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       # taz.de -- Film-Thriller „Mami Wata“ aus Nigeria: Die Mutter des Wassers
       
       > Westafrikanische Mythologie in Schwarz-Weiß: Der nigerianische Thriller
       > „Mami Wata“ ist einer der visuell beeindruckendsten Filme des letzten
       > Jahres.
       
   IMG Bild: In Schwarz-Weiß zu drehen ist eine Hommage an frühes postkoloniales afrikanisches Kino. Mama Efe (Rita Edochie) in „Mami Wata“
       
       Mama Efe lebt als Mittlerin zwischen den Bewohner_innen des Dorfes und der
       Wassergöttin Mami Wata in Iyi, einem Dorf an der westafrikanischen Küste.
       Im Gegenzug für ihre Hilfe, ihre Heilkräfte, ihren Rat bekommt Mama Efe
       einen Teil der Ernte von den Bewohner_innen. Ihre beiden erwachsenen
       Töchter, Zinwe und Prisca, hadern mit der Rolle ihrer Mutter und der
       Verehrung der Wassergöttin, die bewirken, dass es in dem Dorf keine moderne
       Medizin, keine Schule, keine Vertretung des umgebenden Staates durch eine
       Polizeistation oder Ähnliches gibt.
       
       Als Mama Efe den Sohn eines der Dorfbewohner, der an einem Virus erkrankt
       ist, nicht heilen kann, regt sich Unmut im Dorf. Dann verschwindet Zinwe
       und wenig später taucht Jasper auf, der früher selbst zu einer
       Rebellengruppe gehörte und dann vor seinen ehemaligen Verbündeten geflohen
       ist. Der nigerianische Regisseur C. J. Obasi verbindet in „Mami Wata“
       spirituelle und mythologische Elemente zu einer allegorischen Erzählung.
       Sein Film feierte Anfang letzten Jahres in Sundance Premiere.
       
       Am Anfang des in Schwarz-Weiß-Bildern mit harten Kontrasten inszenierten
       Films steht das Meer. Weiß spritzt die Gischt in die Luft, während Wellen
       unter nächtlichem Himmel an Land schwappen. In den Auseinandersetzungen um
       die Verehrung der Wassergöttin und den Meinungsverschiedenheiten zwischen
       Mama Efe (Rita Edochie) und ihren Töchtern verschränkt Obasi mehrere
       Konfliktlinien: Die Verehrung der Wassergöttin wird unter Frauen
       weitergegeben, während die härtesten Kritiker des Kults Männer aus dem Dorf
       sind, die später von Jasper (Emeka Amakeze), dem Rebellen, unterstützt
       werden.
       
       ## Mehrere Linien der nigerianischen Filmindustrie
       
       In den Streitigkeiten zwischen Mama Efe, Zinwe (Uzomaka Aniunoh) und Prisca
       (Evelyne Ily) hingegen überlagern sich ein Generationenkonflikt und
       unterschiedliche Haltungen zum Verhältnis von Spiritualität und
       Wissenschaft, Tradition und Neuerung. Die größte Stärke von „Mami Wata“
       besteht jedoch darin, all die allegorischen Ebenen den Film hindurch
       präsent zu halten, aber keine je die Überhand gewinnen zu lassen.
       
       In „Mami Wata“ verbinden sich mehrere Linien der nigerianischen
       Filmindustrie. In den Filmografien der Schauspieler_innen, allen voran Rita
       Edochie, dominiert das Fernsehen, dessen Erzählweisen und Cast immer wieder
       auf Strukturen zurückgreifen, die sich in den nigerianischen
       Videoproduktionen des [1][Nollywood] herausgebildet haben. Die
       Regiekarriere von C. J. Obasi und die Produktionskarriere seiner Frau Oge
       Obasi hingegen stehen eher für eine unabhängige Filmproduktion, die das
       Geld für die Produktion wiederum international in einer oft unendlichen
       Reihe von Pitches, kurzen Präsentationen auf den Filmmärkten
       internationaler Festivals, auftreiben muss.
       
       Die Obasis haben so 2014 den Öko-Wasser-Zombiefilm „Ojuju“ realisiert und
       2015 den Kriminalfilm „O-Town“. 2021 waren die beiden an dem Episodenfilm
       „Juju Stories“ beteiligt, der einen der Nebenpreise auf dem Filmfestival in
       Locarno gewann. Dass auch das unabhängige Kino in Nigeria eng mit den
       Traditionen von Nollywood verwoben ist, zeigt sich unter anderem daran,
       dass C. J. Obasi zwischen seinen eigenen Filmen am Drehbuch zum zweiten
       Teil eines der Gründungsfilme von Nollywood mitarbeitete, dem Thriller
       „Living in Bondage: Breaking Free“ (2018).
       
       ## Das Schwarz-Weiß des Films ist politisch
       
       In „Mami Wata“ verbündet sich Jasper, den Prisca und Mama Efe nach seiner
       Rettung gepäppelt und gepflegt haben, mit einer Gruppe von Männern aus dem
       Dorf. Sie töten Mama Efe und versuchen auch Zinwe umzubringen, unter dem
       Vorwand, ihre Rolle als Mittlerin Mami Watas testen zu wollen. Jasper
       versucht die Macht in dem Dorf an sich zu reißen. Doch als die Männer ins
       Dorf ziehen, um sich selbst zu feiern, rettet Prisca ihre Schwester aus dem
       Meer. Das auffälligste Gestaltungsmerkmal des Films sind seine Bilder, ein
       Look, den Obasi gemeinsam mit der brasilianischen Kamerafrau Lílis Soares
       entwickelte.
       
       Das artifizielle Schwarz-Weiß mit den harten Kontrasten hat gleich mehrere
       Funktionen: Erstens entrückt es die Handlung in eine mystische Sphäre und
       unterstreicht den allegorischen Charakter des Films. Zweitens greift der
       Film in seiner Bildsprache auch filmische Traditionen von den Anfängen des
       afrikanischen Kinos nach der Unabhängigkeit auf, zugleich verweist Obasi
       aber in einem Interview mit dem Branchenblatt Screen Daily auf
       Bildtraditionen des Weltkinos wie die Filme von Akira Kurosawa. Drittens
       ist die Wahl des Schwarz-Weiß auch ein Ausweichmanöver: Denn bis heute
       basieren gängige Farbverfahren im Film auf Standardisierungen aus der Zeit
       des Analogfilms, die in erster Linie mit Blick darauf entwickelt wurden,
       weiße Körper leinwandwirksam abzubilden.
       
       Das Schwarz-Weiß der Bilder, die Obasi und Soares für ihren Film entwickelt
       haben, ist also zutiefst politisch.
       
       ## Vorstellungen von Besessenheit und Hexenkunst
       
       In besagtem Interview mit Screen Daily führt Obasi dazu aus: „Ich wollte
       eine Geschichte in einem afrikanischen Dorf erzählen, ohne die übliche Art,
       diese Orte ärmlich erscheinen zu lassen und in der die Kamera auf diese
       Orte herabblickt. Wir wollten zu ihnen hinaufblicken. Wir wollten, dass
       unsere Schauspieler_innen aussehen, als wären Götter in der Kamera.“ Später
       ergänzt er: „Wir wollten sie auf eine Art ausleuchten, die das Dogma
       wiederbelebt, dass man durchschnittlicher Teil der afrikanischen
       Bevölkerung sein kann und kein Superheld zu sein braucht, um fantastisch
       auszusehen.“
       
       Obasis Beharren auf einem politischen, afrikanischen Film, der sich allen
       Evokationen von Mitleid entzieht, setzt „Mami Wata“ trotz aller
       unterschiedlichen Filmtraditionen in Verbindung mit einer Reihe weiterer
       Filme afrikanischer Regisseure. Nicht zuletzt drängt sich „Omen“, das
       Langfilmdebüt des belgisch-kongolesischen Regisseurs und Modedesigners
       Baloji auf, das letztes Jahr in der Sektion „Un Certain Regard“ auf den
       [2][Filmfestspielen von Cannes] Premiere feierte. Bei „Omen“ lasten
       Vorstellungen von Besessenheit und Hexenkunst auf einigen jungen Menschen,
       die sich letztlich von Rollenvorstellungen befreien.
       
       Wie so oft in der Filmgeschichte afrikanischer Länder bleibt auch bei
       dieser neuen Welle von Filmen der Wermutstropfen, dass die Finanzierung und
       oft auch die Postproduktion dieser Filme nur möglich ist in Koproduktion
       mit den diversen Filmfördertöpfen ebenjener Länder, die bis lange nach Ende
       des Zweiten Weltkriegs noch als Kolonialmächte die Entwicklung
       eigenständiger Produktionsstrukturen in den Ländern Afrikas verhindert
       haben.
       
       ## Zu den Academy Awards nominiert
       
       In Nigeria scheint „Mami Wata“ eine ambivalente Rezeption erfahren zu
       haben. So blieb der Kinostart eher kurz und erfolglos. Andererseits wurde
       der Film als Beitrag des Landes als Best International Feature Film zu den
       Academy Awards nominiert.
       
       Fast ein Jahr nach der Premiere in Sundance kommt nun einer der visuell
       beeindruckendsten Filme des letzten Jahres in die deutschen Kinos, dessen
       Bilder einen nach dem Verlassen des Kinos noch lange begleiten werden.
       „Mami Wata“ macht deutlich, wie unerlässlich es ist für alle, denen an
       einer Vielfalt der Formen und Erzählstrukturen liegt, dass auch Filme von
       außerhalb Europas und den USA einen regulären Kinostart erhalten.
       
       11 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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