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       # taz.de -- Die Wahrheit: Im Pinguingang
       
       > In eisigen Zeiten wird es draußen gefährlich. Aber es gibt Abhilfe:
       > Fortbewegungsarten aus der Natur können Menschen vor dem Glatteis retten.
       
       Zu Beginn des Winters war es zu einem Risikounternehmen geworden, das Haus
       zu verlassen. Das hatte mit wachsender Jugendgewalt und den schändlichen
       Umtrieben der Klimakleber weniger zu tun als mit den Temperaturen um den
       Gefrierpunkt, die uns zeitweise heimsuchen. Als ich zum Beispiel versuchte,
       den Platz gegenüber dem nächstgelegenen Supermarkt zu überqueren,
       strauchelte ich auf dem überfrierenden Matsch. Da dabei das Knie meiner
       Jeanshose zuschanden ging, beschloss ich, mir professionelle Hilfe zu
       suchen.
       
       Gottlob hatte der Norddeutsche Rundfunk die Lösung für mein Problem parat:
       „Glatteis: So lassen sich Stürze vermeiden“, hieß das ins Netz gestellte
       Brevier. Es versprach Instruktionen zu Techniken und Hilfsmitteln, mit
       denen sich das Ausgleiten auf spiegelglatten Flächen verhindern ließe.
       
       Gleich der erste Ratschlag erschien mir wie ein, Pardon, ungebremster
       Aufprall auf den Hinterkopf: „Insbesondere Ältere und Menschen, die ohnehin
       unsicher beim Gehen sind, sollten bei Glatteis am besten zu Hause bleiben“,
       stand da. Denn: „Stürze können schlimmstenfalls zu Verletzungen wie
       Oberschenkelhalsbrüchen oder Kopfverletzungen führen.“
       
       Dieser Geist von Feigheit und Vermeidungsverhalten, der Deutschland so
       gründlich ruiniert hat, hätte nicht als Hinweis formuliert werden müssen.
       Er entspricht doch unserem Nationalinstinkt, genau wie die weiteren Tipps,
       sich auf Eisflächen langsam und kontrolliert möglichst in Nähe von Zäunen
       und Geländern zu bewegen, statt schnell und hektisch am Rand von Abgründen,
       Rennstrecken und Lavaströmen.
       
       Danach wurde allerdings ein Meteorologe zitiert, der bei Glätte die
       sogenannte Pinguin-Gangart empfahl. Die Körper- und Fußhaltung des Vogels
       sei schließlich perfekt an die Fortbewegung auf Eis angepasst. Es gelte
       deshalb, „langsam und mit kleinen Schritten eher zu watscheln als zu gehen.
       Der Fuß sollte nicht nur mit der Ferse, sondern komplett aufgesetzt
       werden.“
       
       Leider wurde nicht geraten, beim Watschelgang auch das Piepsen, Schnarren
       und Trompeten der Pinguine nachzuahmen und dabei frische Fische zu snacken,
       sondern lediglich, vornübergeneigt zu gehen, um sich im Falle eines Falles
       nicht das Steißbein zu stoßen.
       
       Wer aber unbedingt stürzen wolle, solle bitte daran denken, „sich die
       Unterarme und die gestreckten Hände vor das Gesicht zu halten, um Brüche
       des Handgelenks oder der Nase zu vermeiden“. Auch hier also wieder nichts
       als Risiko-Aversion! Statt den unternehmerischen Wagemut der flugunfähigen
       Vögel im Eismeer als Vorbild zu empfehlen, wird zu Metallspikes unter den
       Schuhen geraten, als lebten wir in den Fünfzigerjahren.
       
       Ich aber würde mir bei den Pinguinen eher die Fortbewegungsmethode
       abgucken, bei Glätte auf dem Bauch bergabwärts zu schlittern. Und um dort
       anschließend nicht hinzufallen, würde ich mich wie ein Klimajugendlicher
       irgendwo festkleben.
       
       28 Dec 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mark-Stefan Tietze
       
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