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       # taz.de -- Neuer Stuttgart- „Tatort“: Am Ende richten es die Jungen
       
       > „Zerrissen“ ist nicht direkt schlecht. Aber wenn man bei einem „Tatort“
       > nach zehn Minuten ahnt, wie die Sache läuft, dann ist das unbefriedigend.
       
   IMG Bild: Mikel (Oleg Tikhomirov) fordert Loyalität von seinem Cousin David (Louis Guillaume), der mit 13 noch strafunmündig ist
       
       Die Jugend steht eindeutig im Mittelpunkt dieses „Tatorts“ aus Stuttgart.
       Und sie hat auch ein Gesicht, das des hervorragenden Louis Guillaume,
       Jahrgang 2007, der im Film die Irrnisse und Wirrnisse des 13-jährigen David
       Ellinger fast fehlerfrei vor die Kamera bringt.
       
       Wie überhaupt – jedenfalls [1][in den zuletzt gesichteten Folgen der Reihe]
       – eine Generation sich präsentiert, die überaus vielversprechend für den
       deutschen Film ist, die den [2][Mut zur radikalen Sensibilität und zum
       Grenzgängertum] hat. Ja, da denken nicht nur Sie an die junge Nastassja
       Kinski und i[3][hr („Tatort“)-Debüt in „Reifezeugnis“ (1977).]
       
       Die Story hingegen ist konventionell, mit Anklängen an den deutschen
       Soziokrimi eben der 1970er Jahre. Die Probleme der Gesellschaft werden hier
       eher an ihrem Rand verortet, obwohl wir doch gerade Zeugen sind, dass der
       übelste Extremismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt.
       
       Es gibt die obligatorische Autoschrauberwerkstatt und das Heim für schwer
       erziehbare Jugendliche, die herzlich-raue Oma in der schmuddeligen
       Altbauwohnung – bei der man sofort denkt: warum ist die noch nicht
       gentrifiziert? – und die überengagierte Erzieherin namens Annarosa
       (Caroline Cousin), die in ihrer Freizeit selbstverständlich Kampfsport
       macht und mit dem Motorrad durch die Stuttgarter Nacht braust.
       
       ## Kampf um die Seele
       
       Das ist nicht direkt schlecht, aber wenn man nach zehn Minuten ahnt, wie
       die Dinge sich in etwa entwickeln werden (und am Ende bestätigt wird), dann
       handelt es sich eben doch um sehr konventionelle Kost, abgemischt mit etwas
       Action und Polizeistaatskritik. Das hat seine ironischen und bewegenden
       Momente, geht aber nie übers Genrehafte hinaus – außer eben in dem, was
       Autor Sönke Lars Neuwöhner in einem Statement den „Kampf um die Seele“ des
       von Loyalitätskonflikten zerrissenen David nennt.
       
       Nun ist der Streit um die Seele eines Menschen das deutscheste Thema
       überhaupt. Weil wir so viele Seelen in der Brust haben, waren wir in der
       Geschichte so oft handlungsunfähig. Hier liegt vielleicht die Ursache für
       die kleinen Unsauberkeiten, die Guillaumes Spiel noch anhängen, das etwas
       zu viele Zittern, auf das die Kamera dann auch noch voll draufgeht.
       
       Das trägt aber eben keinen abendfüllenden Film, Nebenstränge werden nicht
       konsequent verfolgt, runnigs gags bleiben am Garderobenständer hängen.
       „Besonders aber lasst genug geschehn!“, sagt der Theaterdirektor im „Faust“
       und man kann vielleicht immer mal wieder daran erinnern: Das ist satirisch
       gemeint.
       
       ## Eine verhängnisvolle Entwicklung
       
       Und so bleibt eben alles David überlassen, der beim Schmierestehen vor
       einem Juweliergeschäft für einen Bruch seiner Familie – so kommt das
       Clanmotiov auch noch mit rein – einen Moment nicht aufpasst und dadurch
       eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang setzt. Dass dann auch noch der
       verunglückte Bruder geisterhaft erscheint und der üble Vater aus dem Knast
       pöbelt, macht die Sache eher überladener als spannender.
       
       Kategorie Mittelmaß also diesmal aus Stuttgart, was Regie und Story angeht
       und die routinierte Lieferung des schauspielenden Stammpersonals. Und doch
       ist da eben das Versprechen, dass die Jugend für einen realistischen,
       zeitgenössischen Zugriff bereitsteht. Freuen wir uns daran, gerade jetzt wo
       d[4][ie Dinosaurier vom „Tatort“ München] Miroslav Nemec (69) und Udo
       Wachtveitl (65) ihren ganz langsamen Abschied angekündigt haben.
       
       21 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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