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       # taz.de -- Unabhängigkeitstag in Myanmar: Macht der Junta beginnt zu wanken
       
       > Die Militärjunta gibt sich mit einer weiteren Amnestie als human. Sie
       > trifft aber im Kampf mit Rebellen viele Zivilisten.
       
   IMG Bild: Rebellen der Karenni-Ethnie in einer eroberten Kleinstadt im Kayah-Staat am 12. November
       
       Berlin taz | Zum 76. Jahrestag der Unabhängigkeit Myanmars hat die dortige
       Militärjunta am Donnerstag laut Staatsfernsehen 9652 Häftlinge begnadigt.
       Juntachef Min Aung Hlaing habe zudem 114 inhaftierte Ausländer amnestiert,
       die ausgewiesen würden.
       
       Ein Anwalt, der viele politische Gefangene vertreten hat, sagte der
       Nachrichtenagentur AP, die meisten Begnadigten seien wegen gewöhnlicher
       Straftaten verurteilt worden. Lediglich etwa 120 seien politische
       Gefangene. Unter den Freigelassenen sei Ye Lwin, der populäre frühere
       Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Mandalay.
       
       Seit ihrem Putsch am 1. Februar 2021 hatte die Militärregierung schon
       mehrfach Amnestien verkündet, zunächst, um Platz in den Gefängnissen für
       politische Gefangene zu schaffen, später, um sich ein konzilianes Image zu
       geben. Die wenigen politischen Gefangenen, die freigelassen wurden, kamen
       oft erst kurz vor dem Ende ihrer Haftstrafen frei. Die weggeputsche frühere
       de-facto Regierungschefin Aun San Suu Kyi war jetzt nicht unter den
       Amnestierten.
       
       Am vergangenen 75. Jahrestag hatte es eine Militärparade in der von den
       Generälen in den Nullerjahren geschaffenen Hauptstadt Naypyidaw mit ihren
       absurd breiten Straßen von bis zu 20 Fahrspuren. Bei der Parade, die das
       exilbirmesische Newsportal [1][Irrawaddy] „nordkoreanisch“ nannte, mussten
       damals Beamte und Studierende Juntachef Min Aung Hlaing zujubeln.
       
       Der Juntachef kündigte damals, Anfang 2023, Wahlen an und auch eine
       Amnestie für 7.000 Gefangene. Zuvor war gerade erst die Haftstrafe Aung San
       Suu Kyi verlängert worden. Auch vor einem Jahr kamen kaum politische
       Gefangene frei. Und schon bald verlängerte der General den Ausnahmezustand
       und nahm von Wahlen wieder Abstand.
       
       ## Unverbindliches Wahlversprechen
       
       In seiner jetzigen Botschaft zum Unabhängigkeitstag ging Min Aung Hlaing
       nicht auf die politische Krise ein. In der vom Vizechef der Junta, General
       Soe Win, vorgetragenen Rede Min Aung Hlaings stellte dieser eine Wahl in
       Aussicht. Anschließend werde das Militär die Verantwortung an die gewählte
       Regierung übergeben. Doch auch jetzt wurde kein Zeitrahmen genannt.
       
       Im letzten Jahr hat sich der Krieg im Land weiter zugespitzt und der Junta
       überraschende Niederlagen beschert. Am 27. Oktober hat das Rebellenbündnis
       „Three Brotherhood Alliance“ im Nordosten des Shan-Staates eine
       [2][koordinierte Offensive] begonnen und zahlreiche Militärposten,
       Kleinstädte und wichtige Grenzübergänge nach China erobert.
       
       Im November erzielten Rebellen auch im Westen im Rakhaing-Staat an der
       Grenze zu Bangladesch und im Chin-Staat an der Grenze zu Indien Erfolge.
       [3][Der Mehrfrontenkrieg überfordert das Militär] und seine zudem geringe
       Kampfmoral. Eine verkündete Gegenoffensive blieb aus, die Generäle setzen
       fast nur noch auf Luft- und Artillerieangriffe. Die fordern viele zivile
       Opfer. Inzwischen drohte das Militär mit der Zerstörung der von Rebellen
       eroberten Orten.
       
       ## China wünscht vor allem Stabilität
       
       Eine widersprüchliche Rolle spielte zuletzt China: Peking hat den Putsch
       nie verurteilt und die Junta stets mit Diplomatie, Waffen und Investitionen
       gestützt. Dabei hatte die Volksrepublik auch gute Beziehungen zu Aung San
       Suu Kyi gehabt, doch wünscht sie vor allem Stabilität.
       
       Deshalb störte Peking auch die massive Cyberkriminalität in Myanmars
       Grenzregion. Dort boomten von der Junta protegierte digitale
       Betrugsfabriken. Zehntausende [4][Cybersklaven] aus China und Südostasien
       wurden dort zu betrügerischen Glücksspielen und Geschäften gezwungen. Ihre
       Opfer waren oft Chinesen. Da die Junta monatelang Pekings Drängen
       ignorierte, duldete China stillschweigend die Rebellenoffensive. Die Three
       Brotherhood Alliance lieferte dann auch Kriminelle aus und befreite
       Cybersklaven.
       
       Doch Peking war vom großen Erfolg der Rebellen wohl so überrascht wie von
       der Unterbrechung des Grenzverkehrs selbst, vermutet der
       [5][Myanmar-Experte Jason Tower vom US-Institute of Peace (USIP)]. Da China
       kein Interesse am Sturz der Junta hat, die es zur Stabilisierung Myanmars
       favorisiert, demonstrierte es auf seiner Seite der Grenze mit einem
       Militärmanöver Stärke und versuchte seitdem im Shan-Staat einen
       Waffenstillstand zu vermitteln.
       
       Der soll auch die dortigen Rebellen von anderen Gruppen trennen, mutmaßt
       Tower. Doch der am 14. Dezember von China erklärte Waffenstillstand brach
       sofort zusammen. Seitdem nahmen die Rebellen landesweit weitere
       Militärposten ein.
       
       Am Mittwoch war in in einer chinesischen Grenzstadt eine offenbar
       fehlgeleitete Granate eingeschlagen und hat laut Staatsmedien mehrere
       Menschen verletzt. China habe nach dem Vorfall in Nansan in der
       südwestchinesischen Provinz Yunnan bei den „betroffenen Parteien“ Protest
       eingelegt, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag in Peking.
       
       Man habe die Konfliktparteien im Norden Myanmars aufgerufen, das Feuer
       einzustellen und Zwischenfälle zu vermeiden, die den Frieden und die
       Sicherheit an der Grenze Myanmars und Chinas gefährdeten. Bei dem Einschlag
       am Mittwoch wurden laut örtlichen Medienberichten fünf Menschen verletzt.
       
       ## Eskalation der Kämpfe ist zu erwarten
       
       Myanmar Junta ist zweifellos angeschlagen, aber längst nicht besiegt. Die
       Rebellen bleiben ein loses Bündnis ethnischer Guerillaarmeen und
       bewaffneter Demokratieaktivisten. Deren „Nationale Einheitsregierung“ hat
       kaum Kontrolle über die bewaffneten Gruppen, von denen einer schon
       [6][Zwangsrekrutierungen vorgeworfen] wurde.
       
       Der Krieg dürfte weiter eskalieren. Die Zahl interner Flüchtlinge beträgt
       nach [7][UN-Angaben] inzwischen 2,6 Millionen, bei einer Bevölkerung von
       insgesamt fast 54 Millionen Menschen. Knapp ein Drittel der Bevölkerung ist
       auf Nothilfe angewiesen. Die lokale Menschenrechtsorganisation [8][AAPP]
       zählt seit dem Putsch 4.273 von Juntakräften getötete Zivilisten und 25.656
       festgenommene Personen, von denen noch 19.858 in Haft sind. Zahlen zu
       getöteten Regimekräften und Rebellen gibt es nicht.
       
       [9][Spekulationen] zufolge könnte eine Ablösung von Juntachef Min Aung
       Hlaing Verhandlungen erleichtern. Doch dafür gibt es keine Anzeichen. Das
       Militär hatte mit dem Putsch die Machtteilung mit demokratischen Kräften
       aufgekündigt. Diese bestehen weiter auf Entmachtung der Generäle.
       
       4 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.irrawaddy.com/news/burma/dispatch-from-naypyitaw-myanmars-north-korea-esque-independence-day.html
   DIR [2] /Widerstand-gegen-Junta-in-Myanmar/!5970810
   DIR [3] https://www.aspistrategist.org.au/military-manpower-has-become-a-critical-factor-for-myanmars-junta/
   DIR [4] /UN-Studie-zur-Onlinekriminalitaet/!5953246
   DIR [5] https://www.usip.org/publications/2023/12/chinas-influence-increases-amid-myanmars-instability
   DIR [6] https://www.hrw.org/news/2023/12/21/myanmar-armed-group-abuses-shan-state
   DIR [7] https://www.unocha.org/publications/report/myanmar/myanmar-humanitarian-needs-and-response-plan-2024-humanitarian-programme-cycle-2024-issued-december-2023
   DIR [8] https://aappb.org/?p=27048
   DIR [9] https://www.irrawaddy.com/opinion/editorial/decision-time-for-myanmars-junta-who-will-replace-min-aung-hlaing.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
       
       ## TAGS
       
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