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       # taz.de -- Kürzungen beim Bürgergeld: Der Förderung keine Chance lassen
       
       > Um den Haushalt zu bereinigen, will die Regierung den Bürgergeldbonus
       > streichen. Die Förderung hätte besonders Langzeitarbeitslosen helfen
       > sollen.
       
   IMG Bild: Bundesarbeitsminister Heil wollte mit dem Bürgergeldbonus Anreize setzen, sich weiterzubilden und langfristig Arbeit zu finden
       
       In den Filialen des Instituts für Berufliche Bildung (IBB), das
       deutschlandweit Fortbildungen anbietet, klingelte im vergangenen halben
       Jahr häufiger das Telefon als zuvor. Das berichtet eine Berliner
       Mitarbeiterin des privaten Bildungsanbieters, die anonym bleiben möchte.
       „Oft sagen die Leute: Ich habe im Internet gelesen, es gibt
       Bürgergeldbonus; das möchte ich haben“, berichtet sie.
       
       Meist hätten die Anrufer*innen auch schon eine Idee, an welchen Kursen
       sie dafür teilnehmen wollen: Weiterbildung zur Kita-Assistenz, Schulungen
       zu Computergrundlagen oder auch Sprachkurse. Das Qualifizierungsangebot für
       Bürgergeldempfänger*innen ist breit gefächert.
       
       Am Angebot wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Die Zahl der
       Anrufer*innen könnte bald trotzdem wieder sinken: Die Ampelkoalition im
       Bund will einen Anreiz zur Teilnahme, den sie gerade erst eingeführt hat,
       schon wieder abschaffen.
       
       [1][Um ihre Haushaltslücke zu schließen, will sie beim Bürgergeld 250
       Millionen Euro sparen.] Im Zentrum der Debatte stehen derzeit die
       [2][verschärften Sanktionen gegen Menschen, die Arbeitsangebote ablehnen].
       Gekürzt wird allerdings nicht nur bei denen, die sich gegen Arbeit wehren,
       [3][sondern auch bei denen, die etwas tun].
       
       Einen entscheidenden Gedanken der Bürgergeldeinführung dreht die Koalition
       damit wieder zurück: nicht mehr die erstbesten Jobs zu vermitteln, sondern
       Weiterbildung zu fördern. Eingeführt hatte sie dafür vor sechs Monaten zum
       einen ein Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro pro Monat für
       Teilnehmende an Maßnahmen, die zu einem Berufsabschluss führen – und zum
       anderen den Bürgergeldbonus in halber Höhe für Teilnehmende kurzer
       Weiterbildungen und berufsvorbereitender Kurse. Dieser zweite Bonus fällt
       jetzt den Sparmaßnahmen zum Opfer.
       
       ## Hätte der Bonus etwas gebracht?
       
       „Man wollte Leute dazu bringen, mehr in ihre Bildung und
       Arbeitsmarktintegration zu investieren“, sagt Sozialwissenschaftler
       Maximilian Schiele. In der Vergangenheit waren Arbeitsaufnahmen oft von
       kurzer Dauer oder reichte das Gehalt nicht aus, um auf Sozialleistungen zu
       verzichten. Das zeigen Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und
       Berufsforschung (IAB). Dort arbeitet Schiele und forscht zu staatlichen
       Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose.
       
       Würden sich durch die Förderung wirklich mehr Personen weiterbilden? Und
       würde der Bonus neue Personenkreise erreichen, vor allem jüngere Menschen?
       Diesen Fragen wollte Schiele mit Beginn dieses Jahres nachgehen. „Ein
       Gedanke des Bonus war, dass gerade junge Menschen in ihre Weiterbildung
       investieren, statt möglichst schnell eine niedrig qualifizierte Arbeit
       anzunehmen. Dadurch könnten sie langfristig in den Arbeitsmarkt integriert
       werden und über ihre ganze Berufslaufbahn profitieren“, sagt er.
       
       Einer früheren IAB-Befragung von Arbeitslosen zufolge steigt ab einer
       bestimmten Zuzahlung die Motivation zur Weiterbildung. Dazu, wie die beiden
       mit dem Bürgergeld neu eingeführten Maßnahmen genau wirken, fehlt noch die
       Forschung.
       
       Der Bundesagentur für Arbeit zufolge haben bislang rund 63.000
       Leistungsberechtigte den Bürgergeldbonus in Anspruch genommen. Ob dadurch
       auch mehr Menschen an Fortbildungen teilgenommen haben als zuvor, kann die
       Behörde aus ihren Daten allerdings noch nicht ablesen.
       
       Die eingangs erwähnte Mitarbeiterin des Instituts für Berufliche Bildung
       glaubt allerdings, dass der Bonus tatsächlich wirkte. Das zeigten ihre
       Erfahrungen aus der Praxis. Klar gebe es in ihren Kursen solche und solche
       Teilnehmer*innen, sagt sie. „Einige wollen gar nicht lernen, andere kommen
       mit Herz.“ Aber: „Manche kommen am Anfang nur für das Geld, ziehen dann
       aber durch.“ So gut wie alle Teilnehmenden beendeten die Kurse. „Die
       merken, die haben die Unterstützung. Am Ende sind sie schon stolz, wenn sie
       ihr Zertifikat erhalten“, sagt die Mitarbeiterin. Für viele folgten darauf
       eine Umschulung und weitere Weiterbildungsmaßnahmen.
       
       Zu retten ist die Förderung wohl trotzdem nicht mehr. Formell steht die
       finale Einigung des Bundeskabinetts zwar erst noch bevor. Unter
       Koalitionsabgeordneten herrscht auch keine Begeisterung. Anzeichen für
       einen Aufstand im Bundestag gibt es bislang aber nicht. Es falle ja nur
       eine von zwei neuen Förderungen weg, so der Tenor. Und damit bleibe doch
       der Grundgedanke des Bürgergelds erhalten.
       
       5 Jan 2024
       
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