# taz.de -- Buch zur Hamburger Synagogen-Debatte: Von der Wunde im Grindelviertel
> Rekonstruktion oder nicht? Ein Sammelband liefert Material und
> Denkanstöße zum geplanten Synagogen-Neubau – und findet einen
> überraschenden Dreh.
IMG Bild: Landesrabbiner Shlomo Bistritzky spricht 2013 auf dem Joseph-Carlebach-Platz. Hinter ihm eine gezeichnete Bornplatz-Synagoge
„Jüdisches Erbe ist Aushandlungsprozessen unterworfen“: Dieser Satz steht
ganz vorne. Im Vorwort eines Buches, das dem Hamburger [1][Born- respektive
Joseph-Carlebach-Platz] gewidmet ist; dem Ort, an dem zwischen 1906 und
1939 die größte Synagoge Norddeutschlands stand. Und an dem wieder eine
stehen soll, so hat es die Bürgerschaft beschlossen, so unterstützt es
Umfragen nach auch die Stadtgesellschaft.
Und es stimmt ja: So sehr dieses Projekt Gestalt annimmt, [2][Geld
beschafft] und das Areal rückübertragen wurde an Hamburgs Jüdische
(Einheits-)Gemeinde, eine Studie die Machbarkeit des Ganzen klärte – so
sehr geht es da ums Aushandeln. Mitunter auch schon mal um die Frage: Wer
darf überhaupt mit aushandeln?
Denn bei einer derart aufgeladenen Unternehmung wollten viele mitreden:
Mitglieder der Jüdischen Gemeinde (JGHH), aber auch nicht darin
organisierte Jüdinnen und Juden; auch solche gibt es in Hamburg, manche
davon sind Teil der Liberalen Jüdischen Gemeinde. Die aber saß zu keiner
Zeit mit am Tisch, wenn es um den Bornplatz ging. Und dann gibt es
natürlich auch noch die nicht jüdische Mehrheitsgesellschaft.
## Synagogen-Debatte: Rekonstruktion oder nicht?
Wiederholt hat sich die JGHH in den vergangenen fünf Jahren dagegen
verwahrt, dass man ihr hineinrede in das zuallererst die eigenen Mitglieder
angehende Vorhaben. Nicht immer war das ganz redlich: Wenn sich etwa
prominente Shoa-Überlebende gegen eine Rekonstruktion der einst zerstörten
Synagoge ausgesprochen haben. Die Rekonstruktion aber favorisierte die
JGHH-Spitze lange.
Inzwischen sei „der Grundgedanke“, heißt es im Buch, dass sich der Bau „an
das zerstörte Original anlehnen“, aber keine „Wiederherstellung“ werden
soll. Das ist keine bloß geschmäcklerische Frage: Dahinter steht die Sorge,
jemand könnte versuchen, das Menschheitsverbrechen Shoa vergessen zu
machen; eine sehr konkrete Wunde im Hamburger Grindelviertel zu kaschieren.
Was genau wäre da aber zu rekonstruieren (oder gerade nicht)? Wofür stand
die zerstörte Synagoge – und wie modern war sie, bautechnisch, trotz
Gründerzeit-Gestaltung? Zur besseren Einschätzung solcher Fragen liefert
der Band Material und Denkanstöße. Herausgegeben haben ihn die
Braunschweiger Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa Bet
Tfila und das Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg.
## Bornplatz: Architektur und Erinnerung
So stehen nun der Architektur gewidmete Kapitel etwa neben einer knappen
Vorstellung des letzten Rabbiners am Bornplatz: Joseph Carlebach, 1942 mit
beinahe seiner gesamten Familie im Baltikum ermordet. Raum ist aber auch
der zwischenzeitlichen Nutzung des Areals gewidmet: Seit 1988, dem 50.
Jahrestag der Reichspogomnacht, ist dort ein [3][Bodenmosaik der Künstlerin
Margrit Kahl] zu sehen – das jeder Neubau-Variante zum Opfer fallen dürfte.
Einen überraschenden Dreh findet dazu Yohana Rahel Hirschfeld, Künstlerin
und JGHH-Mitglied. Sie dreht den Vorwurf des Unzeitgemäßen um, wie er
erhoben wurde gegen eine am Original orientierte Gestaltung. „Museal“ ist
demnach gerade das Beharren auf dem Bruch, der perpetuierte Hinweis auf den
Verlust – im Unterschied dazu, einen neuen Ort zu schaffen für höchst
lebendige Jüdinnen und Juden.
30 Dec 2023
## LINKS
DIR [1] /Synagogen-Neubau-in-Hamburg/!5876474
DIR [2] /Bund-gibt-Geld-fuer-Hamburger-Synagoge/!5732132
DIR [3] https://www.architektursommer.de/veranstaltungen/detail/margrit-kahls-bornplatz-synagogendenkmal-die-erfahrbarkeit-des-raumes
## AUTOREN
DIR Alexander Diehl
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