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       # taz.de -- Speckbrett in Münster: Die Bretter, die die Stadt bedeuten
       
       > Münster hat einen eigenen Sport. Nur hier wird Speckbrett in einer
       > Hobbyliga und auf kostenlosen Plätzen gespielt. Es ist ein charmanter
       > Mikrokosmos.
       
   IMG Bild: Preisgünstiger Sport: Speckbrettschläger sind erschwinglich und ewig haltbar
       
       Wer aus Münster kommt, weiß, was Speckbrett ist. Wer nicht aus Münster
       kommt, hat nur in seltenen Fällen von diesem tennisähnlichen Sport gehört.
       
       [1][Die Münsteraner] spielen ihn auf ausgewiesenen Speckbrettplätzen, im
       Südpark etwa, an der Sentruper Höhe, am Ostbad, in Sudmühle. Dort kann
       jeder mit den speziellen Schlägern und Tennisbällen einfach hingehen und
       spielen, kostenlos. Aber eben nicht, um Tennis zu spielen:
       „Speckbrett-Spieler haben absoluten Vorrang vor Spielern mit
       Tennisschlägern“, steht auf den Schildern, die die Stadt dort aufgehängt
       hat.
       
       Timo Höppner ist in Münster aufgewachsen. Mit 8 Jahren hat er das erste Mal
       Speckbrett gespielt. Bis heute hat er, 46 Jahre alt, nicht aufgehört. Seit
       26 Jahren ist er Mitglied im Speckbrettverein Sentruper Höhe. Seit 23
       Jahren, sein halbes Leben lang, sitzt er im Vorstand. Höppner sagt, er
       gehöre zur „Generation Becker“. Zu denjenigen, die der damals 17-jährige
       Tennisnewcomer Boris Becker durch seinen Wimbledon-Triumph mit einem Schlag
       zu Fans machte. Weil Höppner am Südpark wohnte und die Speckbrettplätze vor
       seiner Haustür waren, fing er an, Speckbrett zu spielen.
       
       Heute kann er nahezu jede Frage zu dem Sport beantworten. Dessen Ursprünge,
       erzählt Höppner, liegen im Jahr 1929, als ein Professor aus Münster, aus
       Freiburg nach Westfalen gezogen, eine Ferienfreizeit in seinem
       Schwimmverein organisierte. Am Titisee im Schwarzwald trafen sich die
       Schwimmer aus Münster mit denen aus Freiburg.
       
       ## Ferienbelustigung im Schwarzwald
       
       Dort schlugen sie – als Ferienbelustigung – auf einer freien, dürftig
       planierten Aschefläche mit Brettern einen Ball über ein Netz. In Münster,
       sagt Höppner, wären die Behelfsschläger wahrscheinlich Schinken- oder
       Schneidebrett genannt worden. „Aber da unten hieß das Speckbrett.“ Die
       Gäste aus Münster nahmen die Sportart mit in ihre Stadt. Bereits 1930, ein
       Jahr später, schufen Vereinsmitglieder der SV 91 Münster die ersten
       Speckbrettplätze in Sudmühle; der Ursprung des Speckbretts in Münster.
       
       An der Sentruper Höhe errichtete die Stadt in den Sechzigerjahren erstmals
       öffentliche Asphaltplätze, auf denen jeder spielen durfte. Speckbrettplätze
       sind kleiner als Tennisplätze. Rund vier Meter kürzer in der Länge, rund
       zwei Meter in der Breite beim Doppel. Es gibt kein kleines Aufschlagfeld
       wie beim Tennis, sondern nur ein rechtes und linkes Feld, in das diagonal
       aufgeschlagen wird. Schläger sind die Speckbretter, meistens rund 50
       Zentimeter lange Echtholzbretter mit runden Löchern auf den Schlagflächen.
       
       Im Gegensatz zum Tennis müssen die Bretter nicht bespannt werden. Deshalb
       sind sie auch nach Jahrzehnten noch brauchbar. Und: Wenn man den Ball nicht
       ganz mittig trifft, kommt er in der Regel trotzdem irgendwie über das Netz.
       Insofern seien Ballwechsel oft länger als beim Tennis. Höppner sagt, der
       Speckbrettschläger verzeihe mehr. Timo Höppner schätzt, in den Vereinen
       seien knapp 10 Prozent Frauen organisiert. Auf den
       Asphalt-Speckbrettplätzen, dort, wo Speckbrett von jedem kostenlos gespielt
       werden kann, spielen etwa 20 Prozent Frauen, sagt Höppner. Er erklärt es
       sich auch mit dem Gewicht der Speckbretter. Die meisten wiegen zwischen 450
       und 550 Gramm, rund das Doppelte eines Tennisschlägers.
       
       Die meisten fangen mit Mitte 20 oder in den 30ern mit Speckbrett an. Kinder
       oder Jugendliche an Brettern, so wie Höppner damals, sind selten.
       Typischerweise sind es Quereinsteiger aus anderen Sportarten wie Fußball.
       Für viele ein klassischer Zweitsport, sagt Höppner. Das gilt auch für
       Julian Hols, 25 Jahre alt. Zusammen mit Freunden spielt er in der Bunten
       Liga, [2][einer Hobbyliga,] für die sich Mannschaften anmelden können und
       die selbstorganisiert auf den Asphaltplätzen in der Stadt spielen. „Das
       Schönste an der Sache ist“, sagt Hols, „dass es für lau ist. Tennis ist
       verdammt teuer.“
       
       ## Stadtbester und Weltklasse zugleich
       
       Speckbrett hat es nie wirklich aus der Stadt raus geschafft. [3][Es gibt
       zwar in Berlin-Charlottenburg einen Verein mit Speckbrettabteilung,]
       allerdings ohne wirklichen Spielbetrieb. Timo Höppner, der fast jeden mit
       Namen begrüßt, der zum Spielen an einen Speckbrettplatz kommt, meint, man
       könne den Sport nur schwer irgendwo anders hinpflanzen. Dafür sei er Tennis
       zu ähnlich. Und: „Welche Kommune würde, einfach auf gut Glück, Plätze
       bauen?“
       
       Unwahrscheinlich, wenn Städte nach Bedarf bauen und kaum jemand außerhalb
       von Münster die Sportart kenne. „Ich, und nicht nur ich, finde es, ehrlich
       gesagt, auch ganz charmant, dass es etwas Eigenes ist. Etwas, was kein
       anderer hat“, sagt Höppner. Ein Mikrokosmos, in dem der Beste der Stadt
       automatisch der Beste der Welt ist.
       
       Tobias Kaiser, 35 Jahre alt, hatte es im Sommer ins Finale der
       Stadtmeisterschaften geschafft. Finalgegner war Timo Kießlich, 10 Jahre
       jünger und für zweieinhalb Jahre in den USA College-Tennisspieler in
       Tennessee. Er, gerade nur für ein Praktikum in Münster, hat noch weniger
       Speckbretterfahrung als Kaiser, der vor gerade einmal fünf Monaten das
       erste Mal ein Brett in der Hand hatte. Drei Wochen vor dem Turnier sei er
       im Südpark joggen gewesen, habe ein paar Leute spielen gesehen und gefragt,
       ob er auch mal zum Brett greifen dürfe. Im Anschluss habe er sich für die
       offene Klasse der Stadtmeisterschaften angemeldet.
       
       Nun steht er im Finale, in dem er das fünfte Mal in seinem Leben Speckbrett
       spielt. Und tatsächlich gewinnt er es in drei Sätzen. Er ist Stadtmeister.
       Man könnte ihn auch Speckbrett-Weltmeister nennen.
       
       2 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Wahrheit/!5921756
   DIR [2] https://www.speckbrettliga.de/
   DIR [3] /Archiv-Suche/!1226258&s=speckbrett&SuchRahmen=Print/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lars Graue
       
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