URI: 
       # taz.de -- Hochwasser in Niedersachsen: Deichrisse, Evakuierung und Kritik
       
       > Das Weihnachtshochwasser hat Niedersachsen weiter im Griff. Auch wenn der
       > Dauerregen erst einmal aufgehört hat, gibt es noch immer keine
       > Entwarnung.
       
   IMG Bild: Einsatzkräfte der Feuerwehr schaffen Sandsäcke heran, nachdem ein Nebenfluss der Leda über die Deiche getreten ist oder sie aufgeweicht hat
       
       Lilienthal/Rinteln/Hannover taz | „Angespannt, aber stabil“, lautet die
       Parole des Tages. Das Weihnachtshochwasser hat Niedersachsen auch am
       Mittwoch immer noch fest im Griff und die Lage bleibt ziemlich
       unübersichtlich. Drei Landkreise – Celle, Hildesheim und das Emsland –
       haben den Status „außergewöhnliches Ereignis“ ausgerufen – das ist knapp
       unterhalb des Katastrophenfalls, erläutert Landesbranddirektor Dieter
       Rohrberg in der Landespressekonferenz. Er möchte das gern als positives
       Zeichen deuten: Als Zeichen dafür, dass sich seit dem letzten Hochwasser
       2017 eben doch einiges getan hat in Sachen Katastrophenschutz und
       Hochwasservorsorge. Circa 20.000 Einsätze hat die Feuerwehr an diesen
       Feiertagen gefahren, rund 100.000 Männer und Frauen waren damit beschäftigt
       – überwiegend ehrenamtlich.
       
       [1][Und eine wirkliche Entwarnung kann immer noch niemand geben.] Zwar hat
       der ergiebige Dauerregen nachgelassen, aber für die kommenden Tage, auch
       rund um Silvester, sind weitere Regenfälle angesagt.
       
       An den großen Talsperren, vor allem der zu mehr als 100 Prozent gefüllten
       Innerstetal- und Okertalsperre, sowie am überfüllten
       Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden im Landkreis Northeim kämpfen die
       Mitarbeiter des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft,
       Küsten- und Naturschutz (NLWKN) darum, möglichst wenig und möglichst
       kontrolliert Wasser abzulassen – um nicht zusätzlich eine Flutwelle in den
       dahinterliegenden Flüßen zu produzieren, erklärt NLWKN-Direktorin Anne
       Rickmeyer.
       
       Ablassen müssen die Talsperren das Wasser aber unbedingt, weil sie ihre
       Kapazitätsgrenzen längst erreicht haben. Dass es so schwer zu kalkulieren
       sei, wann das Wasser dann tatsächlich wo genau ankomme, sagt Rickmeyer,
       liege an der derzeit schwierigen Gesamtmengelage. [2][Im Gegensatz zu 2017
       sind diees Mal viel mehr Gebiete in Niedersachsen betroffen.] Die Böden
       sind wegen des Dauerregens nicht mehr aufnahmefähig, nicht nur die großen
       Flüsse, sondern auch Zuflüsse und Unterläufe führen zu viel Wasser – wo
       diese Wassermassen aufeinander treffen und wohin sie sich dann ihren Weg
       bahnen, ist schwer vorrauszusagen.
       
       Deshalb gibt es neben den schwer betroffenen Landkreises eben eine ganze
       Reihe von Ortschaften, an denen sich die Lage zuspitzt, auch weil Dämme
       aufweichen.
       
       ## Deichriss am Fluss „Wörpe“
       
       Im Bremer Vorort Lilienthal etwa kam es am Mittwochnachmittag zu einem
       Deichriss am Fluss „Wörpe“. Einsatzkräfte evakuierten den Bereich, Anwohner
       wurden laut Auskunft der Gemeinde in eine Notunterkunft gebracht. Zuvor war
       wenige Straßen weiter bereits die Strom- und Gasversorgung ausgefallen, die
       Gemeinde empfahl den Menschen, bei Freunden und Verwandten eine Unterkunft
       zu suchen. Die Keller der Häuser sollten nicht mehr betreten werden.
       
       Im Bremer Stadtteil Borgfeld, der an Lilienthal grenzt, war das Wasser des
       Flusses „Wümme“ ebenfalls übergetreten. Bewohner mussten das betroffene
       Gebiet verlassen, die Feuerwehr holte ältere Menschen aus den Häusern.
       
       In Rinteln konnten 100 evakuierte Bewohner mittlerweile in ihre Häuser
       zurückkehren. Die Feuerwehr hat in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ein
       neuartiges Hochwasserschutzsystem installiert, um den aufgeweichten Damm zu
       entlasten. Die Weser ergießt sich hier aber immer noch als breiter Strom
       mitten durch die Stadt und steht bis auf den Hof der Feuerwehrzentrale.
       
       ## Innenministerin Daniela Behrens (SPD) schwebt ein
       
       Dort schwebte am Mittwochnachmittag Innenministerin Daniela Behrens (SPD)
       ein, um sich ein Bild der Lage zu machen, genauso wie an den Hotspots in
       Braunschweig und Celle. Für sie kommt es auch darauf an, zu überprüfen, ob
       die Bemühungen den Katastrophenschutz auf Landesebene besser zu verzahnen,
       dem Stresstest standhalten. „Wir haben ja durchaus einiges investiert –
       auch in die Bereithaltung von Fahrzeugen und Gerätschaften – was beim
       Ringen um Haushaltsmittel ja auch nicht immer ganz einfach ist“, sagt
       Behrens.
       
       An ihrer Seite macht sich Bürgermeisterin Andrea Lange (Parteilos)
       allerdings schon Sorgen um das Danach. „Wir müssen auch darüber reden, wie
       wir die Schäden, die hier jetzt entstanden sind, wieder beseitigen“, sagt
       sie. Erst im vergangenen Sommer habe sie in Hameln die
       Hochwasserpartnerschaft für die Weser-Anrainer unterzeichnet. „Aber die
       fünf Millionen, die in diesem Topf sind, werden nicht reichen, wenn Sie
       bedenken, dass es von hier bis Minden jetzt gerade so aussieht“, sagt sie
       zu der Ministerin und deutet auf den Bildschirm hinter sich, auf dem Bilder
       aus dem Polizeihubschrauber in Endlosschleife laufen: Nichts als
       überschwemmte Felder und Straßen. Behrens nickt: „Ich nehme das mit.“
       
       Kurz bevor die Ministerin kam ist Lange zusammen mit dem örtlichen
       Landtagsabgeordneten Constantin Grosch außerdem vom Inhaber eines
       Gärtnereibetriebes abgepasst worden, der den Tränen nahe war. Große Teile
       der Gärtnerei stehen schon unter Wasser, seine Maschinen und Geräte sind
       gefährdet, erzählt er, dazu eine Warenlieferung im Wert von einer
       Viertelmillion Euro. „Wenn es dann nachher Hilfsgelder in Form von Krediten
       gibt, nutzt mir das nichts. Ich arbeite 70 Stunden in der Woche und zahle
       mir selbst 1.600 Euro Gehalt im Monat aus – ich kann nicht noch einen
       Kredit stemmen.“ Dabei habe er schon vor Monaten darauf aufmerksam gemacht,
       dass die vorgesehene Regenmulde in der Nähe seines Geländes ausgebaggert
       werden müsste.
       
       ## Kritik an Hochwasserschutzplänen wächst
       
       Auch an anderen Orten wächst die Kritik daran, dass
       [3][Hochwasserschutzpläne] zu langsam umgesetzt würden. Im Landkreis
       Hildesheim beispielsweise, der schon 2017 arg betroffen war, fehlen immer
       noch Regenrückhaltebecken. „Möglicherweise müssen wir uns Gedanken darum
       machen, ob auch hier Planungsbeschleunigungen wie bei den LNG-Terminals
       greifen müssten“, sagt die Sprecherin der Staatskanzlei, Anke Pörksen, in
       der Landespressekonferenz. Aber das greife eben auch sehr tief in
       Eigentumsrechte ein.
       
       27 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hochwasser-in-Deutschland/!5981647
   DIR [2] /Ueberflutungen-in-Deutschland/!5979331
   DIR [3] /Goslar-streicht-Tunnel-Planung/!5900890
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
       ## TAGS
       
   DIR Hochwasser
   DIR Niedersachsen
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR GNS
   DIR Hochwasser
   DIR Hochwasser
   DIR SPD Niedersachsen
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wir retten die Welt
   DIR Hochwasser
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Warntag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Hochwasser in Niedersachen: Keine Entwarnung – aber Hoffnung
       
       Auch wenn sich die Lage in einzelnen Gebieten weiter zuspitzt, gibt das
       Wetter in Niedersachsen Grund zum Aufatmen. Doch die Lehren stehen noch
       aus.
       
   DIR Diskussionen zur Schuldenbremse: Die Flut könnte die Bremse lockern
       
       Ampel-Politiker fordern eine Ausnahme von der Schuldenbremse. Dabei sieht
       auch das Grundgesetz Einschränkungen vor.
       
   DIR Angespannte Hochwasser-Lage: Regen kommt, Hilfskräfte alarmiert
       
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagt weitere Hilfen für die
       Hochwassergebiete zu. Der Städtetag fordert mehr Geld für den
       Katastrophenschutz.
       
   DIR Hochwasser-Lage: Elbe-Pegel sinkt, Weser steigt an
       
       Die Hochwasserlage im Nordwesten und Osten Deutschlands dürfte auch am
       Freitag angespannt bleiben. Zentral ist, wie viel Regen noch fällt.
       
   DIR Schäden durch Wetterextreme: Klimawandel bedroht auch Deutsche
       
       Die Versicherungsschäden durch Unwetter können wir bewältigen. Schlimmer
       ist, dass Wetterextreme auch bei uns zu einer Überlebensfrage werden
       könnten.
       
   DIR Klimawandel und das aktuelle Hochwasser: Vom Himmel hoch, da kommt es her
       
       Aufgeweichte Deiche, überflutete Straßen und wegschwimmende Autos sind die
       neue Normalität. Wie Dürre und Waldbrände. Warum begreift das niemand?
       
   DIR Hochwasser in Niedersachsen: Auf einmal mitten im Gefahrengebiet
       
       In Lilienthal ist ein Deich gerissen, Nachbarn packen mit an. Auch unser
       Autor füllt auf Familienbesuch Sandsäcke, allerdings mit mulmigem Gefühl.
       
   DIR Hochwasser in Deutschland: Fluten, Stauseen, weiche Deiche
       
       Deutschland unter Wasser: Vielerorts laufen Talsperren voll, weichen Deiche
       auf, stehen Sandsack-Barrieren. Es gibt aber auch Regionen mit Entwarnung.
       
   DIR Überflutungen in Deutschland: Leichte Erholung nach Dauerregen
       
       Der Deutsche Wetterdienst hebt seine Warnungen vor starken Niederschlägen
       auf. Doch die Hochwasserlage bleibt an vielen Orten erst einmal angespannt.
       
   DIR Bundesweiter Warntag: Deutschland schlägt Alarm
       
       Klima, Krieg und Katastrophen: Die Bevölkerung soll besser gewarnt werden.
       Doch zugleich müssen die zuständigen Behörden mit weniger Geld rechnen.