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       # taz.de -- Wiedervernässung des Teufelsmoors: Hans packt's an
       
       > Niedersachsens Moore sollen renaturiert werden, aber bislang blieb es bei
       > Absichtsbekundungen. Ein Landwirt im Teufelsmoor will nicht länger
       > warten.
       
   IMG Bild: Arbeiten bei der Wiedervernässung zusammen: Hans Lütjen-Wellner (links) und Dieter Helmke
       
       Teufelsmoor taz | Hans Lütjen-Wellner fährt mit seinem roten Kleinbus
       langsam durch einen Abschnitt des trockengelegten Teufelsmoors. In der
       Ferne laufen einige seiner Mastrinder durch das feuchte Gras. Seit 40
       Jahren bewirtschaftet er die Moorwiesen an der Hamme. Lütjen-Wellner kommt
       ursprünglich aus dem Harz. Er übernahm 1984 den Hof seines kinderlosen
       Onkels im Teufelsmoor, einer rund 600 Quadratkilometer großen Niederung
       zwischen Bremen und Bremervörde, beiderseits der Ufer von Hamme und Oste.
       
       Angefangen hat Lütjen-Wellner mit ein paar Milchkühen und ein bisschen
       Jungvieh, heute laufen etwa 400 Rinder über seine Weiden. Seit 2001 die
       Rinderseuche BSE grassierte, ist er Biobauer. Das Fleisch seiner Tiere geht
       über die Theken von Berliner Feinkostläden. Insgesamt bewirtschaftet der
       60-Jährige circa 500 Hektar Land im Teufelsmoor, wobei ein großer Teil
       dieser Fläche vom Landkreis Osterholz gepachtete Naturschutzfläche ist.
       Dabei handelt es sich um flache, feuchte Wiesen: Ein bedeutsamer Lebensraum
       für Wiesenbrüter.
       
       Ohne Entwässerungsgräben könnten keine Rinder auf Lütjen-Wellners Flächen
       weiden. Das viele Wasser ließe ihnen keine Chance. [1][Das Problem ist]:
       Wenn Moore nicht nass sind, zersetzt sich der Torf und der gespeicherte
       Kohlenstoff wird frei und zu Kohlenstoffdioxid. Darum sollen die Moorböden
       wieder verwässert werden.
       
       Moore sind, [2][Daten des Umweltbundesamtes] folgend, für circa sieben
       Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich – das ist
       zwanzigmal mehr als alle deutschen Inlandsflüge zusammen. Neben dem Abbau
       von Torf ist es vor allem die Landwirtschaft, die für diese Emissionen
       sorgt. Laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium werden [3][rund 65
       Prozent der Moorflächen im Land landwirtschaftlich genutzt].
       
       Für Ackerbau und Weidewirtschaft werden Moore mittels Entwässerungsgräben
       trockengelegt. Der Naturschutzbund Niedersachsen (Nabu) geht davon aus,
       dass Niedersachsen seit den 1970er-Jahren, je nach Region, 20 bis 50
       Prozent seiner Moorböden verloren hat – durch Infrastrukturprojekte,
       Torfabbau und intensive Landwirtschaft. Auch das Teufelsmoor ist heute in
       weiten Teilen eine trockengelegte Kulturlandschaft.
       
       [4][Bund und Länder formulierten bereits 2021 das Ziel], die
       Treibhausgasemissionen von Mooren bis 2030 von 53 auf 48 Millionen Tonnen
       pro Jahr zu reduzieren. Ein Drittel aller Moorböden, das sind bundesweit
       rund 1,8 Millionen Hektar, liegen in Niedersachsen. Das Bundesland hat sich
       mit der im Dezember beschlossenen [5][Novelle des Klimagesetzes]
       verpflichtet, bis 2040 klimaneutral zu werden. Die Emissionen aus
       Niedersachsens Mooren sollen bis 2030 um 1,65 Millionen Tonnen sinken.
       
       Die von Bund und Ländern gesteckten Ziele kritisiert der Nabu als
       vollkommen unambitioniert. Um auf dem Weg zur Klimaneutralität etwas
       beizutragen, müsste viel schneller vorangegangen werden. Spricht man
       Landwirt Hans Lütjen-Wellner auf das Ziel an, bis 2030 bereits fünf
       Millionen Tonnen weniger Treibhausgase aus Mooren zu emittieren, sagt er
       nur: „Das ist ja schon bald. Dann müsste mal irgendwas passieren.“
       
       Da aber bisher nichts passiert ist, hat Lütjen-Wellner einfach schon mal
       angefangen, sich an der Transformation der Moore zu beteiligen. Auch mit
       Hilfe von Dieter Helmke, der heute neben ihm auf dem Beifahrersitz des
       roten Kleinbusses sitzt. Helmke hat bis 2016 mit Milchkühen sein Geld
       verdient und arbeitet mittlerweile hauptamtlich beim Landvolk –
       Niedersachsens Bauernverband. Mit Landwirten wie Lütjen-Wellner probiert er
       alternative Bewirtschaftungsweisen auf Moorböden aus, um die Branche
       zukunftssicher zu machen.
       
       Seit dem vergangenen Jahr vernässt Lütjen-Wellner 20 Hektar seiner
       Moorfläche. Freiwillig, um Erfahrungen zu sammeln, wie er sagt. In den
       Gräben, mit denen das Wasser sonst abgeleitet wird, wird es nun angestaut.
       Diese Wiedervernässung soll verhindern, dass klimaschädliche Gase in die
       Atmosphäre entweichen. Lütjen-Wellner ist motiviert. Genauso wie viele
       andere Akteure wartet aber auch er auf konkrete Entscheidungen aus der
       Politik.
       
       Bisher mahlen die politischen Mühlen langsam. Niedersachsens Regierung, so
       erklärt es Niedersachsen Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne)
       im Gespräch mit der taz, hat zunächst mal eine Potenzialstudie in Auftrag
       gegeben, die Anfang 2024 Ergebnisse liefern soll. Die Studie soll zeigen,
       wo Vernässungen überhaupt umsetzbar sind. In einigen Gebieten sei so tief
       gepflügt worden, dass eine Wiedervernässung gar nicht mehr machbar sei, so
       Staudte. Fraglich sei außerdem, ob überhaupt überall genügend Wasser für
       eine Wiedervernässung verfügbar sei.
       
       Liegen die Ergebnisse der Potenzialstudie vor, sollen den Landwirten
       Angebote zum Flächentausch oder Verkauf von Land unterbreitet werden. Auf
       diese Weise sollen Flächen frei werden, um sie komplett zu vernässen oder
       um andere Naturschutzprojekte zu starten. Doch dafür braucht es Geld.
       
       Der zentrale Baustein in der Finanzierung des Moorschutzes ergibt sich aus
       dem [6][Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz]. Vier Milliarden Euro
       stellt der Bund bis 2026 zur Verfügung. Allerdings nicht nur für das Moor,
       sondern auch für andere Ökosysteme wie Flüsse oder Wälder. Laut
       Landwirtschaftsministerin Staudte bleiben für die Moore 1,2 Milliarden Euro
       übrig – für alle Moore in ganz Deutschland.
       
       Mit dem Geld sollen laut Bundesumweltministerium in erster Linie
       Renaturierungsmaßnahmen umgesetzt werden. In der Landwirtschaft sollen
       zudem finanzielle Anreize für Bewirtschaftungsformen, die zum Natur- und
       Klimaschutz beitragen, gesetzt werden. Weil die Förderrichtlinien des
       Bundes noch in Arbeit sind, kann Staudte noch nicht sagen, wie viel von den
       1,2 Milliarden Euro tatsächlich in Niedersachsen ankommen werden.
       
       „Kuschelkurs“, so nennt Arno Krause die aktuelle Politik in Sachen Moor.
       Krause ist Geschäftsführer vom [7][Grünlandzentrum], einer
       niedersächsischen Einrichtung, die sich auf die nachhaltige Förderung und
       Erforschung von Grünland als landwirtschaftlicher Nutzfläche spezialisiert
       hat. Zwar verlangt er von der Politik, weiterhin auf Kooperation und
       Einvernehmlichkeit mit der Landwirtschaft zu setzen. Dies dürfe aber kein
       Vorwand für eine Abwartestrategie sein. „Die Politik hat die Aufgabe, ein
       geordnetes Miteinander zu organisieren und nicht zuzugucken, wie nichts
       oder fast nichts umgesetzt wird“, sagt er.
       
       1,2 Milliarden Euro für den Moorschutz in Deutschland bis 2030 hält Krause
       für zu wenig. Beim Grünlandzentrum hat man für die 14 moorreichen
       Landkreise an der Küste in Niedersachsen eigene Berechnungen angestellt.
       Für das Szenario der vollständigen Vernässungen aller Moore in diesen
       Landkreisen haben diese Berechnungen einen Wertschöpfungsverlust von einer
       Milliarde Euro pro Jahr ergeben. 54.000 Arbeitsplätze könnten demnach
       allein durch den Wegfall der Milchviehlandwirtschaft in diesen Kreisen
       verlorengehen. Zudem geht das Grünlandzentrum bei diesem Szenario von
       einmaligen Vermögensverlusten der Landwirte von insgesamt zwei bis drei
       Milliarden Euro aus.
       
       Niedersachsen rot-grüne Landesregierung strebt aber gar nicht die
       vollständige Vernässung aller Moore an. Ministerin Staudte verweist auf die
       Potenzialstudie und zeigt sich Konzepten gegenüber offen, bei denen mit
       extensiver Tierhaltung auf teilvernässten Flächen weiter Landwirtschaft
       betrieben werden kann. Bei Teilvernässungen werden die Wasserstände zum
       Beispiel auf 20 Zentimeter unter der Oberfläche angehoben. So kann mit
       weniger Tieren pro Fläche und durch eine weniger intensive Fütterung mit
       Zusatzfuttermitteln weiterhin Viehwirtschaft betrieben werden.
       
       Staudte sagt, dass sie es nicht für abwegig hält, dass das
       Generationenprojekt „Umwandlung der Moore“ den Größenordnungen des
       [8][Kohleausstiegs] nahekommt. Bis zu 40 Milliarden Euro stehen hier für
       den Strukturwandel bis 2038 zur Verfügung.
       
       Auch der ehemalige Milchviehlandwirt Dieter Helmke zieht den Vergleich zum
       Kohleausstieg: Für den würden zig Milliarden aufgerufen, für die Moore
       stünden jetzt circa 1,2 Milliarden für ganz Deutschland zur Verfügung. „Das
       reicht hinten und vorne nicht“, so Helmke, der beim Landvolk Niedersachsen
       den Arbeitskreis „Aufwuchsverwertung im Teufelsmoor“ leitet. Er arbeitet
       daran, dass Landwirte künftig klimaneutral auf Mooren wirtschaften können
       und wirbt dabei vor allem für ein Verfahren: die Pyrolyse.
       
       Mit der Pyrolyse wird der natürliche Prozess der Speicherung von
       Kohlenstoff imitiert. Dabei entsteht Pflanzenkohle. In natürlichen Mooren
       bildet sich aus abgestorbenen Pflanzenresten unter Wasser und unter
       Sauerstoffabschluss der Torf. Dieser Prozess läuft allerdings sehr langsam
       ab. „Die Pyrolyse ist da schneller“, erklärt Helmke.
       
       ## Pflanzenkohle als Aufwertung für sandige Böden
       
       Die Pflanzenkohle kann als Aufwertung für sandige Böden dienen. Auch
       könnten aus ihr gemeinsam mit Mist Torfersatzstoffe hergestellt werden.
       Torf wird heute immer noch in Blumenerde im Hobbybereich und im
       professionellen Gartenbau eingesetzt. Ein Nebenprodukt der Pyrolyse ist
       Wärme, die ins Wärmenetz eingespeist werden könnte. Aktuell ist dieses
       Konzept jedoch noch nicht wirtschaftlich. Helmke fordert daher
       Unterstützung von der Politik.
       
       Letztlich geht es auch um die Frage, wie die Landwirte künftig
       wirtschaftlich über die Runden kommen und wie weitere Standbeine aussehen
       könnten. Helmke und Hans Lütjen-Wellner haben da schon einiges ausprobiert
       mit der Pflanzenkohle. Sie haben zum Beispiel Dämmstoffe oder Faserplatten
       für den Möbelbau hergestellt. Als die Bundesregierung im Jahr 2021 die
       EU-Richtline [9][zum Verbot von Plastikgeschirr umsetzte], witterten sie
       eine Chance. „Wir haben Pommesschalen hergestellt, kompostierbare, aus
       unserem Heu“, erzählt Helmke, „aber selbst da kommen wir finanziell nicht
       auf einen grünen Zweig.“ Die Industrie habe bessere Möglichkeiten.
       
       Helmke kann verstehen, dass die Landwirte jetzt noch nicht bereit sind, ihr
       privates Geld zu investieren. Lütjen-Wellner sagt: „Solange Dämmstoffe in
       Häusern aus Erdöl gemacht werden, können wir da preislich nicht
       konkurrieren.“ Aber ein erster Schritt ist gemacht.
       
       Lütjen-Wellner bringt den Kleinbus am Ufer der Hamme zum Stehen. Draußen
       tröpfelt es ein wenig. Er witzelt: „Perfektes Moorwetter.“ Für den
       60-Jährigen stimmen die Rahmenbedingungen derzeit einfach nicht. Zu viel
       Fördergeld werde seiner Ansicht nach für Forschungsprojekte ausgegeben. „Es
       ist doch klar, wenn das Moor zu trocken ist, kommt CO2 raus. Es muss doch
       jetzt mal eine Umsetzung kommen“, sagt er. „Es wird so viel geforscht. Wir
       haben das vor Ort hier fertig liegen“, pflichtet ihm Helmke bei: „Wir
       können morgen anfangen.“
       
       27 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schutz-fuer-Moore/!5842438
   DIR [2] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland#nationale-und-europaische-klimaziele
   DIR [3] https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemitteilungen/pi-119-moor-214530.html
   DIR [4] /Bundesregierung-beschliesst-Moorstrategie/!5890710
   DIR [5] /Klimaschutz-in-Niedersachsen/!5980506
   DIR [6] /Plan-des-Umweltministeriums/!5841674
   DIR [7] https://www.gruenlandzentrum.org/
   DIR [8] /Kohleausstieg/!t5204208
   DIR [9] /EU-Plastikverbot-tritt-in-Kraft/!5783980
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Schneider
       
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