem Hinterland.
       Die Terra dei Motori ist nicht nur Heimat von Edelmarken wie Lamborghini
       oder Maserati, sondern auch zahlreicher hiermit eng verbundener Hidden
       Champions der Maschinen- oder Lebensmittelindustrie. G.D, eine vor hundert
       Jahren gegründete Motorradfabrik, die nun als Teil der Coesia Group
       weltweit Verpackungsmaschinen herstellt, finanziert auf ihrem Firmengelände
       das prächtige Fotomuseum MAST.
       
       MAST tritt wie ein öffentliches Museum auf, ist jedoch stark nach dem Gusto
       der Inhaberin und mehrfachen Milliardärin Isabella Seràgnoli hin
       ausgelegt, die hauseigene Sammlung mit 5.000 historischen Fotoarbeiten
       widmet sich vornehmlich industriellen Themen.
       
       ## Die Zusammenhänge der Weltwirtschaft als Tafelbild
       
       Dort richtete nun der Schweizer Gastkurator Urs Stahel eine umfangreiche
       Gursky-Werkübersicht ein. Gursky, Jahrgang 1955, hat sich mit einprägsamen
       Bildern zu Orten der Globalisierung einen Namen gemacht. Das Großfoto
       „Salerno I“ von 1990 zu Beginn der Ausstellung „Visual Spaces of Today“
       verkoppelt Automobilindustrie, Containerhafenwirtschaft und
       Massenwohnungsbau vor weitläufiger Berglandschaft zu einem präzisen
       Tafelbild.
       
       Auch spätere seiner Aufnahmen von Hotels, Warenverteilzentren,
       Massenkonzerten, Agroindustrie oder Rennplätzen dröseln die Zusammenhänge
       der Weltwirtschaft visuell auf, zeigen aber nicht mehr die analytische
       Komplexion früherer Arbeiten. Über Jahrzehnte bot Gursky so ein
       Bildrepertoire des Turbokapitalismus.
       
       Doch dann, so sieht man, verzehrte er sich in der Glamourfotografie. Die
       massive digitale Bearbeitung, das Collagieren oder die Überlagerung
       mehrerer Aufnahmen, bereinigte seine gravitätischen Bilder zu sehr um
       Widersprüche. „El Ejido“ von 2017 zeigt in die Tiefe [2][gestaffelte
       Plastikgewächshäuser in Südspanien], der Künstler meinte aber im
       Vordergrund noch Plastikbeutel an den Straßenrand hinmontieren zu müssen.
       
       Sah Gursky vorher Strukturen, quatschen uns nun viele seiner Bilder voll.
       Subtil erscheint dagegen die Luftaufnahme einer Tulpenplantage von 2016.
       Ihre bunten Streifen erinnern an Farbfeldmalerei, nur einzelne
       Plantagenarbeiter:innen sind darauf zu erkennen.
       
       ## Das ikonisch bereinigte „Rhein“-Bild
       
       Der Fotograf Gursky scheint mittlerweile zur Marke erstarrt. In Düsseldorf,
       wo sein [3][ikonisch bereinigtes „Rhein II“-Bild auch in der Staatskanzlei
       hing], trat Gursky mit dem Verein zur Gründung und Förderung eines
       Deutschen Fotoinstituts dem Standort- und Richtungsstreit des künftigen
       Instituts bei. [4][Dessen Vereinsvorsitzender,] der einstige Gursky-Student
       Moritz Wegwerth, sitzt nun in der Gründungskommission des Deutschen
       Fotoinstituts.
       
       Auf einen anderen [5][Düsseldorfer Großmeister, Gerhard Richter], bezieht
       sich Giulia Andreani. Sie führt Richters auch die Fotografie behandelnde
       Malerei in historisch-kritische Untiefen. In der Collezione Maramotti auf
       dem Werksgelände der Modemarke Max Mara, wo Andreani gerade ihre
       Ausstellung „L’improduttiva“ zeigt, hängt auch Richters „Kleiner liegender
       Akt“.
       
       Er ist Teil einer Sammlung mit Malerei und Skulpturen der westlichen
       Nachkriegs-Hemisphäre, die der 2005 verstorbene Firmenpatriarch Achille
       Maramotti anlegte. Richters Akt entstand 1967 nach einem schwarzweißen
       Amateurbild für die Düsseldorfer Ausstellung „Sex und Massenmord“.
       
       Auch Andreani, Jahrgang 1985, recherchiert historische Aufnahmen und
       Archivmaterial für ihre Gemälde und setzt sie nach Collagetechniken
       zusammen, orientiert sich dabei etwa an der [6][Dadaistin Hannah Höch].
       Indem sie alles in Payne’s Grey überführt, einer altmeisterlich anmutenden
       Farbmischung aus Preußischblau, gelbem Ocker und Karminrot, sind ihre
       Bilder auf sanfte Modulationen der Aquarellmalerei heruntergebrochen – im
       Kontrast zu den knallbunten Fotos von Gursky.
       
       ## Archivarisches aus der Zeit des italienischen Faschismus
       
       Andreani widmet sich in der Collezione Maramotti der Geschichte des Ortes
       während der Zeit des italienischen Faschismus. Im Zentrum steht eine
       Aufnahme aus der Schneiderschule von Giulia Maramotti, Mutter des
       Firmengründers Achille. Aus dieser und anderen historischen Abbildungen
       entwickelt Andreani ihre „Malerei mit Fotografie“.
       
       Entstanden sind gespenstische Bilder, anonyme Arbeiter:innen aus der
       Werksgeschichte werden wieder sichtbar. Andreanis Vermalungen changieren
       zwischen dokumentgleicher Präzision und wässrigem Grauschleier. Ihre auch
       feministische bildliche Rekonstruktion der Vergangenheit bricht mit
       Richters männlich konnotierter Gewalt von „Sex und Massenmord“.
       
       Die opulenten Tafelbilder von Andreas Gursky erinnern an die Maschinen-Nähe
       des Fotografischen, die Grauzonen von Giulia Andreani hingegen zeigen, wie
       verstreut Bildquellen sein können.
       
       12 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wolfgang-Ullrichs-Kritik-am-Kunstmarkt/!5287881
   DIR [2] /Die-spanische-Stadt-El-Ejido/!5559433
   DIR [3] https://www.land.nrw/media/image/fotografie-rhein-ii-von-andreas-gursky
   DIR [4] https://dfi-ev.org/
   DIR [5] /Baselitz-Richter-Polke-Kiefer/!5625880
   DIR [6] /Ausstellung-im-Berliner-Broehan-Museum/!5833773
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jochen Becker
       
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