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       # taz.de -- Gestorbener Optikerketten-Gründer: Fielmann, der Marxist
       
       > Optikerketten-Gründer Günther Fielmann verstand genau, wie der
       > Kapitalismus funktioniert: Nur große Firmen überleben den gnadenlosen
       > Preiskampf.
       
   IMG Bild: Fielmann war für die Brille, was Ikea für die Möbel bedeutete
       
       Günther Fielmann war Marxist, obwohl er dies selbst wahrscheinlich gar
       nicht wusste. Der kürzlich verstorbene Optiker hat nämlich genau umgesetzt,
       was Marx bereits 1867 in seinem Hauptwerk Das Kapital vorhergesehen hat:
       Den permanenten Konkurrenzkampf können Firmen nur überleben, wenn sie
       ständig wachsen, weil das einzelne Produkt umso billiger wird, je mehr
       davon hergestellt wird.
       
       Diese Maxime hat Fielmann beherzigt und konsequent auf Masse gesetzt. Je
       mehr Brillen er produzierte und verkaufte, desto weniger musste er für das
       einzelne Gestell verlangen. Gegen diesen aggressiven Preiskampf hatten
       viele Konkurrenten keine Chance und mussten ihre Geschäfte aufgeben.
       
       Bei Marx klingt dieser gnadenlose Wettbewerb durchaus gewalttätig, denn er
       beschreibt ihn als Enteignung: Bei ihm kommt es „zur Expropriation von
       Kapitalist durch Kapitalist“ und zur „Verwandlung vieler kleineren in
       wenige größere Kapitale“.
       
       Als Marx diese Worte 1867 verfasste, gab es noch keine Großkonzerne oder
       Einzelhandelsketten. Marx beschrieb nicht die damalige Realität, sondern
       wagte eine Prognose. Aber er behielt recht. Der Kapitalismus neigt zur
       Konzentration, und dieser Prozess ist auch bei den Optikern deutlich zu
       erkennen. Fielmann eröffnet ständig neue Dependancen und kam 2022 in
       Deutschland auf 614 Filialen – während gleichzeitig die Zahl der
       Fachgeschäfte stetig zurückgeht. Vor zehn Jahren gab es 12.000
       Brillenläden; 2022 waren es nur noch 11.100.
       
       Für die kleinen Optiker ist es daher kein Trost, dass der Gesamtmarkt
       eigentlich wächst. Deutschland hat immer mehr Probleme mit dem Sehen, wie
       die jüngste „Brillenstudie“ von 2019 ausweist: 1952 trugen erst 43 Prozent
       aller Erwachsenen eine Brille, heute sind es schon 66,6 Prozent. Tendenz
       weiter steigend.
       
       In konkreten Zahlen bedeutet dies: 41,1 Millionen der erwachsenen
       Bundesbürger sind auf eine Brille angewiesen. 23,4 Millionen tragen sie
       ständig und weitere 17,7 Millionen gelegentlich. Zudem nutzen 3,4 Millionen
       Menschen Kontaktlinsen.
       
       Der Markt der Optiker ist also eigentlich erfreulich, zumal sie das seltene
       Glück haben, dass der Onlinehandel keine echte Konkurrenz darstellt. 97
       Prozent aller Fehlsichtigen lassen sich in einem Fachgeschäft beraten. Im
       Internet wird fast alles gekauft – aber meistens keine Brillen mit den
       passenden Korrekturgläsern.
       
       ## Jede zweite Brille von Fielmann
       
       Doch das Problem ist eben, dass es viele Kunden zu den großen Ketten zieht.
       Fielmann hat im Jahr 2022 in Deutschland 1,253 Milliarden Euro umgesetzt,
       was rund 22 Prozent der gesamten Branchenerlöse ausmachte. In reinen
       Stückzahlen ist es sogar noch krasser: Da Fielmann so billig ist, bedeutet
       ein Umsatzanteil von 22 Prozent, dass die Kette jede zweite Brille in
       Deutschland verkauft.
       
       Die Verlierer sind die normalen Fachgeschäfte. Oder wie es der
       Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen in schönstem Marx-Deutsch
       ausdrückt: Man konstatiere einen „Verdrängungsdruck, dem die
       mittelständischen Unternehmen derzeit ausgesetzt sind“.
       
       Längst ist Fielmann auch im Ausland aktiv, denn der Wettbewerb macht ja an
       den Grenzen nicht halt. Der Zwang zur Expansion endet nie. [1][Wie der
       Aktienkonzern stolz meldet, gehöre man „zu den größten Augenoptikern
       weltweit“].
       
       Fielmann ist zu einer Ikone geworden, weil er das verhasste Kassengestell
       entsorgte und durch moderne und formschöne Brillen ersetzte. [2][Für viele
       Menschen war es eine Befreiung, dass ihnen ihre soziale Herkunft nicht mehr
       auf der Nase anzusehen war]. Auch Fielmann selbst betrachtete sich als Held
       und Retter der kleinen Leute. Auf der Homepage des Unternehmens heißt es
       stolz: „Die Demokratisierung der Brillenmode ist die historische Leistung
       unseres Firmengründers.“ Gern zitiert man dort Medien, die Fielmann zum
       „Robin Hood der Brillenträger“ erkoren haben.
       
       ## Ikea für Brillenträger
       
       Doch so einleuchtend die Geschichte vom [3][„Mörder der Kassenbrille“
       (Friedrich Küppersbusch)] klingt: Entscheidend war, dass Fielmann jeden
       Preiskampf gewinnen konnte, weil er auf Masse setzte und deswegen billig
       sein konnte. Dieser Preiskampf war für viele Kunden ein Segen: 41 Prozent
       aller Fehlsichtigen haben nur eine einzige Brille. Weitere Modelle können
       oder wollen sie sich nicht leisten.
       
       Fielmann war für die Brille, was Ikea für die Möbel bedeutete. Plötzlich
       konnten sich auch Studenten hübsche Sofas leisten. Der gesamte Einzelhandel
       ist inzwischen von Ketten dominiert, egal ob sie Aldi, Rossmann oder OBI
       heißen.
       
       Größe zählt aber nicht nur im Einzelhandel, sondern auch in der Industrie –
       und in der Landwirtschaft. Gerade laufen die Bauernproteste, und unter
       anderem wird suggeriert, dass die Höfe sterben würden, weil die staatlichen
       Subventionen nicht ausreichend fließen. Nein. Auch auf dem Acker gilt, dass
       große Bauern billiger produzieren können und die Kleinen verdrängen.
       
       Marx hätte diese Konzentrationsprozesse mit Freude gesehen. Er hoffte, dass
       der Kapitalismus von selbst untergehen würde – indem sich die Firmen
       gegenseitig schlucken, bis nur noch wenige Unternehmer übrig wären. „Je ein
       Kapitalist schlägt viele tot“, was die Revolution vereinfachen würde: Am
       Ende müsste die „Volksmasse“ nur noch „wenige Usurpatoren“ entfernen. „Die
       Expropriateurs (sic!) werden expropriiert.“
       
       Bekanntlich kam es anders. Der Kapitalismus lebt noch immer, und auch
       Günther Fielmann ist nicht aus Versehen zum Vorboten einer kommunistischen
       Revolution geworden. Der Kapitalismus hat sich als deutlich robuster
       erwiesen, als es Marx je vorhergesehen hat. Dafür gibt es viele Gründe.
       Dazu gehört, dass die Waren relativ zum Einkommen immer billiger wurden.
       Massenkonsum wurde auch ohne Revolution möglich – und dafür war Fielmann
       typisch.
       
       12 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.fielmann-group.com/ueber-uns/
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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