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       # taz.de -- Asylverschärfungen und Bauernproteste: Auf den Schwachen herumtrampeln
       
       > Arme und Asylsuchende zu entrechten, sind nicht allein AfD-Fantasien.
       > Auch andere beteiligen sich längst an diesem Volkssport. Doch es gibt
       > Hoffnung.
       
   IMG Bild: Fast täglich protestieren Menschen: hier am 15. Januar in Essen
       
       Am Mittwoch vor einer Woche schickt mir eine Freundin eine Nachricht mit
       einem Link: „Was für ein Horror! Hat das auch Auswirkungen auf mich?“ Ohne
       groß nachzudenken, schreibe ich zurück, die seien doch jetzt entdeckt
       worden und könnten nichts mehr tun. Der Link führte zu einem Artikel über
       ein Geheimtreffen von Rechten, die über Massenabschiebungen fantasierten –
       auch von Menschen mit deutschem Pass, wenn den Rechtsextremen Haut- oder
       Haarfarbe oder Religion nicht passen.
       
       Nach meiner spontanen Antwort kommen mir Zweifel und ich wundere mich über
       mich selbst: Bin ich so abgestumpft von allem, was ich über die Jahre an
       Machtfantasien von Rechten gelesen habe, dass es mich nicht mehr berührt?
       Oder habe ich einfach ein so großes Vertrauen in die sogenannte wehrhafte
       Demokratie?
       
       Tatsächlich regt sich in den Tagen darauf der Demos: Fast täglich
       protestieren Menschen – nicht nur in Berlin, Hamburg oder München, sondern
       auch in Castrop-Rauxel, Pirna, Stralsund und Rosenheim. Das Motto: „Nie
       wieder ist jetzt.“ Aber begreifen wir wirklich, was gerade passiert?
       [1][Und werden wir es verhindern?] Ja, Demonstrationen sind wichtig. Sie
       erzeugen Gemeinschaft und prägen die öffentliche Meinung. Doch werden sie
       verhindern, dass die AfD bei den Landtageswahlen in diesem Jahr überall
       stärkste Kraft wird?
       
       Selbst wenn nicht: Ein Teil dessen, was sie will, hat sie schon erreicht.
       Der Diskurs ist längst nach rechts verschoben. Über Jahrzehnte mühsam
       errungene Fortschritte werden wieder zurückgebaut. Das sieht man vor allem
       beim Thema Asyl. Die CDU, die gerade beste Aussichten darauf hat, den
       nächsten Bundeskanzler zu stellen, will das Recht auf Asyl laut ihrem
       Grundsatzprogramm praktisch abschaffen.
       
       ## Man braucht nicht in andere Länder zu schauen
       
       In Großbritannien sind die Planspiele der CDU fast schon Realität. Dort hat
       am Donnerstag das Unterhaus den Plänen zugestimmt, [2][Asylsuchende, die
       irregulär eingereist sind, nach Ruanda abzuschieben] – egal, welche
       Nationalität sie besitzen. Das soll vor allem der Abschreckung dienen,
       überhaupt in Boote Richtung Europa zu steigen. Diese Wirkung ist allerdings
       mehr Wunsch als erwiesener Fakt. Zudem verstößt das Vorhaben gegen die
       Europäische Menschenrechtskonvention und die Anti-Folter-Konvention.
       
       Man muss aber gar nicht in andere Länder oder auf AfD und CDU schauen –
       auch die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP entrechtet Schutzsuchende
       zusehends. Am Donnerstag verabschiedete der Bundestag ein Vorhaben mit dem
       beschönigenden Titel „Rückführungsverbesserungsgesetz“. Verbessert wird
       allerdings fast nichts, verschärft umso mehr: Unter anderem wird die
       Abschiebehaft von 10 auf 28 Tage verlängert.
       
       Am Freitag hat der Bundestag dann das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert:
       Künftig müssen Neubürger*innen ihren bisherigen Pass nicht mehr
       abgeben. Das ist gut. Aber die AfD weiß auch das für sich zu nutzen. Laut
       Correctiv-Recherche habe sie gar nichts mehr dagegen, denn die neue Regel
       erleichtert es, Doppelstaatlern den deutschen Pass wegzunehmen. Bei zwei
       Pässen geht das, bei einem nicht, da es in Deutschland verboten ist,
       jemanden staatenlos zu machen.
       
       Auch die Rhetorik einiger Minister*innen klingt längst nach AfD. Einen
       Tiefpunkt bot [3][die Rede von Finanzminister] Christian Linder ([4][FDP])
       am Montag vor [5][protestierenden Bauern]: „Es ärgert mich, dass ich vor
       Ihnen als dem fleißigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während
       auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs
       Nichtstun. Deshalb kürzen wir die Leistungen für Asylbewerber, deshalb
       sparen wir eine Milliarde Euro beim Bürgergeld.“
       
       ## Lindner trampelt beim Bauernprotest herum
       
       Lindner lenkte damit vom Thema ab, trampelte auf den Schwachen herum – und
       versuchte, Menschen gegeneinander auszuspielen. Nebenbei: Die Einsparung
       von einer Milliarde Euro ist gar nicht sicher: Zum einen müssten erst
       einmal so viele Bürgergeldberechtigte gefunden werden, die „zumutbare“
       Jobs überhaupt ablehnen. Zum anderen kann das Bundesverfassungsgericht noch
       alles kippen.
       
       21 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Abschiebungen-von-UK-nach-Ruanda/!5986497
   DIR [3] /Rede-von-Lindner-bei-Bauernprotesten/!5983093
   DIR [4] /Die-Wahrheit/!5983313
   DIR [5] /Zuspruch-fuer-Bauern--Letzte-Generation/!5983180
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johanna Treblin
       
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