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       # taz.de -- Die Wahrheit: So nich, Kapitalismus!
       
       > Die Marktwirtschaft würde ohne Marketing sicher noch viel mehr umsetzen.
       > Denn wer trinkt schon gern Buttermilch mit Dieter Bohlens Konterfei
       > drauf?
       
       Ja, es gibt schwache Minuten, in denen ich anfällig bin für Werbung und
       Marketing. Triff die richtigen Schlüsselwörter, nenn die Teesorte „Feel
       New“, oder mische absurde Obstsorten mit Ingwer ins Bio-Duschgel, ich bin
       ja auch nur ein Mensch.
       
       Doch manchmal ist es mir zu blöd. Chi-Bo hat Badezimmermatten im Angebot.
       Tatsächlich brauchen wir gerade eine neue Badezimmermatte, ich finde die
       Farbe toll – aber ich kann nicht. Sie bewerben sie nämlich als
       „Wellnessmatte“, und in meinem Kopf ruft es sehr laut und sehr empört: Für
       wie blöd haltet ihr mich?
       
       Ein Badvorleger, dem ein eher unglamouröses Dasein auf dem schmalen
       Bodenstück zwischen Klo und Waschbecken zugedacht ist – Wellness? Ohne
       Frage, Wellness trifft mein Bedürfnis. Ich weiß vielleicht nicht viel, aber
       ich weiß: Dieser Teppich wird mir nicht den Rücken massieren.
       
       Wer erinnert sich nicht an die ersten Wellen der Corona-zeit: Neben den
       Inzidenzsorgen plagte uns der Alltag, allen fiel die Decke auf den Kopf,
       Urlaube wurden storniert, Freunde treffen war nicht, auch die Stadien
       hatten zu. Und was machte die Werbeindustrie? Sie reagierte.
       
       ## Wellnesseffekt, nein danke
       
       Ich erinnere mich an die Packungen mit feuchtem Toilettenpapier, auf denen
       mit einem Mal der Zusatz auftauchte „Jetzt mit Wellnesseffekt“. Da fühlte
       ich mich schon ein bisschen … – genau. Außerdem war plötzlich alles
       „besonders sicher“ oder hatte einen „Hygieneeffekt“. Das Toilettenpapier,
       die Alufolie, der Wiederverschlussclip vom Parmesankäse: „Jetzt 100 %
       sicher“. Wie viele Prozente waren’s denn vorher, bitte, fragte ich mich.
       
       Und obendrein tauchte für alle, die Fußball vermissten, in den Chipsregalen
       zwischen Paprika, Oriental und Chakalaka eine neue Marke auf: Stadionwurst.
       
       Immer wieder gibt es Dinge, die ich wegen des Marketings nicht kaufe. Das
       war früher schon so, als Dieter Bohlens Bild auf der Buttermilch war. Ich
       trank stets schon gern Buttermilch – aber so konnte ich es nicht.
       Vielleicht hätte ich mehr daran arbeiten und Dieter Bohlen auf den Schrank
       mit der Schokolade kleben sollen.
       
       Nicht nur Bilder, auch Wortspiele zerren an meinen morschen Nerven. Gestern
       habe ich eine Tiefkühlpizza gesehen: „Die Ofenbarung“. Himmel! In der
       Generation meiner Söhne sind ähnlich hippe Eisteesorten gerade angesagt.
       Jeder dritte Rapper hat inzwischen seine eigene Eisteesorte, scheint es,
       „IceTea“ vielmehr. Die Marke von Capital Bra heißt „BraTea“. Die von Shirin
       David „DirTea“. Mein Jüngster hatte mir daraufhin vorgeschlagen, ich sollte
       auch eine eigene Teemarke haben: „MutTea“. Da ging mir schon ein bisschen
       das Herz auf.
       
       Jedenfalls, wenn jemand einen Badvorleger sieht, der auf den Namen
       Badvorleger hört, möge er oder sie mir doch bitte Bescheid geben. Wir
       bräuchten einen. Er soll da nur liegen. Zu Weihnachten habe ich übrigens
       „Lesesocken“ geschenkt bekommen. Lesesocken! Die ziehe ich jetzt immer zum
       Fernsehen an. Nimm das, Kapitalismus!
       
       11 Jan 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne M. Riedel
       
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