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       # taz.de -- Wirtschaftskrise auf Kuba: Die Ökonomie der Insel vergreist
       
       > Auf Kuba fehlen Grundnahrungsmittel, Energie und Benzin. Immer mehr junge
       > Menschen wandern aus – und das hat negative Folgen fürs Land.
       
   IMG Bild: Junge Menschen sucht man in Kuba oft vergebens, wie hier in der Hauptstadt Havanna
       
       Cárdenas/Havanna taz | Cárdenas heißt die Hafenstadt gleich um die Ecke des
       kubanischen Tourismus-Hotspots Varadero. Die Stadt mit mehr als 100.000
       Einwohner:innen war noch in den 1950er Jahren eine prosperierende
       Hafenstadt mit großen Lagerhäusern, moderner Bahnstation und großer
       Rumfabrik. Lange vorbei, von den alten Hafenanlagen sind nur noch Ruinen
       übrig, der Jugendstil-Bahnhof ist ausgeweidet und ein paar rostige Waggons
       stehen auf den Gleisen.
       
       Für Rita García ist das Teil der prekären Realität der Hafenstadt, die sie
       zu lindern sucht. Jeden Tag liefert das christliche Zentrum für Reflexion
       und Dialog (CCRD), dem sie als Direktorin vorsteht, 120 Mahlzeiten auf
       Rädern aus, um alleinstehende Rentner:innen zu versorgen. „Der Bedarf
       ist immens, denn die Auswanderung ist in Kuba eines der omnipräsenten
       Themen“, sagt García. „Die Jungen gehen, die Alten bleiben und das haben
       auch wir hier am CCRD zu spüren bekommen. Viele Mitarbeiter:innen
       emigrierten, wir mussten uns fast vollkommen neu organisieren.“
       
       Auswanderung aus Perspektivlosigkeit prägt die Insel seit dem November
       2021. Überalterung ist ein immer sichtbareres Phänomen und es dämpft die
       Zukunftsperspektiven der Inselökonomie, so Omar Everleny Pérez. Er lebt in
       Miramar, einem Stadtteil der Hauptstadt Havanna, und analysiert die
       volkswirtschaftliche Situation auf der Insel. Lange war Pérez leitender
       Wissenschaftler am Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC), seit
       ein paar Jahren ist er für externe Universitäten und Medien im Einsatz.
       „2022 und 2023 sind vorläufigen Zahlen zufolge rund 500.000 Kubaner und
       Kubanerinnen ausgewandert – fast alle jung, gut ausgebildet und auf der
       Suche nach Perspektiven“, sagt Pérez.
       
       Perspektiven sehen viele auf der Insel nicht mehr, wo der [1][Mangel an
       allen Ecken und Enden] kaum zu übersehen ist. „No hay“ – auf Deutsch: „gibt
       es nicht“ – steht in Kuba immer wieder auf aushängenden Pappschildern, ob
       an Tankstellen, im Lebensmittelladen an der Ecke oder im Supermarkt. Die
       Regierung von Präsident Miguel Díaz-Canel, der jüngst im befreundeten Iran
       weilte und auf neue Kredite hofft, vertröstet stoisch auf bessere Zeiten.
       Das macht viele mürbe. Beleg dafür ist, so Omar Everleny Pérez, dass die
       Menschen anders als früher ohne Rückflugticket gehen. „Wer auswandert,
       versilbert derzeit alles für den Neustart in den USA oder anderswo.“ In den
       Vereinigten Staaten kamen allein im Oktober dieses Jahres mehr als 18.000
       Kubaner:innen an, so die US-Behörden.
       
       ## Der kubanische Traum vom Leben in den USA
       
       Die werden meist durchgewunken, auch wenn der über Jahrzehnte geltende
       Sonderstatus für Menschen aus Kuba im Jahr 2017 durch Barack Obama
       eingeschränkt wurde. Am kubanischen Traum vom besseren Leben in den USA hat
       das nichts geändert. [2][Dorthin emigrieren derzeit rund 80 Prozent], die
       restlichen 20 Prozent verteilen sich auf Länder wie Spanien, Panama, aber
       auch Russland oder Serbien, weil Kubaner:innen dort ohne Visum
       einreisen dürfen.
       
       Auf der Insel, die ökonomisch weit vom Niveau vor der Coronapandemie
       entfernt ist, vertieft die Auswanderung die latente ökonomische Krise.
       Gerade einmal 1,7 Prozent Wachstum werden für 2023 erwartet, die Prognosen
       für 2024 sind nicht besser. Ein Grund ist, dass der Tourismus nicht wieder
       auf Touren kommt. Mit 3,5 Millionen Besucher:innen hat die Regierung in
       Havanna 2023 geplant. Doch es wurden nicht mehr als 2,2 bis 2,3 Millionen
       Tourist:innen. „Tourismus lässt sich nicht vom Rest der Wirtschaft
       abkoppeln. Wenn es überall an Benzin, an frischen Nahrungsmitteln fehlt,
       bekommt das auch der Tourismussektor zu spüren – meist indirekt“, so
       Everleny Pérez.
       
       Für Reisende droht nahezu jede Fahrt mit einem Mietauto zum Problem zu
       werden. Wenn sie den Trip trotzdem wagen, gehören die tristen Bilder von
       brachliegenden Feldern, der weitgehend fehlenden produktiven Infrastruktur,
       von Orten ohne Kinder und Jugendliche dazu. „Der Anteil der über
       Sechzigjährigen wird in drei, vier Jahren bei rund 30 Prozent liegen“, sagt
       Pérez. Doch bei anhaltender Auswanderung könnte es noch schneller gehen.
       
       ## Kubanische Regierung scheut Reformen
       
       Die Inselökonomie überaltert, Fachkräfte fehlen. Selbst im Tourismus sind
       gut ausgebildete Servicekräfte wie Magdalia Pérez aus Cárdenas selten. Die
       Vierzigjährige würde nur zu gern mit ihren beiden Kindern ausreisen, denn
       sie hat die Hoffnung verloren, dass sich in Kuba trotz aller Reformen
       wirklich etwas ändern wird. Das treibt viele ins Ausland.
       
       In den letzten Jahren sind in Kuba rund 9.000 kleine und mittlere
       Unternehmen entstanden, die wie „AlaMesa“ oder „123Encargo“ Lebensmittel an
       die Tür liefern. Doch nur wer harte Devisen von Angehörigen bekommt, kann
       sich den Service leisten. Pavel Vidal ist Stammkunde. „Ich versorge meine
       Eltern auf diesem Weg mit allem Nötigsten“, so der im kolumbianischen Cali
       lebende kubanische Finanzexperte.
       
       Er hat wenig Hoffnung, dass sich an den Eckdaten der Insel in nächster Zeit
       etwas ändern wird. „Kuba braucht frisches Geld. Doch kein Land, auch nicht
       die politischen Freunde, traut dem Wirtschaftsmodell der Insel – es ist ein
       wie ein Fass ohne Boden“, meint Vidal und verweist auf die letzten
       Schuldenverhandlungen mit den [3][Gläubigerstaaten des Pariser Clubs] im
       August.
       
       Die gewährten zwar einen erneuten Zahlungsaufschub, aber die Schulden sind
       schon wieder auf fast 5 Milliarden US-Dollar angewachsen. Zudem schreckte
       die Regierung von Díaz-Canel in den letzten Jahren immer wieder vor
       tiefgreifenden Reformen zurück. So steht die Inselökonomie weiter am
       Abgrund und die Zahl der Auswanderwilligen wird nicht kleiner.
       
       2 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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