# taz.de -- Correctiv-Recherche: Rechte profitieren von Enthüllungen
> Für die AfD und Rechtsextremist Martin Sellner ist es ein großer Erfolg,
> dass ihr „Geheimtreffen“ aufflog. Ihre Schlagworte sind jetzt in aller
> Munde.
IMG Bild: Rechtsextreme kamen im Potsdamer Landhaus Adlon zusammen
[1][„Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“], fragte die Publizistin Mely
Kiyak mal. Nur wer das für eine überspitzte Polemik hielt, dürfte jetzt
überrascht sein, dass Rechtsextremisten ganz offen und nüchtern über ihre
rassistischen Deportations- und Vertreibungspläne sprechen. Jenen, von
deren Deportation deutsche Rechtsextremisten träumen, war schon immer klar,
das sie genau das meinen, was sie sagen. Auch wenn sie heute, statt
„Ausländer raus“ zu grölen, vornehm „Remigration“ dazu sagen. Das klingt
akademischer, meint aber das Gleiche.
Für die Rechtsextremisten in der AfD und um den „Identitären“ Martin
Sellner ist es ein großer Erfolg, dass ganz Deutschland jetzt über ihren
angeblichen „Masterplan“ spricht. [2][Die Enthüllung des Recherche-Teams
von Correctiv], dass sich eine illustre Schar aus Unternehmern,
AfD-Funktionären und rechten CDU-Mitgliedern im November in einem Hotel in
Potsdam traf, um den Ausführungen des Nazi-Hipsters und Aktivisten Martin
Sellner zu lauschen, schlägt zu Recht hohe Wellen.
Sie wirft ein Schlaglicht auf rechte Netzwerke, die in Politik und
Wirtschaft hineinreichen. Die breite Berichterstattung trägt aber
unfreiwillig dazu bei, dass [3][das Schlagwort „Remigration“] nun in aller
Munde ist. Es ist das erklärte Ziel von Martin Sellner und Götz Kubitschek,
diesen Begriff in die Debatte einzubringen und damit die Grenzen des
Sagbaren zu verschieben, um ihn gesellschaftsfähig zu machen. Das ist ihnen
gelungen.
## Schwer auflösbares Dilemma
Es gibt eine Theorie, die ihr strategisches Vorgehen beschreibt: das
„Overton“-Fenster, benannt nach dem amerikanischen Politologen Joseph
Overton. Was bislang undenkbar schien, wird nun zwar als extreme Idee
wahrgenommen, aber dadurch auch denkbar. Kritiker müssen das ernst nehmen
und darauf reagieren, wodurch die Idee plötzlich diskutabel erscheint. Für
Medien ist das ein schwer auflösbares Dilemma, denn sie können solche
Treffen wie in Potsdam und das, was dort gesprochen wird, schlecht
ignorieren. Rechtsextreme wissen das für sich zu nutzen.
In der AfD wird schon lange über „Remigration“ diskutiert. Die
Rechtsextremisten machen keinen Hehl daraus, dass sie möglichst viele
Menschen, die nach Deutschland geflohen oder eingewandert sind, aus
Deutschland weghaben wollen. Martin Sellner erklärt zu den Enthüllungen
denn auch, sein Plan sei gar nicht geheim, sondern werde „im patriotischen
Lager breit und öffentlich diskutiert“ und er umfasse „nicht nur
Abschiebungen, sondern auch „Leitkultur und Assimilationsdruck“.
Dass AfD-Politiker die „millionenhafte Remigration“ oder eine „komplette
Abschiebung“ (Gottfried Curio) fordern, ist in der Tat nicht neu. Unklar
blieb bisher nur, wen genau sie damit meinen. Sellner beschränkt seine
Vertreibungsfantasien nicht nur auf Asylbewerber, sondern weitet sie
explizit auf „nicht assimilierte Staatsbürger“ aus. Diese sollen aus
Deutschland vergrault werden, indem man ihnen das Leben so schwer wie
möglich macht. Wo die AfD politische Macht erhält, wird sie das tun.
Schikanen sind ein Mittel zum Zweck. Menschen, die neben dem deutschen Pass
noch den eines anderen Landes besitzen, sollen ihre deutsche
Staatsbürgerschaft im Zweifel wieder verlieren können.
## Zwischen Mainstream und Extrem
Riskant sind solche öffentlichen Gedankenspiele, weil sie den Forderungen,
die AfD zu verbieten, neuen Auftrieb geben. Die etablierten Parteien wären
aber glaubwürdiger, sich über den Rassismus der AfD zu empören, wenn sie
manche Grundgedanken nicht schon selbst übernommen hätten. Als Olaf Scholz
auf dem Spiegel-Cover drohte: „Wir müssen endlich im großen Stil
abschieben“, war auf den ersten Blick nicht klar, wen er damit meinte –
viele fühlten sich davon bedroht.
Die Union wiederum hielt es für eine gute Idee, ausgerechnet am 9. November
zu fordern, deutschen Staatsbürgern mit Zweitpass die deutsche
Staatsbürgerschaft im Zweifel zu entziehen, wenn sie aufgrund einer
antisemitischen Straftat verurteilt wurden. Das mag gut gemeint sein, aber
Ausbürgerungen stehen eher Diktaturen zu Gesicht. Das zeigt: Manche
Forderung, die mal als extrem galt, ist längst im Mainstream angelangt. Das
Fenster hat sich schon verschoben.
11 Jan 2024
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Daniel Bax
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