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       # taz.de -- Nordkorea erklärt Südkorea zum Feind: Kims Säbel rasselt immer lauter
       
       > Nordkoreas Diktator gibt Politik zur friedlichen Wiedervereinigung auf.
       > Zwei Experten halten die Kriegsgefahr für so hoch wie 1950.
       
   IMG Bild: Kim Jong Un, Machthaber in Nordkorea
       
       Peking taz | Wer Kim Jong Uns Drohgebärden über die Jahre verfolgt, fühlt
       sich unweigerlich an den sprichwörtlichen Hund erinnert, der zwar
       regelmäßig bellt, aber doch nie zubeißt. Doch was Nordkoreas Machthaber
       dieser Tage von sich gibt, geht über sein übliches Säbelrasseln hinaus.
       Zwei führende Experten glauben sogar, Kim schwöre sein Land derzeit auf
       einen kriegerischen Konflikt ein.
       
       Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA meldete am Dienstag, der 40-Jährige habe
       die friedliche Vereinigungspolitik seines Großvaters, des Staatsgründers
       Kim Il Sung, über Bord geworfen. Südkorea solle nun per Verfassung als
       „Feindstaat Nummer eins“ bezeichnet und im Ernstfall „vollständig besetzt“
       werden. Alle Behörden für den innerkoreanischen Dialog ließ der Diktator
       schließen. „Wir wollen keinen Krieg, doch haben wir auch nicht die Absicht,
       ihn zu vermeiden“, sagte Kim demnach.
       
       Noch 2017 dominierte Nordkorea mit seinen wiederholten Raketentests die
       internationalen Schlagzeilen. Seitdem ist aber der Korea-Konflikt ins
       mediale Hintertreffen geraten. Die Staatengemeinschaft hatte angesichts der
       Corona-Pandemie und der Kriege in der Ukraine und in Gaza dringlichere
       Probleme.
       
       Kims Waffentests wurden nur noch zu einem Hintergrundrauschen. Selbst als
       Pjöngjang zu Jahresbeginn [1][Hunderte Artilleriegranaten an der
       innerkoreanischen Seegrenze] abschoss, blieb das für viele eine Randnotiz.
       
       ## Forscher: Kim hat eine strategische Entscheidung getroffen
       
       Doch nun sorgt eine Analyse zweier führender Nordkorea-Experten für
       Aufsehen in Washington. „Die Lage auf der koreanischen Halbinsel ist so
       gefährlich wie seit Anfang Juni 1950 nicht mehr“, schreiben Siegfried
       Hecker und Robert Carlin im Fachmedium 38 North: „Das mag übertrieben
       dramatisch klingen, aber wir glauben, dass Kim Jong Un wie sein Großvater
       im Jahr 1950 eine strategische Entscheidung getroffen hat, in den Krieg zu
       ziehen.“ Der Koreakrieg (1950–1953) führte zu Millionen Toten.
       
       Was also hat sich geändert? Seit den 90er Jahren hat Nordkoreas Führung
       ihre Außenpolitik vor allem darauf ausgelegt, die Beziehungen zu den USA zu
       verbessern mit dem Ziel einer langfristigen Normalisierung.
       
       In Washington wurde Pjöngjangs Aufrichtigkeit zwar stets angezweifelt, doch
       lässt sich wohl kaum abstreiten, dass das hochparanoide Nordkorea teils
       erstaunliche Zugeständnisse lieferte: So konnten etwa 2008 US-Forscher die
       Nuklearanlage Yongbyon inspizieren, darunter auch besagter Analyst Hecker.
       
       Doch spätestens 2019, als das zweite Gipfeltreffen von Kim Jong Un und
       Donald Trump in Hanoi spektakulär scheiterte, hat Nordkoreas Führung ihre
       Annäherung an die USA aufgegeben. Seither wendet sie sich wieder verstärkt
       den Nachbarn China und Russland zu.
       
       ## Nordkorea sucht keine Annäherung an die USA mehr
       
       Vor allem die [2][Annäherung an Moskau] ist gefährlich für Europa, da
       Nordkoreas Munition mittlerweile Putins Armee in der Ukraine stärkt. Eine
       Million Artilleriegeschosse soll Pjöngjang geliefert haben.
       
       Auch innerhalb der koreanischsprachigen Propaganda zeigte sich ab 2023 eine
       alarmierende Eskalation. Immer wieder tauchten in Dokumenten Anspielungen
       zur Kriegsvorbereitung auf, mindestens einmal von Kim Jong Un persönlich
       zur „Vorbereitung eines revolutionären Krieges zur Vollendung der
       Wiedervereinigung“.
       
       Könnte er seinen martialischen Worten wirklich Taten folgen lassen? „Das
       mag wie Wahnsinn erscheinen, aber die Geschichte zeigt, dass diejenigen,
       die sich selbst davon überzeugt haben, dass sie keine guten Optionen mehr
       haben, die Ansicht vertreten, dass selbst das gefährlichste Wagnis einen
       Versuch wert ist“, argumentieren Hecker und Carlin.
       
       Ganz abwegig war dieses Szenario nie. Stets verwiesen einige Experten
       darauf, dass Kims Regime weiter darauf hinarbeitet, das demokratische
       Südkorea militärisch zu erobern.
       
       ## US-Schutz von Seoul auf Kosten von San Francisco?
       
       Viele haben dies als abwegig erklärt, denn inzwischen beträgt das
       Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Norden weniger als ein Vierzigstel von dem
       im Süden. Auch sind die USA vertraglich verpflichtet, Südkorea beizustehen.
       Sollte Kim einen Krieg starten, wäre dies das sichere Ende seines Regimes.
       
       Doch könnte es auch anders kommen. Ein Gedankenspiel, das etwa Forscher wie
       Andrei Lankow von der südkoreanischen Kookmin-Universität in Betracht
       ziehen: Pjöngjang könnte mit seinen Nuklearsprengköpfen und
       Interkontinentalraketen eine glaubwürdige Erstschlag-Bedrohung gegen die
       US-Westküste aufbauen.
       
       Dann müssten sich die USA fragen, ob sie bereit sind, etwa für Südkoreas
       Schutz mit dem Verlust von San Francisco zu bezahlen. Sind die USA im
       Ernstfall also wirklich ein verlässlicher Partner, und dass auch, wenn
       Donald Trump wieder Präsident werden sollte?
       
       16 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Korea-Konflikt/!5983718
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       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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