URI: 
       # taz.de -- Ausstellung „Hello Lübeck!“: Partizipation für alle
       
       > Werke anfassen und Wände bemalen erlaubt: Die neue Leiterin der Lübecker
       > Kunsthalle St. Annen, Noura Dirani, spielt mit den Konventionen von
       > Museen.
       
   IMG Bild: Gar nicht so leicht, auf Augenhöhe mit der Kunst zu kommen: Ahmet Öğüts mal wirklich partizipative Arbeit „Jump-up“
       
       Von Mangel an Ambition kann man da wirklich nicht sprechen: Vom „Ort des
       lebendigen Austauschs“ war die Rede, als, spät im alten Jahr, eine
       Ausstellung in der Lübecker [1][Kunsthalle St. Annen] zur Eröffnung
       anstand: „Hello Lübeck!“ ist die überschrieben und läuft dort noch bis in
       den Juli. Mitte April wird ein erweiternder zweiter Teil eröffnet, auch das
       eine Form von Austausch. Mit dem „Hallo“ meint Noura Dirani, seit Oktober
       Chefin des Hauses, es erkennbar ernst: Die Kunsthalle soll sich öffnen –
       zur Stadt hin, zu den Menschen, für einen „Dialog mit der ganzen
       Gesellschaft“.
       
       Warum der sinnvoll, ja: notwendig sein könnte? Vielleicht hat das damit zu
       tun, unter Lübecks Museen das eine ausdrücklich zeitgenössischer Kunst
       gewidmete zu sein. Dem mitunter hartnäckige Schatten werfenden Alten
       freilich lässt sich auch hier nicht entkommen: „Vor über 500 Jahren wurde
       hier die St.-Annen-Kirche gebaut. Daher hat die Kunsthalle auch ihren
       Namen“, so steht es in einer ebenfalls neuen Broschüre für Kinder. Darin
       erkunden die gezeichneten Figuren [2][„Ki“ und „Ku“], eben, die laufende
       Ausstellung und ermutigen etwa dazu, sich Gedanken zu machen zu den
       Kunstwerken (und sie dann auch gleich aufzuschreiben): „Das war aber
       spannend! Was fandest du am tollsten?“
       
       Nicht ganz nebensächlich, erklären Ki und Ku kleinen und nicht ganz so
       kleinen Besucher:innen auch gleich noch den Clou von „Hello Lübeck!“:
       Bei dieser Ausstellung darf Hand angelegt werden, also genau das, was
       normalerweise Pfui ist im Museum. Das beginnt schon beim Reinkommen: Im
       Foyer hat [3][Andreas Angelidakis] seine Arbeit „The Beach“ installiert,
       eine Ansammlung von Schaumstoff-Möbel-Modulen, Würfel, Säulen, auch ein
       paar Rundbögen, überzogen mit bedrucktem Kunststoff. Sie dürfen bewegt
       werden, rekombiniert, auch gestapelt und wieder umgeschmissen – das alles
       sollen die insgesamt 68 Elemente abkönnen.
       
       Oder es lässt sich einfach eine temporäre Sitzecke daraus bauen, für eine
       hier verbrachte Mittagspause. Denn das ist die nicht ganz so
       offensichtliche Neuerung: Das St.-Annen-Foyer soll künftig wahrgenommen
       werden als „barrierefreier und kostenfrei zugänglicher ‚Open Space‘“, teilt
       die Kunsthalle mit, als „Treffpunkt und Ort des Austauschs für alle“ – und
       das eben auch über die Laufzeit von „Hello Lübeck!“ hinaus: „The Beach“ hat
       man für den dauerhaften Verbleib angekauft.
       
       ## Knete und Eis
       
       Die Ausstellung nun liefert immer noch ein paar konventioneller
       dargereichte, also bitte nicht zu befingernde Kunstwerke: Wem es etwa oben
       zu trubelig geworden ist, der:die kann im Untergeschoss bei sachte
       massagestudiotauglicher elektronischer Musik und wechselnd beleuchteten
       Metallobjekten, nun, chillen. Aber doch bitte Abstand halten von
       [4][Tatjana Buschs] Installation „Fuse“, die ist es nämlich, die da gerade
       gezeigt wird. Die üblichen Regeln, also: Abstand, Andacht vielleicht,
       gelten auch in der kleinen Abteilung, in der Artefakte aus anderen
       [5][Lübecker Museen] mit Zeitgenössischem in Dialog treten sollen: Das kann
       ein gemeinsames Motiv sein, muss aber nicht; es sind jedenfalls eher
       thematische, inhaltliche Verbindungen, die sich da aufspüren lassen.
       
       Ausnahmsweise mal wirklich im Mittelpunkt stehen aber Angebote der
       [6][Partizipation]; erinnern Sie sich noch an dieses einstige
       Ausstellungsmacher:innen-, aber vielleicht vor allem
       Förderantragsteller:innen-Buzzword? [7][Benjamin Butter] ermutigt das
       Publikum gleich zum Bemalen von Wänden und Boden. Genauer: Er breitet
       großflächig Papier aus auf dem Boden eines Raumes und im unteren Bereich
       aller vier Wände und reicht dazu Wachsmalstifte.
       
       Echter Sachbeschädigung wird also vorgebeugt, was bleibt, ist ein –
       durchaus im psychologischen Sinne regressiver – Bruch mit den
       Gepflogenheiten, die an so einem Ort sonst herrschen. Nicht jede:r, ist
       anzunehmen, wird es als pure Bereicherung empfinden, aus der passiven
       Betrachtendenrolle herausgebeten zu werden, das ist ein wenig wie mit allzu
       nahe kommenden Schauspieler:innen im vierte Wände einreißenden Theater.
       
       Schon im Vorfeld hat der Künstler [8][Christian Jankowski] Kinder und
       Jugendliche aus Lübeck zu Mitwirkenden gemacht: Für „Kneaded City“ konnten
       sie sich selbst als Bestandteil einer fantastischen, vielleicht auch einer
       geträumten Stadt einerseits in Textform definieren: „Ich als Mülleimer für
       alles“, lautet dann die eher depressive Variante, „Ich als Denkmal zum
       Machen von Erinnerungsfotos“ lässt sich dagegen beinahe schon lesen als
       kritische Anmerkung zur – auch lokalen – Fremdenverkehrswirtschaft.
       
       Und verbirgt sich in „Ich als Sportplatz für Trend-Mode außerhalb der
       Standardgrößen“ nicht ein ganzes antinormativ-politisches Programm? Zu
       diesen und weiteren solcher Minimal-Vignetten fertigten sie andererseits
       aber auch gleich noch eine entsprechende Knetfigur an, und beides wird nun
       ausgestellt.
       
       Von Knete zu Wasserfarben: Verschiedenfarbige Eiswürfel hat die Künstlerin
       [9][Stephanie Lüning] angefertigt, für die verschiedenen Farben sorgen
       ausschließlich Pflanzenbestandteile, die sie in der unmittelbaren Umgebung
       gesammelt hat. Auf ein flaches rundes, mit Papier überzogenes Podest können
       die Besucher:innen nun so ein gefrorenes Ding legen – und zusehen, wie
       daraus allmählich ein runder Fleck wird.
       
       Sie können sich währenddessen aber auch vom – ebenfalls von Lüning bunt
       gefärbten – Peddigrohr nehmen und mit den dünnen Pflanzensträngen zwei der
       in die Wand gebohrten Löcher verbinden – was ein wenig erinnert ans
       Verbindungen herstellende „Fräulein vom Amt“ im ganz frühen
       Telefonzeitalter. Die so nun nach und nach wie bunt überwuchert wirkenden
       Bohrungen ergeben übrigens das Wort „Hope“; um das zu lesen, braucht es
       aber etwas Abstand von der Wand.
       
       Streng genommen sind Lünings und Butters Mitmach-Arbeiten Teil der neu
       geschaffenen „Kinder-Kunsthalle“, die fortan fester Bestandteil von St.
       Annen sein soll, und das mag manche:r einleuchtend finden: Es hat ja doch
       etwas von Kunstunterricht. Gut möglich ist freilich auch, dass nicht alle
       Besucher:innen der Ansatz der Ausstellung insgesamt überzeugt: Wird das
       ehrwürdige Haus hier nicht zu einer Art Bällebad? Partizidingsbums, schön
       und gut – aber kommt am Ende die Kunst zu kurz?
       
       Nun wird eine solche Wahrnehmung sich ja durch kein Argument aushebeln
       lassen: Wer aufs klassische Museums-Dispositiv abonniert ist, der:die muss
       wohl jede Abweichung davon als Schwächung, als Irrweg wahrnehmen. Freilich:
       Häuser, in denen so ein Mensch ohne eine einzige Irritation durch die Räume
       gelangen kann, weil alles ist, wie es immer war: Sie stellen immer noch die
       große Mehrzahl. Jeder Ennui angesichts von vermeintlich zu viel Dialog oder
       Partizipation ist doch zuallererst – geschmäcklerisch.
       
       In Lübeck brächte solches Ressentiment so eine:n Besucher:in zudem um
       die Beschäftigung mit einer wirklich relevanten Frage, nämlich: Wer
       bestimmt, [10][was – und wen – wir im Museum sehen können]? Eher didaktisch
       geht sie, im Erdgeschoss, [11][Ahmet Öğüt] an: Seine Fotoarbeit „Appointed
       Curators“ zeigt die wenig einladend vor der Brust verschränkten Arme nicht
       identifizierbarer Menschen; es sind Kurator:innen, also diejenigen, die
       darüber wachen, was Teil einer Ausstellung wird, was gezeigt wird und was
       im Depot bleibt.
       
       Ebenfalls von Öğüt stammt dann eine Arbeit, die die Hürden auf dem Weg in
       den Ausstellungskanon und Fragen der Repräsentation maximal verbindet mit
       dem verspielten Mitmach-Ansatz der Ausstellung: [12][„Jump-up“]. Drei
       Bilder hängen da an der Wand, aber das so weit oben, dass, wer sie auf
       Augenhöhe haben möchte, Trampolin springen muss – davon stellt der Künstler
       drei in den Raum. Aber das zu tun, womöglich vor den Augen Fremder, das ist
       natürlich eine echte Herausforderung, nicht nur für Verfechter:innen
       des streng kontemplativen Kunstgenusses.
       
       12 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!s=%22kunsthalle+st+annen/
   DIR [2] https://kunsthalle-st-annen.de/upload/img/ki-ku-_-.jpg?w=440&h=437&zx=9188&zy=6188&ti=1704903940&code=df441a6a40a1c077ccfe963392c1a710b32fbb29b5ef5cba608f3405e5fdfe2f
   DIR [3] /!s=%22Andreas+Angelidakis%22/
   DIR [4] https://tatjanabusch.com/
   DIR [5] https://die-luebecker-museen.de/home/home
   DIR [6] /!s=partizipation/
   DIR [7] https://benjaminbutter.de/drawing
   DIR [8] https://christianjankowski.com/
   DIR [9] https://stephanieluening.com/
   DIR [10] /Ausstellung-The-FWord-in-Hamburg/!5912832
   DIR [11] https://ahmetogut.com/
   DIR [12] https://ahmetogut.com/Jump-Up
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
   DIR Lübeck
   DIR Kunst
   DIR Ausstellung
   DIR Partizipation
   DIR Kunsthalle
   DIR Kinder
   DIR zeitgenössische Kunst
   DIR Kunst
   DIR Soziale Netzwerke
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wanderausstellung „Bordercrossings“: Knisterfolien, Laptops und tote Vogelspinnen
       
       In einer internationalen Wanderausstellung können Kinder und Erwachsene
       Materialien erforschen. Analog mit allen Sinnen – oder mit digitalem
       Werkzeug.
       
   DIR Gegenwartskunst in Lübeck ausgestellt: Mr. Mullicans Schatzkammer
       
       Konzept, das auch ignoriert werden darf, und manchmal einfach Trance vor
       Publikum: Der Possehl-Kunstpreisträger Matt Mullican stellt in Lübeck aus.
       
   DIR Possehl-Preis für Doris Salcedo: Alles, was weh tut
       
       Krieg und Gewalt – damit beschäftigt sich die kolumbianische Künstlerin
       Doris Salcedo. Jetzt wurde sie in Deutschland dafür ausgezeichnet.
       
   DIR Ausstellung über Soziales Design: Wenn Kunst durch den Magen geht
       
       Wie bringt man Menschen zusammen? Die Ausstellung „Social Design“ sucht im
       Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe nach Strategien, Gemeinschaft zu
       stiften.