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       # taz.de -- Debatte über Klos in Russland: So ein Scheiß
       
       > „Entnazifizierung“ lautete das offizielle Ziel des Kremls für den
       > Überfall auf die Ukraine. Jetzt kommt raus: Es geht um genderneutrale
       > Klos.
       
   IMG Bild: So pinkelt man in Moskau, 1985
       
       Moskau taz | Wladimir Putin lächelt sein verächtliches Lächeln, spielt mit
       seinem Kugelschreiber. [1][Der russische Präsident], der vor bald zwei
       Jahren seine Panzer und Flugzeuge in die Ukraine schickte, um das
       Nachbarland unter den Worthülsen von „Entnazifizierung“ und
       „Demilitarisierung“ zu zerstören und Millionen von Menschen, Häuser, Leben
       und Gewissheiten zu nehmen, sitzt am Dienstag öffentlichkeitswirksam vor
       den Leitern russischer Kommunalverwaltungen und kann es einmal mehr nicht
       fassen, wie das Leben in „manchen europäischen Ländern“ so funktioniere.
       
       „Also entschuldigen Sie mal, diese gemeinsamen Toiletten für Mädchen und
       Jungen. Solche Sachen. Es ist schwierig, unter derartigen Bedingungen
       Kinder großzuziehen. Für Menschen mit normalen menschlichen Werten ist es
       sehr schwierig, unter solchen Bedingungen zu leben.“ Deshalb kehrten so
       viele Russen nun zurück, die das Land verlassen hätten, sagt er. Mit
       gemeinsamen Toiletten für alle Geschlechter könnten diese laut Putin nun
       wirklich kein vernünftiges Leben führen.
       
       Russland, daran lässt der Kremlherrscher bei jeder Gelegenheit keinen
       Zweifel aufkommen, sei ein „traditionell normales“ Land. Ein Land, in dem
       laut der staatseigenen Statistikbehörde ein Drittel der ländlichen
       Bevölkerung ganz „traditionell“ ein Plumpsklo aus Holz im Garten stehen hat
       und in diesem Erdloch mit Überbauung seine Notdurft verrichtet. Ein Land,
       in dem in zehn Regionen jede fünfte Schule ohne Kanalisation ist. Ein Land,
       in dem, wenn es denn beheizbare Toiletten in den Wohnungen gibt, selten
       zwei pro Wohnung zu finden sind.
       
       Was sind da schon die Ukrainer*innen, die in ihren Schulen – so sind
       russische Politiker*innen und Propagandist*innen überzeugt –
       genderneutrale Toiletten einbauten? Die russischen „Jungs“ mit „Gewehren in
       der Hand“, so sagte bereits der Sankt Petersburger Gouverneur Alexander
       Beglow vor wenigen Tagen und kam Putin etwas zuvor, wüssten eben, wofür sie
       kämpften.
       
       ## „Sortir nasch“ also? Das Klo ist unser?
       
       „Diesen Jungs, die Toiletten in Schulen im Donbass gesehen haben, in denen
       es statt zwei Räumen – für Mädchen und Jungen, drei Räume – für Mädchen,
       Jungen und Genderneutrale – gibt, muss nicht erklärt werden, für welche
       Werte wir stehen“, schrieb er in seinem Telegram-Kanal. Verteidigt der
       russische Staat mit seinem Krieg in der Ukraine also nicht seine angeblich
       „von Feinden im Westen bedrohte Souveränität“, wie der Kreml stets
       behauptet, sondern seine Toiletten „für normale Mädchen“ und „normale
       Jungen“? „Sortir nasch“ also? Das Klo ist unser?
       
       Wofür die russischen Soldaten in der Ukraine kämpfen, das ist auch vielen
       in Russland nicht klar. „Vielleicht gibt es dort gar keine Faschisten“,
       sagt da so manche Frau, die allen repressiven Gesetzen zum Trotz auf die
       Straße geht, weil sie ihren mobilisierten Mann von der Front holen will.
       Menschen, die anfangen, die perfekt gemachten Propagandamärchen des
       Staates, die dieser seinem Volk täglich auftischt, plötzlich in Frage zu
       stellen.
       
       In den sozialen Netzwerken posten manche nach Beglows und Putins
       Skurrilitäten [2][von „genderneutralen Toiletten“] zigfach Bilder von
       windschiefen Plumpsklos, von Gruben an Feldrändern, von Schultoiletten, in
       denen – wie so oft in russischen Schultoiletten – extra die Türen
       herausgenommen sind. „Wir haben auch drei unterschiedliche Toiletten in
       unserer Schule: eine für Mädchen, eine für Jungen und eine für Lehrer,
       genderneutral, für Männer wie Frauen“, schreibt einer.
       
       Eine andere klagt über fehlendes Toilettenpapier, Seife und selbst
       Spülung in der Schultoilette ihrer Kinder. In manchen russischen Schulen,
       so berichten unabhängige Onlineportale, dürften die Schüler*innen nur
       mit einem „Ticket“ aufs Klo, das die Lehrerin je nach Benehmen des Kindes
       austeile. „Alles klar, nun wissen wir Bescheid. Aber wäre es nicht
       besser,,unsere Jungs' zum Bau funktionierender Toiletten hier abzustellen,
       anstatt sie zum Zerstören welcher Klos auch immer in der Ukraine
       einzusetzen?“, schreibt ein Boris. Und ein Igor: „Schnell ein Klo her,
       egal, welches. Ich muss brechen.“
       
       18 Jan 2024
       
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