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       # taz.de -- Generation-Z und Arbeitsmoral: Niemand will mehr arbeiten!
       
       > Jungen Menschen wird von Konservativen vorgeworfen, faul und
       > leistungsschwach zu sein. Die Debatte schießt am Ziel vorbei.
       
   IMG Bild: Wer sagt, dass die Jugend faul ist? – Die Produktivität steigt, die Arbeitslosenzahlen sinken
       
       Konservative sagen oft, dass junge Leute nicht mehr richtig arbeiten
       wollen. Also so richtig arbeiten, mit Blut, Schweiß und Tränen. Fakten wie
       steigende Produktivität und sinkende Arbeitslosenzahlen überzeugen sie
       nicht vom Gegenteil. Auch 2023 begleitete uns das Geraune von der faulen
       Jugend, oft gemischt mit ein wenig Verachtung.
       
       Der Chef des Softwarekonzerns SAP will seine Mitarbeiter*innen künftig
       nach Leistung einteilen und Jens Spahn findet, dass Deutschlands
       Arbeitswelt ein „Freizeitpark“ ist. Das ist ärgerlich, denn in Zeiten des
       Rechtsrucks wird aus einem alten Gag eine kulturkämpferische Parole, die
       die Gesellschaft in Leistungsstarke und Faulenzer spaltet.
       
       Dem liegt ein Leistungsbegriff zugrunde, der Busfahrer*innen,
       Alleinerziehende oder Pflegepersonal vergisst. [1][Junge Menschen ecken
       an], weil sie plötzlich eine Vier-Tage-Woche fordern. Konservative
       reagieren darauf mit Unverständnis. Statt Klagen bräuchten junge Menschen
       aber positive Utopien vom Arbeitsleben.
       
       Denn so anspruchsvoll sind sie gar nicht. Sie wollen, wie die Generationen
       vor ihnen, Sinn in ihrer Arbeit finden. Auch die Erkenntnis, dass
       Produktivität keine lineare Größe ist und gesunde Arbeitnehmer*innen
       mit einem funktionierenden Sozialleben weniger krank und weitaus
       produktiver sind, scheint in Vergessenheit geraten zu sein.
       
       Die enormen Herausforderungen, vor denen junge Menschen in ihrer Zukunft
       stehen, werden nicht thematisiert. [2][Der Fachkräftemangel] und der
       demografische Wandel werden dazu führen, dass sie länger arbeiten und mehr
       Care-Arbeit leisten müssen. Da liegt es nahe, sich schon jetzt mit der
       eigenen Work-Life-Balance auseinanderzusetzen.
       
       ## Die faule Jugend ist ein Jahrhundertmärchen
       
       Sie starten ins Berufsleben mit dem Wissen, dass es die Rente in ihrer
       heutigen Form nicht mehr geben wird. Das führt zu Unsicherheit. Die Antwort
       der Konservativen auf diese Sorgen ist jedoch: Man stellt sich in die
       Öffentlichkeit, brüllt „Niemand will mehr arbeiten“, zeigt auf eine
       Werkbank und hofft auf Demut und Ehrfurcht.
       
       Vielleicht geht es gar nicht um die Leistung der jungen Generation, sondern
       um Leistung als politische Projektion. Oft geht es in der Diskussion
       tatsächlich darum, unliebsame soziale Gruppen auszuschließen, in dem sie
       als faul gebrandmarkt werden. Die Frage, in welchem Verhältnis Leistung zu
       Lohn und Anerkennung steht, wird jedenfalls nicht ernsthaft diskutiert.
       
       Betrachtet man die Geschichte der Arbeit, so lassen sich die Beispiele, in
       denen das Geschrei nach „Leistung“ bei irgendjemandem irgendein abstraktes
       „Leistungsbewusstsein“ hervorgerufen hat, an fünf, besser null Fingern
       abzählen. Die Fälle, in denen die Arbeitswelt von besseren
       Arbeitsbedingungen profitiert hat, sind dagegen zahlreich. Man könnte zum
       Beispiel damit beginnen, Auszubildenden eine Ausbildungsvergütung zu
       zahlen, von der sie leben können. Klingt utopisch, aber für
       sozialromantische Träumereien schreibe ich ja [3][diese Kolumne].
       
       Man könnte das alles gelassen sehen: Je höher die Zahl der
       sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und je höher die Produktivität,
       desto lauter wird offenbar das Jahrhundertmärchen von der
       Leistungsunfähigkeit der faulen Jugend. Aber so unterhaltsam das aus der
       Makroperspektive auch sein mag: Es nervt.
       
       Ich wünsche mir, dass wir im Jahr 2024 mehr darüber reden, wie wir die
       Arbeitswelt verbessern können, wie wir die Menschen glücklicher und
       zufriedener machen können und wie wir die Leistung derer wertschätzen
       können, die heute in dieser Debatte nicht vorkommen. Frohes Neues!
       
       21 Dec 2023
       
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