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       # taz.de -- Neuer Premier in Polen bestätigt: Tusk will die EU näher bringen
       
       > Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl kommt der Machtwechsel. Auf
       > acht Jahre rechtspopulistische PiS folgt nun eine Bürgerkoalition (KO).
       
   IMG Bild: Der neue polnische Ministerpräsident Donald Tusk (KO) am 11. Dezember im Sejm
       
       Warschau taz | Noch ist die Regierungsbank im Sejm, dem polnischen
       Abgeordnetenhaus, leer. Statt sofort sein Regierungsprogramm und Kabinett
       vorzustellen, verliest der vom Abgeordnetenhaus gewählte Premier Donald
       Tusk zunächst das Manifest des „grauen Menschen“, das alle in Polen kennen:
       Piotr Szczęsny hatte sich vor sechs Jahren mitten in Warschau mit Benzin
       übergossen und angezündet – aus Protest gegen das PiS-Regime, das
       Demokratie und Rechtsstaat systematisch demolierte.
       
       „Wir können diesen Protest wohl alle unterschreiben“, sagte der
       Liberalkonservative von der Bürgerkoalition (KO). „Aber es geht nun nicht
       darum, die Wähler der Recht und Gerechtigkeit (PiS), die wir in den
       Familien haben, zu verdammen.“ Es gehe darum, sich mit Respekt zu begegnen
       und so allmählich wieder zu einer Gesellschaft zusammenzuwachsen, die sich
       nicht auseinander dividieren und so schwächen lasse.
       
       „Wir müssen auch sehen, dass [1][wir international wieder eine Rolle
       spielen]“, sagte Tusk am Dienstag im Sejm. „Dazu müssen wir aufhören,
       unsere EU- und Nato-Verbündeten als Gegner und sogar Feinde zu bezeichnen.“
       Spät am Montagabend hatte das polnische Abgeordnetenhaus den bisherigen
       Oppositionsführer Tusk mit der Regierungsbildung beauftragt. 248
       Abgeordnete stimmten dafür, 201 dagegen. Am Dienstagabend sollte der Sejm
       der neuen Koalition das Vertrauen aussprechen.
       
       ## Migration, Justiz und Zivilgesellschaft als Herausforderungen
       
       Eine große Herausforderung für die künftige Regierung, so Tusk, sei auch
       [2][die illegale Migration], die eingedämmt werden müsse, ohne dabei
       Menschenrechte zu verraten. Anders als in der PiS-Regierung werde es unter
       Tusk keinen polnischen [3][„Visa-Skandal“ mit Hunderttausenden
       Schengen-Arbeitsvisa] geben.
       
       [4][Die „Koalition des 15. Oktober“], wie man seine Regierung demnächst
       nennen solle, werde die im Wahlkampf versprochenen Gehaltserhöhungen für
       LehrerInnen und KindergärtnerInnen sowie weitere Sozialleistungen so
       schnell wie möglich in Kraft setzen.
       
       „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir uns eines Tages allein werden
       verteidigen müssen“,warnte Tusk. Die Aufgabe des Verteidigungsministers
       werde Vizepremier Wladyslaw Kosiniak-Kamysz von der Bauernpartei PSL
       übernehmen. Das Ministerium des Äußeren werde erneut Radoslaw Sikorski
       leiten, der zwischen 2007 und 2014 bereits diesen Posten unter Premier Tusk
       innehatte.
       
       Die schwierige Aufgabe des [5][Justizministers] werde Adam Bodnar
       übernehmen, den die PolInnen als engagierten Ombudsmann kennen. Er soll das
       Land wieder in einen Rechtsstaat verwandeln. Borys Budka wiederum müsse als
       erstes ein gründliches Audit im Schatzministerium vornehmen. „Das ist zu
       einem Hort des Nepotismus verkommen“, schimpft Tusk.
       
       Mit Agnieszka Buczynska bekommt Polen zum ersten Mal eine Ministerin für
       die Zivilgesellschaft. Auch in diesem Bereich gebe es viel
       wiedergutzumachen. Die Umweltaktivistin Paulina Hennig-Kloska wird als
       Klima- und Umweltministerin dafür sorgen, dass Polen „nicht mehr die
       Müllhalde Europas ist, [6][Fische nicht mehr massenhaft in Flüssen sterben]
       und Wälder nicht mehr abgeholzt und nach China exportiert werden“, so Tusk.
       
       ## LKW-Grenzblockade und Getreideimport im Visier
       
       Katarzyna Kotula von der Neuen Linken wird das neue Ministerium für
       Gleichheit übernehmen und sich auch für die Rechte der [7][LGBT-Bewegung]
       einsetzen. Der neue Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz soll „die
       bisherige Politik der Unkultur“ in richtige Bahnen lenken und [8][die
       Parteibindung vieler „Kultur-Investitionen]“ aufheben. Czesław Siekierski
       soll sich als neuer Landwirtschaftsminister als erstes um die Lkw-Blockaden
       [9][an der polnisch-ukrainischen Grenze] kümmern und die Frage des
       umstrittenen [10][Getreideimports aus der Ukraine nach Polen] neu regeln.
       
       In der anschließenden Debatte im Sejm ergriff als erstes der bisherige
       PiS-Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak das Wort. In einigen Stunden
       wolle sich Tusk „mit der Deutschen Ursula von der Leyen“ treffen, um ihr zu
       vermelden „Auftrag ausgeführt!“ Für die PiS sei er ein „deutscher Spion“
       gegen die Interessen der polnischen Nation. Direkt nach der Vereidigung
       durch Präsident Andrzej Duda (PiS) am Mittwochmorgen wird Tusk am
       EU-Gipfel in Brüssel als neuer Premier teilnehmen.
       
       12 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
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