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       # taz.de -- Streit um Unvereinbarkeitsliste: AfD streitet um Neonazis
       
       > Der AfD-Bundesvorstand hat die rechtsextreme Gruppe „Revolte Rheinland“
       > auf seine „Unvereinbarkeitsliste“ gesetzt. Das Lager um Höcke ist sauer.
       
   IMG Bild: Die hier abgebildete Identitäre Bewegung gilt dem Verfassungsschutz als Vorgänger-Organisation der Revolte Rheinland
       
       Berlin taz | Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, hat
       sich gegen ein [1][AfD-Verbotsverfahren] ausgesprochen. Ein Parteiverbot
       sei sehr schwer durchzusetzen und die juristischen Erfolgschancen betrachte
       er als gering, sagte er der [2][Süddeutschen Zeitung]. Damit widersprach
       Schneider seiner Parteichefin Saskia Esken, die sich unlängst für ein
       Parteiverbot der AfD ausgesprochen hatte.
       
       Die wiederkehrenden Forderungen nach einem Verbot ihrer Partei bereiten der
       AfD durchaus Sorgen. Auch wenn führende Politiker*innen der extrem
       rechten Partei oft behaupten, der Verfassungsschutz werde dafür politisch
       instrumentalisiert – die Angst ist groß, gerichtliche Auseinandersetzungen
       mit der Behörde zu verlieren, etwa wenn es um die Einstufung als
       rechtsextremer Verdachtsfall geht.
       
       Mit einer „Unvereinbarkeitsliste“ will sich die AfD zumindest auf dem
       Papier von neonazistischen Organisationen abgrenzen. Personen, die
       Mitglieder in Gruppen, Vereinen oder Organisationen aus dieser Liste sind,
       dürfen nicht in die AfD eintreten. Diese Liste sorgt in den
       völkisch-nationalistischen Netzwerken derzeit aber für extrem schlechte
       Laune.
       
       Die Kreise um den Rechtsextremisten Björn Höcke sind in den letzten Jahren
       in der AfD kontinuierlich stärker geworden. Der Grund für ihren aktuellen
       Unmut: Nach einem Beschluss des Bundesvorstands um Alice Weidel und Timo
       Chrupalla ist die neonazistische Gruppe „Revolte Rheinland“, die nicht nur
       ästhetisch an den Nationalsozialismus anknüpft, am 18. Dezember auf der
       Unvereinbarkeitsliste der Partei gelandet.
       
       ## Kein Weihnachtsfrieden in der AfD
       
       Danach war nichts mehr mit Weihnachtsfrieden in der AfD. Die völkischen
       Kreise aus dem Umfeld des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik von
       Götz Kubitschek in Schnellroda laufen Sturm gegen den Beschluss. Nur drei
       Tage vor Heiligabend äußerte sich schließlich auch der Kopf des völkischen
       Flügels, Höcke, dem selbst gerade eine Anklage am Landgericht Halle wegen
       der Verwendung einer SA-Parole bevorsteht: „Die von außen bestimmte
       Distanzeritis hat uns keinen taktischen Vorteil gebracht – im Gegenteil“,
       schimpfte er auf Telegram.
       
       Auf keinen Fall dürften die Stichworte der Gegner dazu dienen, persönliche
       Rivalen im Wettstreit um Listenplätze und Mandate auszugrenzen. Wie zum
       Trotz empfahl Höcke dazu allen „Parteifreunden“ den neuesten ideologischen
       Umsturz-Schmachtfetzen aus Schnellroda, das Buch „Regime Change von rechts“
       des langjährigen österreichischen Identitären-Chefs Martin Sellner, zu
       Weihnachten. Auch die Identitäre Bewegung steht auf der
       Unvereinbarkeitsliste.
       
       Der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp setzte an Heiligabend noch
       einen drauf und einen provokativen Instagram-Post ab, mit dem er ganz offen
       den Beschluss des Bundesvorstands unterlief: „Frohe Weihnachten auch an die
       mutigen Aktivisten der Gruppe ‚Revolte Rheinland‘!“, schrieb er zu einem
       Bild, das die Aktivist*innen mit extrem rechter Symbolik und einem
       „Defend-Europe“-Banner zeigt. Er wünsche, dass bei der AfD die Revolution
       nicht ihre Kinder fresse, schrieb er dazu.
       
       ## Papier ist geduldig
       
       Der Fall der Identitären Bewegung (IB) zeigt, dass die
       Unvereinbarkeitsliste in der Praxis häufig nicht viel mehr ist als ein
       Stück Papier, das keine große Wirkung entfaltet. Die IB steht zwar auf der
       Unvereinbarkeitsliste, der Einfluss von Kreisen aus dem rechtsextremen
       aktivistischen bis ideologisch-neurechten Parteivorfeld hat aber in letzter
       Zeit deutlich zugenommen. Langjährige Identitären-Kader wie Jonas Schick
       oder Schnellroda-Ideologen wie Benedikt Kaiser arbeiten mittlerweile in
       Bundestagsbüros für AfD-Abgeordnete, und kaum jemanden in der Partei stört
       das noch. Konsequenzen hat es keine.
       
       Das rheinland-pfälzische Innenministerium betrachtet die neonazistische
       „Revolte Rheinland“ als [3][Nachfolge-Organisation der Identitären
       Bewegung]. Sie sei überwiegend im nördlichen Rheinland-Pfalz sowie im
       südlichen Nordrhein-Westfalen aktiv. Zuletzt sorgte die Gruppe mit
       [4][White-Power-Gesten, Runenfahne] und rassistischen Aktionen für
       Aufsehen.
       
       Partei-Influencer wie der Kubitschek-Schützling Benedikt Kaiser laufen nun
       Sturm gegen den Beschluss: „Die Unvereinbarkeitsliste der AfD muss nicht
       erweitert, sondern eingedampft werden.“ Sie sei kein Zeichen souveräner
       Stärke, sondern ein Relikt vergangener Schwäche. Kaiser arbeitet für den
       AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl. Selbst der Chef-Identitäre Martin
       Sellner beklagt in einem selbstmitleidigen Ton im rechtsextremen Magazin
       Sezession, dass „dieses bizarre ‚Weihnachtsgeschenk‘ von Berufspolitikern“
       eine „verheerende Signalwirkung“ habe und demoralisierend wirke. Es sei
       „geradezu eine Aufforderung von Seiten der AfD, den Aktivismus
       einzustellen“.
       
       ## Anfeindungen gegenüber Vorstandsmitgliedern
       
       Angefeindet werden dafür vor allem die Bundesvorstandsmitglieder Roman
       Reusch und der AfD-Landesvorsitzende Jan Bollinger aus Rheinland-Pfalz.
       Allerdings sollen aus dem Bundesvorstand auch Tino Chrupalla, Stephan
       Brandner, Marc Jongen, Peter Boehringer und Carsten Hütter für die
       Abgrenzung gestimmt haben. Im Bundesvorstand wurde das Thema kontrovers
       diskutiert – am Ende sprach sich jedoch eine Mehrheit dafür aus, die
       Organisation auf die Liste aufzunehmen.
       
       Widersprochen haben sollen dem Vernehmen nach der ehemalige Chef der
       ebenfalls als gesichert rechtsextrem eingestuften Jungen Alternative, Carlo
       Clemens, der Spitzenkandidat zur EU-Wahl, Maximilian Krah, der selbst
       zuletzt ein antidemokratisches Manifest über den Verlag von Kubitschek
       veröffentlichte, sowie Martin Reichhardt, Chef des vor einigen Wochen als
       gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverbands Sachsen-Anhalt.
       
       Interessant: Schimpft die AfD aufgrund ihrer eigenen rechtsextremen
       Einstufung eigentlich ausdauernd auf den Verfassungsschutz (VS), dienen
       hier dessen Einschätzungen zur Begründung der Abgrenzung: So verweist der
       Antrag zur Aufnahme von Revolte Rheinland auf die Unvereinbarkeitsliste auf
       den VS-Bericht aus Rheinland-Pfalz von 2022. In der der taz vorliegenden
       Begründung heißt es: „Die Gruppierung Revolution (falsch im Original)
       Rheinland verwendet als Logo unter anderem die Odalrune, die aufgrund ihrer
       vielfachen Verwendung sowohl in der Nazizeit als auch von dem
       Nationalsozialismus nahestehenden Nachkriegsorganisationen Verwendung
       fand.“
       
       Der Antrag kam dabei aus dem AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz, wo sich der
       Vorstand einstimmig dafür ausgesprochen hatte, dass eine Zugehörigkeit zur
       Revolte Rheinland einer Mitgliedschaft in der AfD widerspräche. Tino
       Chrupalla und Alice Weidel wollten sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern –
       das Thema ist auch aufgrund des im Februar bevorstehenden Prozesses zur
       VS-Einstufung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ein Minenfeld für die
       Parteiführung.
       
       Wie offen sich Teile der AfD mittlerweile zu Rassismus und rechtsextremer
       Ideologie bekennen, stellte kürzlich auch Franz Schmid zur Schau. Der
       bayerische Landtagsabgeordnete und Mitglied der Jungen Alternative erklärte
       die AfD kürzlich – im offenen Widerspruch zum Grundgesetz – zu einer
       „Partei der autochthonen Deutschen“. Das wiederum dürfte
       Befürworter*innen eines AfD-Verbots weitere Argumente liefern.
       
       4 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Streitgespraech-ueber-ein-Verbot-der-AfD/!5970996
   DIR [2] https://www.sueddeutsche.de/politik/ostbeauftragter-carsten-schneider-interview-afd-verbot-landtagswahlen-1.6327047
   DIR [3] https://mdi.rlp.de/themen/verfassungsschutz/rechtsextremismus/parteiunabhaengige-strukturen
   DIR [4] https://twitter.com/IbDoku/status/1699708583900770603
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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