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       # taz.de -- Digitalisierung beim Bafög: Online-Antrag, ausgedruckt
       
       > Digitales Bafög sollte vieles leichter machen – doch bisher ist oft das
       > Gegenteil der Fall. Studierende warten teils noch länger auf ihren
       > Bescheid.
       
   IMG Bild: Digitalisierung kann in Bayern mitunter auch analog sein: Bafög-Antrag 2024 (Symbolfoto)
       
       München taz | Das Studierendenwerk München Oberbayern hat ziemlich viel
       Arbeit mit ins neue Jahr geschleppt. In dieser Woche werden die
       Sachbearbeiter:innen immer noch Bafög-Anträge aus dem August
       abarbeiten. Isabella Engelke wartet sogar schon seit Juni auf ihren
       Bescheid. Die 22-Jährige studiert Kunstgeschichte an der
       Ludwig-Maximilians-Universität in München.
       
       Als sie sich zuletzt im November nach dem Stand der Bearbeitung erkundigte,
       reagierte der Sachbearbeiter dünnhäutig: „Wenn ich morgen vom Bus
       überfahren werde, macht niemand meine Arbeit.“ Auf seiner Website bittet
       das Münchner Studierendenwerk, keine Nachfragen zum Bearbeitungsstand zu
       stellen. Wegen der hohen Arbeitsdichte fielen über den Jahreswechsel auch
       die Telefonsprechzeiten für drei Wochen aus.
       
       Dass die Bafög-Ämter bis zu zwei Monate brauchen können, um einen Antrag zu
       bearbeiten, ist bekannt. Doch aktuell häufen sich die Fälle, in denen
       Studierende deutlich länger warten. Bei einer Umfrage der „Tagesschau“
       unter fast 3.000 Studierenden gab jede:r Dritte an, bis zu fünf Monate
       oder länger zu warten. Die Bafög-Ämter begründen das teils mit der höheren
       Nachfrage. Im Jahr 2022 erhielten knapp 490.000 Studierende Bafög – und
       damit 5 Prozent mehr als 2021.
       
       Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) führt den Anstieg
       auf die Bafög-Reform zurück, die die Ampel zu Beginn ihrer Amtszeit
       durchgeführt hat. Damals erhöhten SPD, Grüne und FDP nicht nur die
       Fördersätze, sondern auch Freibeträge und Altersgrenzen. Der Kreis der
       Studierenden, die Bafög beantragen dürfen, ist damit größer geworden.
       
       ## Auswirkungen des Fachkräftemangels
       
       Das bemerken auch die Bafög-Ämter. Beim Studierendenwerk München
       Oberbayern, das für Studierende von 19 Hochschulen zuständig ist, gingen im
       vergangenen Jahr 270 Anträge mehr als noch 2022 ein. Das Deutsche
       Studierendenwerk (DSW) schätzt, dass ein:e Sachbearbeiter:in im
       Durchschnitt pro Jahr mittlerweile 650 Fälle bearbeitet.
       
       DSW-Geschäftsführer Matthias Anbuhl beobachtet, dass der Fachkräftemangel
       auch die Bafög-Ämter trifft. Es werde immer schwerer, Fachpersonal mit der
       nötigen juristischen und verwaltungstechnischen Ausbildung zu finden, sagt
       Anbuhl der taz. „Die Konkurrenz durch die Kommunen ist groß, die können
       auch mehr bezahlen.“ Allerdings scheint nicht überall Personal zu fehlen:
       Das Studierendenwerk Berlin beispielsweise teilt auf Anfrage mit, nicht vom
       Personalmangel betroffen zu sein – und Bafög-Anträge im Schnitt in 8–10
       Wochen zu bearbeiten.
       
       Davon kann Martina Jobst, Sachbearbeiterin im Studierendenwerk Regensburg,
       nur träumen: „Aktuell ist der Stand, dass viele von uns mit den
       Weiterförderungsanträgen aus dem Jahr 2022 noch nicht fertig sind.“ Seit
       1991 bearbeitet Jobst Bafög-Anträge. Sie kennt noch die Zeiten, als Anträge
       schriftlich bearbeitet und Datenblätter an ein externes EDV-Institut
       weitergeleitet wurden. Ganz so umständlich läuft die Bearbeitung nicht mehr
       ab, dennoch stapeln sich die Aktentürme. „Momentan gibt es einen enormen
       Mehraufwand, weil der Antrag digital ist, aber die Bearbeitung nicht.
       Früher kamen die Anträge per Post und wir konnten es direkt abheften. Jetzt
       muss man es immer ausdrucken, sortieren und zuteilen“, sagt Jobst.
       
       ## In Bayern ist die Digitalisierung analog
       
       Wie in allen anderen Bundesländern wurde vor zwei Jahren auch im
       Studierendenwerk Regensburg ein einheitliches digitales Antragssystem für
       das Bafög-Verfahren eingeführt. Die Problematik dabei: Studierende können
       die Anträge zwar online stellen, doch die Sachbearbeiter:innen müssen
       diese nach wie vor ausdrucken und in analoge Akten sortieren. Für die
       Sachbearbeiter:innen bedeutet das: unnötige Mehrarbeit. „Die ganze
       Papierflut führt zu Bearbeitungsstaus“, so Jobst. Hinzu komme, dass manche
       Studierende den Antrag über das Onlineportal stellten, ihre Unterlagen aber
       zusätzlich noch postalisch schickten. „Das muss man dann erst mal
       durchblicken.“
       
       Als „Digitalisierung ad absurdum“ bezeichnet DSW-Geschäftsführer Anbuhl den
       aktuellen Stand: „Wir haben zwar den digitalen Antrag, aber es gibt keinen
       digitalen Bescheid und keine digitale Akte.“ Die Leidtragenden seien
       letztlich die Studierenden, die lange auf ihren Antrag warten müssten – und
       die Beschäftigten in den Bafög-Ämtern.
       
       Eigentlich sollte diese Problematik inzwischen zumindest in Sachsen-Anhalt
       gelöst sein. Im Digitalisierungsprozess des Bafög-Verfahrens ist es das
       erste Bundesland, das eine elektronische Akte einführen sollte,
       vorangegangen mit den Studierendenwerken Halle und Magdeburg. Dieser
       Prozess gerät nun aber auch ins Stocken: „Der Testbetrieb für die E-Akte
       ist im Studierendenwerk Halle inzwischen abgeschlossen, dabei wurde
       festgestellt, dass es noch Erweiterungen bei der Datenbank-Infrastruktur
       des Bafög-Verfahrens bedarf“, sagt Stefanie Loreck, Pressesprecherin des
       Studierendenwerk Halle.
       
       ## Verzögerte Auszahlung schafft soziale Härten
       
       Geplant sei, dass die E-Akte zum Frühjahr 2024 genutzt wird. Bis dahin
       stapeln sich die Anträge weiter, eine enorme Mehrbelastung für die
       Sachbearbeiter:innen, besonders vor dem Hintergrund steigender
       Onlineanträge: In Halle stellten dieses Jahr dreimal so viele Studierende
       einen Online-Antrag wie noch im Vorjahr. Nach Angaben des
       Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat sich die Zahl der
       Onlineanträge bundesweit in den ersten sieben Monaten des Jahres im
       Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 15.000 erhöht.
       
       Für manche Student:innen hat die stark verzögerte Auszahlung des Bafög
       harte Konsequenzen. Etwa für Phoebe Adamietz, die an der LMU München
       Philosophie und Anglistik studiert. Sie muss jetzt von München in das
       Umland ziehen, weil sie ihre Miete nicht mehr zahlen kann und von ihrer
       Familie auch nicht entsprechend unterstützt werden kann. „Um weiter
       studieren zu können, nehme ich jetzt einen Kredit bei der KfW auf“, sagt
       Adamietz.
       
       Warum die Einführung der E-Akte nicht in allen Ländern zeitgleich
       stattfindet, liegt an der gesetzlichen Regelung für die
       Bundesauftragsverwaltung. Gemäß dieser sind ausschließlich die Länder und
       Kommunen für die Bearbeitung der Bafög-Anträge zuständig und somit auch für
       deren Digitalisierung. Die 150 Millionen Euro, die der Bund in diesem Jahr
       zusätzlich für Bafög zur Verfügung stellt, können deshalb auch nicht dafür
       ausgegeben werden. Aus dem BMBF heißt es dazu auf Anfrage: „Der Bund kann
       lediglich eine zeitnahe Einführung der E-Akte fordern, was er in der
       Vergangenheit mehrmals getan hat.“
       
       ## Komplizierte Prüfverfahren
       
       Neben der stockenden Digitalisierung sorgen aber auch die komplexen
       Bearbeitungsvorgaben für Verzögerungen. „Bei vielen Anträgen müssen wir
       Unterlagen nachfordern“, sagt Sachbearbeiterin Jobst. Besonders bei den
       Einkommensnachweisen der Eltern könne es kompliziert werden: „Wenn sie
       geschieden sind und neue Partner:innen haben, müssen wir auch Nachweise
       über die Unterhaltsleistungen dieser anfordern, um die Freibeträge
       berechnen zu können“, sagt Jobst.
       
       Zudem würden die Fälle auch immer komplexer: „Wir haben auch viele
       internationale Studierende. Da gibt es auch Sprachbarrieren und Fragen zum
       Aufenthaltsstatus.“ So sei etwa die Zahl der Bafög-Anträge von ukrainischen
       Studierenden gestiegen. Da, so Jobst, müssten die Nachweise der Vorstudien
       geprüft werden.
       
       Die häufigen Nachforderungen von Unterlagen treffen bei vielen Studierenden
       und deren Eltern auf Unverständnis. Die Münchner Studentin Engelke musste
       beispielsweise nachweisen, dass ihre 11-jährige Schwester nicht arbeitet
       und nicht zu einem höheren Gesamteinkommen der Eltern beiträgt. Ihre
       Kommilitonin Adamietz wurde dazu aufgefordert, Dokumente einzureichen, die
       das Amt eigentlich bereits mit ihrem Erstantrag erhalten hatte.
       
       ## Es fehlen die Sachbearbeiter:innen
       
       Martina Jobst weiß um diese Diskrepanz, sie nimmt viele verärgerte Anrufe
       von Eltern und Studierenden entgegen. „Die Studenten denken dann, wir
       wollen ihnen was Böses. Ich verstehe ihre Seite auch, aber es ist eben die
       gesetzliche Vorgabe, entsprechende Dokumente anzufordern.“
       
       Nicht selten läuft die Kommunikation aber auch einfach deshalb schief, weil
       Sachbearbeiter:innen schlicht überlastet sind. Im Studierendenwerk
       München wäre eine „Aufstockung des Personals um 30 Prozent wünschenswert“,
       teilt ein Sprecher mit. Das Studierendenwerk Niederbayern/Oberpfalz, dem
       auch das Amt in Regensburg angehört, in dem Martina Jobst arbeitet, hat
       diesbezüglich bereits einen Antrag an das Bayerische Finanzministerium
       gestellt.
       
       Ob die Bafög-Ämter gehört werden, ist ungewiss. Bis es so weit ist, bleibt
       Student:innen wie Isabella Engelke und Phoebe Adamietz nichts weiter
       übrig, als zu warten, bis Sachbearbeiterinnen wie Martina Jobst irgendwann
       ihren Antrag im Stapel erreichen.
       
       3 Jan 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sara Rahnenführer
       
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