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       # taz.de -- Ägyptens Friedensplan für Nahost: Neue Roadmap zu Weihnachten
       
       > Was der ägyptische Vorschlag zur Befriedung des Gazakriegs beinhaltet –
       > und warum Hamas und Teile des israelischen Sicherheitsapparates ihn
       > ablehnen.
       
   IMG Bild: Am Rande einer Beerdigung für Opfer israelischer Luftangriffe im Süden des Gazastreifens
       
       Er ist eher kühne Vision als auf breitem Konsens aufgebaut: Der ägyptische
       und von Katar unterstützte Vorstoß zu einem Waffenstillstand – der gar den
       Weg zu einem Frieden zwischen Israel und den Palästinenser*innen
       ebnen könnte. Der Plan, den Ägypten Israel, der Hamas, den USA und den
       europäischen Regierungen am Montag vorlegte, ist nicht öffentlich
       einsehbar, doch die Inhalte kursieren in verschiedenen Medien.
       
       Im ersten Schritt sieht Kairo laut diesen Berichten eine zweiwöchige
       Unterbrechung der Kämpfe vor. Während dieser Zeit sollen 40 israelische
       Geiseln gegen 120 palästinensische Inhaftierte in israelischen Gefängnissen
       getauscht werden. Außerdem soll humanitäre Hilfe in den Gazastreifen
       gelangen.
       
       In der zweiten Phase soll ein Gespräch zwischen den verfeindeten
       palästinensischen Fraktionen stattfinden, das auf eine Versöhnung von Fatah
       und Hamas abzielt und auf die Bildung einer technokratischen Regierung im
       Westjordanland und im Gazastreifen. Diese soll unter der Aufsicht
       internationaler Kräfte gebildet werden und den Wiederaufbau des
       Gazastreifens beaufsichtigen sowie den Weg zu palästinensischen Wahlen
       ebnen.
       
       In der dritten Stufe soll ein umfassender Waffenstillstand folgen. Die
       verbliebenen israelischen Geiseln, einschließlich der Soldat:innen, sollen
       freigelassen werden – im Gegenzug für eine noch nicht definierte, aber wohl
       sehr hohe Anzahl von palästinensischen Inhaftierten in israelischen
       Gefängnissen, die der Hamas und dem Islamischen Dschihad nahestehen.
       Schließlich würde Israel sein Militär aus dem Gazastreifen abziehen.
       
       ## Kein Existenzrecht der Hamas
       
       Hamas und Islamischer Dschihad [1][wiesen den Vorstoß] Ägyptens laut
       Medienberichten am Montag zurück. Sie lehnten, so ließen sie verlauten,
       alle Zugeständnisse, die über die Freilassung der Geiseln hinausgehen, ab.
       Einer der zentralen Streitpunkte ist wohl die Beschaffenheit der
       vorgeschlagenen Technokratenregierung. Zwar beinhaltet der Plan die
       Zusicherung einer Amnestie für alle Hamas-Mitglieder. Doch die Hamas dürfte
       befürchten, dass sie damit die Kontrolle über den Gazastreifen verlieren
       und sie in das Ende ihrer Existenz einwilligen würde.
       
       Aus Israel kam keine offizielle Absage. Doch die Zeichen waren deutlich.
       Netanjahu betonte am Montag gegenüber Soldat:innen im Gazastreifen, dass
       Israel seine Militäroffensive nicht beenden werde, bis die Hamas
       zerschlagen ist.
       
       Genau dieses von Regierungschef Netanjahu immer wiederholte Kriegsziel
       würde mit dem ägyptischen Vorschlag scheitern – nicht nur, weil der
       Vorschlag die Unversehrtheit von Hamas-Kämpfern garantiert, sondern auch,
       weil die Sorge herrscht, dass die Hamas unter dem Deckmantel einer
       technokratischen Regierung den Gazastreifen weiter kontrollieren könnte.
       
       Außerdem wäre ein weiteres Ziel mit dem Vorschlag gescheitert:
       [2][Netanjahu hatte mehrfach betont], dass Israel für einen längeren
       Zeitraum nach dem Krieg die Kontrolle im Gazastreifen behalten würde. Der
       Plan sieht jedoch den kompletten Abzug der israelischen Streitkräfte vor.
       
       ## Netanjahu lässt die Muskeln spielen
       
       Doch die Ablehnung des Plans ist zumindest unter israelischen
       Sicherheitsbeamten nicht absolut. Nach Medienberichten würden sie den
       Vorschlag als Grundlage für weitere Verhandlungen betrachten. Ob diese
       Verhandlungen unter Netanjahu geführt werden können, ist zu bezweifeln.
       Angesichts des massiven innenpolitischen Drucks ist er in den
       Wahlkampfmodus gewechselt, wettert gegen die Zweistaatenlösung und ließ in
       einem am Montag veröffentlichten [3][Kommentar im Wall Street Journal]
       weiter seine Muskeln spielen.
       
       Seine Bedingungen für Frieden: „Die Hamas muss zerstört, Gaza
       entmilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft entradikalisiert
       werden.“ Dabei ging er mit keinem Wort auf die israelischen Geiseln ein,
       deren Schicksal die israelische Gesellschaft spaltet – und genauso wenig
       auf die Möglichkeit eines palästinensischen Staates.
       
       Doch ohnehin stellt sich die Frage, ob nicht bald jemand anders die
       Geschicke des Landes lenken wird. Zum ersten Mal seit dem Beginn des
       Krieges forderten am Samstagabend Tausende in Tel Aviv und im Norden
       Israels ein Ende der Netanjahu-Regierung. Bislang hatten die Geiseln im
       Fokus der Proteste gestanden.
       
       Organisiert wurden die regierungskritischen Proteste maßgeblich von
       Bewohner:innen der nördlichen Ortschaften an der Grenze zum Libanon,
       die vor mehr als zwei Monaten aus dem Zentrum des Landes evakuiert wurden
       und angesichts der täglichen Raketenangriffe noch immer nicht zurückkehren
       können. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen.
       
       26 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!5981529
   DIR [2] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!5971719
   DIR [3] https://www.wsj.com/articles/benjamin-netanyahu-our-three-prerequisites-for-peace-gaza-israel-bff895bd
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Judith Poppe
       
       ## TAGS
       
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