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       # taz.de -- Zum zweiten Mal geflohen: Mob verjagt Rohingya-Boat-People
       
       > In Indonesiens Provinz Aceh erzwingt ein studentischer Mob die sofortige
       > Umsiedlung von Flüchtlingen, die erst vor wenigen Tagen angekommen sind.
       
   IMG Bild: Meuseuraya Aceh, Indonesien, 27.12.2023: eine Gruppe von Rohingya muss nach Protesten eine provisorische Unterkunft verlassen
       
       Berlin taz | Hass auf Geflüchtete: Hunderte Studierende sind am Mittwoch in
       ein Kongressgebäude der Provinzhauptstadt Banda Aceh an der Nordspitze der
       indonesischen Insel Sumatra eingedrungen. Dort waren seit knapp einer Woche
       137 Rohingya-Flüchtlinge provisorisch untergebracht.
       
       Die Hochschüler forderten die Flüchtlinge mit Tritten und Rufen wie
       „Schmeißt sie raus!“ zum Verschwinden auf. Von den Behörden verlangten sie
       eine schnelle Deportation.
       
       Polizisten stellten sich den Eindringlingen, die oft grüne Uniformen ihrer
       Unis trugen, zunächst nur halbherzig entgegen. Dann aber halfen sie, die
       weinenden Flüchtlinge, mehrheitlich Frauen und Kinder, samt ihrer wenigen
       Habseligkeiten in zwei Lkws zu verladen und wegzufahren. In den sozialen
       Medien kursierten Videos, deren Authentizität niemand anzweifelte, von der
       Aktion des Mobs.
       
       „Das UNHCR ist zutiefst verstört über Berichte vom Mob-Angriff und Rauswurf
       der Flüchtlinge in Aceh“, [1][erklärte das UN-Flüchtlingshilfswerk auf X].
       Behörden müssten die Flüchtlinge und humanitären Helfer schützen.
       
       ## Im Lager in Bangladesch ohne jede Perspektive
       
       Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch machte
       [2][auf X] Hasspostings für den „empörenden und inakzeptablen Mob-Angriff“
       verantwortlich.
       
       Zuletzt waren fünf Boote mit Flüchtlingen der muslimischen Minderheit aus
       dem mehrheitlich buddhistischen Myanmar zu Weihnachten in Aceh angekommen.
       Den muslimischen Rohingya war 1982 die Staatsangehörigkeit entzogen worden,
       700.000 von ihnen wurden im Jahr 2017 vom Militär brutal nach Bangladesch
       vertrieben. Sie waren von dort vor wenigen Wochen abgefahren und sind damit
       schon zum zweiten Mal geflohen.
       
       Im Südosten Bangladeschs leben bei der Stadt Cox’s Bazar etwa eine Million
       Rohingya in den weltgrößten Flüchtlingslagern. Sie haben dort keinerlei
       Perspektive, dürfen nicht arbeiten und die Lager kaum verlassen. Etwa
       30.000 wurden auf eine bis dato unbewohnte Insel weit vor der Küste
       umgesiedelt
       
       UN-Organisationen bekommen immer weniger Geld, um sie zu versorgen. In den
       Lagern wächst die Gewalt. Die Regierung in Dhaka will die Rohingya nach
       Myanmar zurückschicken.
       
       Doch die dortige Militärjunta weigert sich, sie zurückzunehmen und ihnen in
       ihrer einstigen myanmarischen Heimatregion Rakhaing
       [3][Sicherheitsgarantien] zu geben. Dort noch verbliebene Rohingya leben
       oft rechtlos in Lagern.
       
       ## Indonesiens Präsident: Menschenschmuggler sind schuld
       
       Indonesiens Präsident Joko Widodo machte Menschenschmuggler für die Ankunft
       der Flüchtlinge verantwortlich. Indonesien hat die Genfer
       Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet, aber humanitäre Behandlung
       zugesagt.
       
       Bisher war Jakarta zurückhaltend und ließ sich Hilfen vor allem von der UNO
       und Australien bezahlen. Canberra will verhindern, dass Flüchtlinge über
       Indonesien ins Land kommen.
       
       Indonesiens Regierung und Bevölkerung war zu den Rohingya aber meist
       freundlicher als die Nachbarländer. Die halfen nicht nur Flüchtlingen in
       Seenot nicht, sondern zwangen sie auch wieder aufs Meer zurück.
       
       ## Die Hilfsbereitschaft in Aceh nimmt ab
       
       In Aceh war die Bevölkerung, vor allem Fischer, oft hilfsbereit gegenüber
       ihren Glaubensbrüdern. Die wurden zum Teil auch gegen den Willen der
       Behörden an Land gebracht und versorgt. Doch zuletzt wurde die Stimmung
       immer feindlicher, mutmaßlich wegen Hasspostings im Internet.
       
       Seit November trafen mehr als 1.500 Rohingya in Aceh ein. Das Wetter ist
       zwischen November und April am ruhigsten für die Überfahrt. Es kam vor,
       dass Boat People nach ihrer Ankunft zwar Lebensmittel und Wasser bekamen,
       aber dann wieder aufs Meer geschickt wurden.
       
       Am Donnerstag meldete die indonesische Marine, dass sie ein Flüchtlingsboot
       in internationale Gewässer gedrängt habe, als diese sich Acehs Küste
       genähert habe. Indonesien hat inzwischen die Patrouillen in seinen
       Gewässern verstärkt.
       
       In Indonesien ist der Umgang mit den muslimischen Flüchtlingen vor der
       eigenen Haustür inzwischen umso merkwürdiger, als es in Malaysia und
       Indonesien täglich große Solidaritätsbekundungen mit den ebenfalls
       muslimischen, aber fernen Palästinensern gibt.
       
       Bis vor wenigen Jahren kamen mehrheitlich Männer mit den Flüchtlingsbooten,
       um Arbeit im Ausland zu suchen. Inzwischen sind die Rohingya-Boat-People
       aber zu 70 Prozent weiblich. Oft werden Mädchen an Männer in den
       Ankunftsländern verkauft und zwangsverheiratet, worin Familien eine
       Überlebenschance sehen. Die künftigen Ehemänner zahlen dann für die
       Passage.
       
       29 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/MayWongCNA/status/1739984503937102038/photo/1
   DIR [2] https://twitter.com/Reaproy/status/1740250937531486231
   DIR [3] /Bedingungen-fuer-Rueckkehr-nach-Myanmar/!5930088
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
       
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