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       # taz.de -- Jüdischer US-Jazz: Musik voll Vitalität und Schönheit
       
       > John Zorns Bandprojekt Masada hat sich einer „Radical Jewish Music“
       > verschrieben. Jetzt gibt es ein Boxset mit Aufnahmen aus den 1990ern.
       
   IMG Bild: Der amerikanische Musiker John Zorn hat mit seiner Band Masada viele Alben eingespielt
       
       Ein Meer aus Saxofon- und Trompetenläufen, ein Schlagzeug, das nicht nur
       Struktur und Takt produziert, sondern auf eine schwer greifbare Weise auch
       Melodien. Und ein Bass, der alles zusammenhält und immer weiter antreibt.
       John Zorn und seine Band, Dave Douglas (Trompete), Greg Cohen (Bass) und
       Joey Baron (Schlagzeug) verbinden Melodien, die entlang der
       Ahava-Rabboh-Skala geschrieben sind. Ein Modus, der struktur- und
       melodiebildend für einen großen Teil der jüdischen Musiktradition ist, von
       liturgischen Gesängen bis Klezmer, mit einem am Ornette Coleman Quartet
       geschulten intuitiven Zusammenspiel.
       
       Die zehn Alben, die John Zorn, der New Yorker Komponist und Saxofonist von
       1994 bis 1998 mit seinem Quartett Masada veröffentlicht hat, gehören zum
       Lebendigsten, was im US-amerikanischen Jazz kurz vor der Jahrtausendwende
       zu hören war. Ihre Vitalität und eine schlichte Schönheit sind das nach wie
       vor Durchschlagende an Zorns Musik, noch vor aller diskursiver Aufladung.
       Nachhören lässt sich das jetzt auf einer bei John Zorns eigenem
       Tzadik-Label erschienenen Box, die Studio Master Takes der zehn
       Masada-Alben versammelt.
       
       Benannt hat John Zorn sein Quartett nach der Festung am Rand der Judäischen
       Wüste, in die jüdische Rebellen vor der römischen Armee flohen und in deren
       Ruinen bis 1985 israelische Soldat:innen mit dem Eid „Masada darf nie
       wieder fallen“ eingeschworen wurden. Die Band war Anfang der neunziger
       Jahre der zweite Bezug auf jüdische Geschichte im Werk Johns Zorns.
       
       Der erste war die Suite „Kristallnacht“, die 1992 in München im Rahmen
       eines von Zorn kuratierten Programms mit dem Titel „Radical New Jewish
       Culture“ aufgeführt wurde. „Kristallnacht“ gehört zum Schwärzesten und
       Negativsten in der an Gewalt reichen Musik Zorns. Bei der vom Bandnamen,
       aber auch durch die Coverart und die über die Zitate hergestellten Bezüge
       als dezidiert jüdisch codierten Musik von Masada [1][sei es aber darum
       gegangen, „zu feiern, was wir haben“], also die eigene Tradition. Eine
       Programmatik nicht ohne Sarkasmus: „We do the best we can under the given
       circumstances.“
       
       Es fällt etwas schwer, den durchweg ohne Schmalz auskommenden Sound von
       Masada ohne Kitschvokabular zu beschreiben. Aber was einem aus den Boxen
       entgegenfließt, ist eine Feier eines intensiven Lebens, das sich herstellt,
       wenn Menschen geglückte Verbindungen miteinander eingehen. Diese
       Verbindungen werden nicht nur musikalisch spürbar, sondern sind auch in der
       Produktion präsent. Mir ist außer dem William Parker Quartet keine jüngere
       Jazzformation bekannt, deren Mitglieder derart traumwandlerisch
       zusammenfinden. Als wären es nicht vier Körper, die hier spielen, sondern
       einer. Ohne dass der Eigensinn der Musiker verloren ginge.
       
       In die Gründungszeit von Masada fällt auch das Erscheinen des von John Zorn
       und dem Gitarristen Marc Ribot verfassten Radical-Jewish-Culture-Manifest,
       das eine Rückbesinnung auf die jüdischen Traditionen im Zirkel um Zorn und
       sein Tzadik-Label propagiert. Beim Wiederlesen fällt auf, dass weite Teile
       des Textes aus Fragen bestehen. Vor allem: „Muss jüdische Musik per se
       hebräische Tonleitern verwenden und spezifisch jüdische Themen behandeln,
       oder ist jüdische Musik einfach Musik, die von Juden gemacht wurde?“ Eine
       Antwort haben auch Ribot und Zorn in ihrem in der eigenen Szene kontrovers
       diskutierten Manifest nicht formuliert, sondern in der Musik selbst.
       
       Die Tradition wird geöffnet für alles, was jüdische Musiker:innen
       mitbringen. In der Radical-Jewish-Music-Serie des Tzadik-Labels sind
       mehrere Hundert Alben erschienen. Zorn lässt die über 200 Kompositionen der
       drei Masada-Songbooks, die im Laufe der 1990er Jahre entstanden sind, immer
       wieder von Jazz-, Noise- und Rockbands, Streichquartetten und als
       Easy-Listening-Kammermusik einspielen, einen guten Überblick findet man auf
       der Fanseite [2][Masada World]. Den Kern des Ganzen bilden die ersten zehn
       im Quartett eingespielten Masada-Alben. Ein unerschöpfliches Meer aus
       Musik.
       
       15 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Konzerte-von-John-Zorn-in-Hamburg/!5841952
   DIR [2] https://masada.world/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benjamin Moldenhauer
       
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