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       # taz.de -- „Sport Illustrated“ vor dem Ende: Abpfiff und Niederlage
       
       > „Sports Illustrated“ stand für Sportjournalismus mit literarischer
       > Qualität. Ein Rückblick auf dessen ehemalige Strahlkraft.
       
   IMG Bild: American-Footbal-Fan mit „Sports Illustrated“
       
       Als John Walters Ende der 80er Jahre von Sports Illustrated als Redakteur
       eingestellt wurde, dachte er, er sei im Himmel gelandet. Wie viele
       sportbegeisterte US-Kids war Walters mit dem Magazin groß geworden. In
       seinem Schulspind hingen Sports-Illustrated-Titelbilder, und wenn der
       Postbote das Heft bei der Auslieferung verknickt hatte, warf Walters ihm
       grimmige Blicke zu.
       
       Besonders smarte Formulierungen aus den Berichten lernte er auswendig, die
       Features über Athleten waren in seinem Freundeskreis Pflichtlektüre. „Wir
       wussten, dass Sports Illustrated klüger und besser war und vor allem seinem
       Thema, Sport, leidenschaftlicher zugewandt als jedes andere Magazin am
       Kiosk.“
       
       Walters wurde Anfang der 2000er Jahre während der ersten großen Printkrise
       von Sports Illustrated entlassen. Im Rückblick sei er froh, dass er schon
       damals gehen und nicht das traurige Dahinsiechen des Magazins in den
       vergangen Jahren miterleben musste. Spätestens, seitdem der Time Verlag
       2018 Sports Illustrated an die Meredith-Gruppe der [1][rechts-konservativen
       Koch-Brüder] verscherbelte, war das Ende abzusehen.
       
       Am vergangenen Freitag entließ Sports Illustrated einen Großteil seiner
       Belegschaft, einige dürfen vorerst noch 90 Tage bleiben. Sowohl die Print-
       als auch die Onlinepublikation würden weitergeführt, hieß es, doch
       Urgestein Walters weiß, dass das nicht mehr lange weitergehen wird. „Die
       Redaktion ist [2][wie ein Baseballspieler], der im neunten Inning 12 Punkte
       zurückliegt.“ Will heißen: sie kämpft einen verlorenen Kampf und ist froh,
       wenn endlich abgepfiffen wird.
       
       ## Sportjournalismus mit literarischer Qualität
       
       Vermissen wird Walters Sports Illustrated freilich kaum, jedenfalls nicht
       die jüngste Iteration des Blattes, das einst als [3][„Bibel des Sports“]
       galt. Die Zeiten, in denen das Magazin mit hohem literarischem Anspruch die
       Geschichte des Sports in Amerika erzählte, sind lange vorbei. Zuletzt
       machte Sports Illustrated Schlagzeilen, weil es einen KI Bot als Reporter
       ausgab. Es war der traurige Tiefpunkt einer langen Abwärtsspirale.
       
       Wie damals schon die New York Times prophezeite, war der Verkauf an die
       Koch-Brüder der Anfang vom Ende. Die Kochs verkauften Sports Illustrated
       nach nur einem Jahr an die „Brand Management“-Firma Authentic weiter, die
       ihr Geld unter anderem damit verdiente, die Namen prominenter Sportler zu
       vermarkten. Authentic verramschte den Namen Sports Illustrated an
       Hersteller von Diätpillen, die Produktion der journalistischen Inhalte
       wurde an die „Content-Creation“-Agentur Arena vergeben. Arena ersetzte nach
       und nach die Redaktion durch Billigkräfte, die vor allem Masse zu
       produzieren hatten.
       
       So trauert Walters heute auch weniger dem Magazin selbst hinterher als
       vielmehr einer Ära des Sportjournalismus, die schon seit einiger Zeit zu
       Ende gegangen ist. Sports Illustrated stand für eine angelsächsische
       Tradition, die den Sport als Quelle großer Erzählungen würdigte. Die
       Reportagen maßen sich an den Sportgeschichten von Hemingway, Joyce Carol
       Oates, David Foster Wallace und Norman Mailer. Eine Geschichte in Sports
       Illustrated unterzubringen war ein Ritterschlag, der unter Schreibern
       beinahe so umkämpft war wie ein Abdruck im New Yorker.
       
       ## Bilder, die bleiben
       
       Gleiches galt für die Fotografie. Die Titelfotos von Sports Illustrated,
       die ikonisch wurden, sind nicht zu zählen – gleich, ob es nun das Bild von
       Muhammed Ali über dem niedergeschlagenen Sonny Liston war, das Bild des
       fliegenden Michael Jordan, das zum Nike-Logo wurde, oder das Cover des 17
       Jahre alten LeBron James, das ihn zum „Auserwählten“ deklarierte.
       
       Das Zusammenspiel von Bild und Text formte die Art und Weise, wie die
       Geschichte des Sports in Amerika erinnert wird. Wer an den Sensationssieg
       der US-Eishockeymannschaft bei den Olympischen Spielen von 1980 denkt, wird
       immer das Sports-Illustrated-Foto der jubelnden Mannschaft im Moment des
       Sieges im Kopf haben.
       
       Diese hohe Kunst des Storytellings hat heute im amerikanischen
       Sportjournalismus keinen Platz mehr. Die führenden Portale ESPN und The
       Athletic sind Fan- und ergebnisorientiert. Und zuletzt stellte die New
       York Times ihre Sportseiten ein, die das letzte Reservat von
       Long-Form-Features darstellten. Wenn heute noch Sportgeschichten erzählt
       werden, dann sind es immer häufiger Auftragsarbeiten von Sportvermarktern,
       die Dokumentationen für die gängigen Streamingdienste produzieren lassen.
       Die literarische Tiefe fällt dabei jedoch zumeist der Message Control zum
       Opfer.
       
       25 Jan 2024
       
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