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       # taz.de -- Bauernprotest gegen Subventionskürzungen: Giervorwürfe und Galgendrohungen
       
       > Zum Beginn der bundesweiten Aktionswoche des Bauernverbandes blockieren
       > Landwirte viele Straßen. Auf beiden Seiten gibt es Aggressionspotenzial.
       
   IMG Bild: Bauernprotest in Vehlefanz, Brandenburg, 08.01.2024: Traktoren blockieren die Autobahn A10
       
       ## Sorge vor Kaperung durch Rechte
       
       Die Proteste der Landwirte gegen Subventionskürzungen haben am Montag
       bundesweit zu großen Verkehrsbehinderungen geführt. Am Brandenburger Tor in
       Berlin nahmen rund 550 Demonstranten mit ähnlich vielen Fahrzeugen am
       Protest teil, darunter zahlreiche Traktoren. In Erfurt zählte die Polizei
       etwa 1600 Fahrzeuge. An vielen Orten gab es Traktorkolonnen sowie
       zeitweilige Blockaden von Autobahnauffahrten, allein in Brandenburg wurden
       100 Autobahnauffahrten blockiert.
       
       Im VW-Werk Emden wurde die Produktion gestoppt. Es sei für die
       Beschäftigten nicht möglich gewesen, zur Arbeit zu kommen, sagte eine
       VW-Sprecherin. Die Bauern erhielten in einigen Städten Unterstützung, etwa
       von Lastwagenfahrern und Handwerkern.
       
       Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte vor einer [1][Kaperung der
       Bauernproteste durch extreme Kräfte]. „Es kursieren Aufrufe mit
       Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch
       nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in
       den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen
       demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt“, sagte der
       Grünen-Politiker in einem auf sozialen Medien verbreiteten Video. Darin
       forderte er auch eine Debatte über einen Wandel der Landwirtschaft.
       
       In vielen Orten Deutschlands müssen sich Autofahrer, Schüler und
       Busfahrgäste aufgrund der Proteste auf starke Behinderungen einstellen.
       Mehrere Kultusministerien der Länder kündigten an, dass Schüler
       entschuldigt werden, sollten sie es wegen der Aktionen nicht zum Unterricht
       schaffen. (dpa)
       
       ## Proteste angelaufen
       
       Die Proteste von Landwirt:innen gegen die Agrarpolitik sind am Montag
       angelaufen – und sie fallen teils harsch aus. Der [2][rbb berichtete, ein
       Reporter und ein Techniker des Senders seien bei der Berichterstattung
       bedroht und beschimpft worden]. Sie hatten zunächst nur mit
       Polizeiunterstützung die Autobahn A13 an der Abfahrt Ortrand
       (Oberspreewald-Lausitz) verlassen können. Danach wurden sie auf der
       Bundesstraße am Weiterfahren gehindert und bedrängt. Demonstranten stellten
       sich vor den Übertragungswagen und schlugen dagegen.
       
       Wie die Sprecherin der Polizeidirektion Süd Ines Filohn sagte, wird im
       Falle einer Strafanzeige wegen Nötigung oder Beleidigung ermittelt. An
       vielen anderen Orten blockierten Landwirte mit Traktoren und anderen
       landwirtschaftlichen Maschinen zunächst friedlich Autobahnzufahrten,
       Bundes- und Landstraßen und behinderten so vielerorts den Autoverkehr. In
       manchen Städten kamen auch Linienbusse nicht mehr durch. Zu sehen waren
       immer wieder Transparente mit Aufschriften, wie „Gesetze nicht zu Ende
       gedacht, Bauern plattgemacht“, aber auch „Wer's Land verkauft und Bauern
       fängt, ist es wert, dass er am Galgen hängt.“ Aus Berlin und den
       ostdeutschen Ländern wurden auch AfD-Plakate gemeldet.
       
       [3][Aufgerufen zu den Aktionen, die eine bundesweite Protestwoche]
       einläuten sollen, hat der Deutsche Bauernverband (DBV). Die Landwirte
       demonstrieren gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Ausgangspunkt
       waren von der Bundesregierung [4][geplante Subventionskürzungen] – die
       diese inzwischen teilweise wieder zurückgenommen hat. Den Bauern geht das
       aber nicht weit genug. Bauernpräsident Joachim Rukwied verlangte am Montag,
       völlig auf die Streichungen zu verzichten. „Das heißt ja am Ende Sterben
       auf Raten“, sagte Rudwied bei der Klausurtagung der
       CSU-Bundestagsabgeordneten im Kloster Seeon zu den Zugeständnissen der
       Bundesregierung. „Das ist inakzeptabel. Das muss zurückgenommen werden.“
       
       Konkret will die Regierung den Steuernachlass für Bauern beim Diesel
       schrittweise innerhalb von drei Jahren abbauen. Die Vergünstigung soll 2024
       um zunächst 40 Prozent und in den Jahren 2025 und 2026 um jeweils 30
       Prozent verringert werden. Ab 2027 gäbe es dann keine Diesel-Beihilfe mehr.
       Dies ist Teil des Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes, das am Montag vom
       Kabinett auf den Weg gebracht werden sollte. Ursprünglich sollten
       Diesel-Beihilfe und zudem auch die Kfz-Steuerbefreiung auf einen Schlag
       gestrichen werden, um für den Etat 2024 knapp eine Milliarde Euro
       einzusparen.
       
       ## Bauern im Allzeithoch
       
       Die wegfallende Entlastung ist je nach Betriebsgröße und Spritverbrauch
       ganz unterschiedlich. Ein Durchschnittsbetrieb büßt laut
       Bundesagrarministerium 2024 gut 1.000 Euro an staatlicher Diesel-Hilfe ein.
       Die Absenkung des Steuernachlasses soll ab März 2024 greifen. Spürbar wird
       dies für Bauern überwiegend aber erst 2025, weil sie zunächst den vollen
       Steuersatz zahlen und die Erstattung erst im nächsten Jahr ausgezahlt wird.
       Derzeit und bis Ende Februar 2024 bekommen die Landwirte pro Liter Diesel
       21,48 Cent Rückerstattung. Ab März 2024 wären es dann knapp 12,9 Cent. Ein
       Durchschnittsbetrieb tankt etwa 13.000 Liter Diesel im Jahr. Statt mit
       2.780 Euro würden diese dann im Jahr nur noch mit 1.675 Euro
       subventioniert.
       
       Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 waren die Betriebsergebnisse der
       Bauern laut DBV auf ein Allzeithoch gestiegen. „Nach vielen schwachen
       Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation der Betriebe in den letzten
       beiden Jahren erheblich verbessert“, hieß es im [5][jährlichen
       Situationsbericht des Lobbyverbandes.] Haupterwerbsbetriebe erzielten
       demnach ein Unternehmensergebnis von 115.400 Euro je Betrieb. Das sei ein
       Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Bauern profitierten vor
       allem von den hohen Preissteigerungen für Nahrungsmittel.
       
       ## Bauernpräsident fürchtet Aus für Betriebe
       
       Rukwied warf der Bundesregierung dessen ungeachtet nun vor, mit den
       Kürzungen ein „Abwicklungsszenario“ auf den Weg zu bringen. Die Kürzungen
       seien „ein Turbo für den Strukturwandel“, sagte er. Das werde dazu führen,
       dass weitere Betriebe aufhören müssten. Der Bauernpräsident betonte, dass
       die Landwirte „diszipliniert demonstrieren“. Nach seinen Rückmeldungen
       verlaufe der Protest friedlich.
       
       Polizeiberichten zufolge kam es mitunter allerdings auch zu Streitereien
       zwischen Protestierern und Autofahrern. In Nordbrandenburg etwa versuchte
       ein Autofahrer, mit seinem Wagen durch die Absperrung zu kommen und Leute
       wegzuschieben. „Das sind aber Einzelfälle“, sagte ein Sprecher der
       Brandenburger Polizei. Rettungskräfte und Pflegedienste hätten die
       Sperrungen passieren können. Allerdings wurden auch Verletzte gemeldet.
       
       Insgesamt waren in vielen Bundesländern jeweils hunderte Landwirte mit
       Traktoren unterwegs. In Mecklenburg-Vorpommern blockierten sie am frühen
       Morgen bereits 62 Auffahrten von Autobahnen. Unterstützt wurden sie von
       Speditionsunternehmen, die gegen die Erhöhung der Lkw-Maut protestierten.
       Für Hamburg wurden 2.000 Traktoren erwartet. Die anfahrenden Demonstranten
       blockierten hier – wie auch in Bremen und in Niedersachsen – auch etliche
       Linienbusse. Manche Gemeinden hatten deswegen den Präsenzunterricht in den
       Schulen bereits im Vorfeld abgesagt. In Sachsen waren laut Polizei etwa im
       Raum Dresden einige Autobahnauffahrten nicht nutzbar. Versammlungen gibt es
       demnach an den Autobahnen A4, A13, A14 und A17. Auf den mitgeführten
       Plakate ist immer wieder von „Gier“, Unwissenheit und Inkompetenz der
       Ampelkoalition die Rede.
       
       Politiker:innen zeigten zum Teil Verständnis, riefen aber auch dazu
       auf, die demokratischen Regeln einzuhalten. „Protest ist erlaubt, aber der
       Versuch der Unterwanderung durch radikale und völlig irre Kräfte ist leider
       Realität“, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Lars
       Castellucci (SPD) der Augsburger Allgemeinen. „Dagegen hilft nur glasklare
       Distanzierung: eine rote Linie zwischen Protest und Radikalisierung, also
       Protest gerne laut und wahrnehmbar, aber keine Gewalt, keine
       Gewaltandrohung, keine Nötigung, Respekt vor Sicherheitsbehörden“, forderte
       der SPD-Politiker, der vorab über die Sicherheitslage unterrichtet war.
       
       Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich warnte vor Unterwanderung
       der Bauernproteste durch Extremisten von außen. „Wer wie die Querdenker
       versucht, diese Proteste zu unterwandern, der will nicht die Anliegen der
       Bauern vertreten, sondern der verfolgt eine Agenda der Polarisierung“,
       sagte er. „Konkrete Versuche vor allem via Telegram, Proteste zu
       unterwandern sehe ich mit Sorge.
       
       SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärte: „Demokratischer Protest lässt
       sich einfach erkennen: Er zeigt Respekt vor anderen Meinungen, verzichtet
       auf Gewalt oder deren Androhung und er ist bereit zum Kompromiss“, sagte
       Kühnert ebenfalls der Augsburger Allgemeinen. „Wer das beherzigt, der muss
       politisch angehört werden. Wer dazu nicht in der Lage ist, dem sollte im
       Interesse der Sache und unserer Demokratie keine Bühne geboten werden.“
       
       Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der die Anliegen der Bauern
       grundsätzlich unterstützt, kündigte ein konsequentes Vorgehen der Polizei
       gegen unangemeldete Verkehrsblockaden an. „Soweit einzelne Landwirte und
       Gruppierungen in den Sozialen Medien dazu aufrufen, ihre Versammlungen
       nicht anzuzeigen und Verkehrsknotenpunkte mit ihren Traktoren gezielt zu
       blockieren, werden wir dies nicht tolerieren“, sagte der CSU-Politiker.
       (dpa/afp/taz)
       
       Update am 8. Januar um 15.15 Uhr
       
       8 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Extremisten-wollen-Agrarproteste-kapern/!5981385
   DIR [2] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/01/bauernproteste-berlin-brandenburg-aktionswoche-startet-blockaden.html
   DIR [3] /Bundesweiter-Bauernprotest/!5983907
   DIR [4] /Agrarpolitik-der-Bundesregierung/!5980053
   DIR [5] https://www.bauernverband.de/topartikel/dbv-situationsbericht-mit-verbesserten-ergebnissen-in-2023-24
       
       ## TAGS
       
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