URI: 
       # taz.de -- Was uns verbindet: Manifest der Hoffnung
       
       > Tareq Alaows engagiert gegen rechts. Demonstrationen wie jüngst sieht er
       > als überfällig. Denn der Schutz unserer Demokratie ist kein Selbstläufer.
       
   IMG Bild: Mit den Demonstranten fühlt sich unser Autor verbunden: Protest vor dem Reichstag am 21. Januar
       
       Als ich am Morgen des 10. Januar 2024 in Berlin erwachte, ahnte ich nicht,
       dass dieser Tag eine historische Wende im Engagement der letzten Jahre für
       die Rechte von Geflüchteten und den Kampf gegen Rassismus in Deutschland
       markieren würde. Der Moment, als ich erfuhr, dass [1][das Recherchezentrum
       Correctiv ein Geheimtreffen von Rechtsextremen enthüllt hatte], ließ mich
       kurz erschrocken innehalten. Sie hatten einen Plan diskutiert, wonach
       Millionen von Menschen aus Deutschland deportiert werden sollen: Sei es,
       weil sie Geflüchtete sind, deutsche Staatsangehörige mit
       Migrationsgeschichte oder Deutsche, die Geflüchteten helfen.
       
       Überraschenderweise war ich nicht geschockt. Mein Herz war schwer, aber
       mein Geist war gefestigt. Der Bericht von Correctiv war für mich nicht mehr
       als eine Bestätigung dessen, was ich und viele von Rassismus betroffene
       Menschen, vor allem diejenigen, die in der Öffentlichkeit ihr Gesicht
       zeigen, alltäglich erleben. Auch die ersten öffentlichen Reaktionen von
       manchen AfD-Bundestagsabgeordneten wie René Springer, dass dies keine
       Geheimpläne seien, sondern Versprechen, waren nicht überraschend.
       
       Seit Jahren gibt es einen Rechtsruck in diesem Land, verschieben auch
       Politiker*innen der demokratischen Parteien die Grenzen der
       migrationspolitischen Debatten und dessen, was gegen Geflüchtete und andere
       Migrant*innen gesagt und getan wird, immer weiter nach rechts. Dagegen
       gab es nur wenige Proteste und keine großen Demonstrationen.
       
       Deshalb waren wir von Pro Asyl und viele Partner*innen seit Monaten
       dabei, [2][„Hand in Hand“ zu organisieren, ein großes Bündnis gegen
       rechts]. Der Termin für eine [3][Menschenkette um den Reichstag] stand
       schon fest, der 3. Februar.
       
       Als dann plötzlich in ganz Deutschland Menschen auf die Straßen gingen, um
       gegen rechts zu demonstrieren, zeigte sich, dass wir doch nicht allein in
       diesem Kampf stehen. Das war überraschend!
       
       Wer sich in den letzten Jahren gegen den Rechtsruck, gegen Rassismus und
       gegen die Beschneidung von Rechten der Geflüchteten engagiert hat, hätte
       nicht gedacht, dass einmal Zehntausende von Menschen auf den Straßen und in
       der medialen Öffentlichkeit protestieren werden.
       
       ## Ein „wir“
       
       Inmitten der Menschenmassen, umgeben von Tausenden, die gegen
       Rechtsextremismus protestieren und die Demokratie verteidigen, finde ich
       eine Gemeinschaft. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit, [4][ein „wir“]. Egal
       ob es Menschen sind, die erst seit Kurzem in Deutschland sind oder deren
       Familien seit Generationen hier leben, egal ob sie von den
       menschenverachtenden Plänen betroffen sind oder nicht, sie schon seit
       Jahren in der Antifa kämpfen oder sie zum ersten Mal gegen
       Rechtsextremismus auf die Straße gehen.
       
       Jeder und jede Einzelne von ihnen ist ein Teil unserer Gesellschaft. Was
       uns verbindet ist viel stärker als das, was uns trennt. Mein Herz schlug im
       Einklang mit denen, die die Grundsätze der Demokratie schützen wollen und
       erkennen, dass die Menschenrechte für alle gelten.
       
       Ich hätte mir persönlich so einen Moment, mit Zehntausenden auf den
       Straßen, schon gewünscht, als die Ampelregierung der Reform des gemeinsamen
       europäischen Asylsystems (GEAS) zugestimmt hat; der Reform, die zur
       faktischen [5][Abschaffung des Rechts auf Asyl] führen wird. Dieser Moment
       hätte auch sein können, als Bundeskanzler Olaf Scholz im großen Stil
       abschieben wollte oder als CDU-Chef Friedrich Merz faktenfrei über
       Zahnarzttermine fabulierte. Auch wenn diese Aussagen und Beschlüsse lange
       nicht das gleiche Maß an Verachtung zeigen wie die Deportationspläne der
       Rechtsextremen, haben sie doch zum Rechtsruck beigetragen.
       
       Erinnerungen an meine Erfahrungen in Syrien werden in diesen Tagen wach.
       Ich weiß aus erster Hand, was es bedeutet, nicht in einer Demokratie zu
       leben. Und diese Erinnerungen dienen mir als treibende Kraft. Gerade diese
       Geschichte, meine Flucht aus Syrien im Jahr 2015, hat mir eine Perspektive
       geschenkt, die viele vielleicht nicht teilen können.
       
       Ich weiß, wie es ist, seine Heimat zu verlassen und in einem neuen Land Fuß
       zu fassen. Diese Erfahrung gibt mir die Kraft, mich gegen jede Form von
       Diskriminierung, Unterdrückung und Ausschließung zu erheben. Es ist nicht
       nur politischer Aktivismus, sondern eine persönliche Verpflichtung,
       sicherzustellen, dass die Grundrechte und die Würde jedes Einzelnen
       geschützt werden.
       
       Die Proteste der vergangenen Woche sind nicht nur eine Antwort auf
       erschreckende Pläne, sondern auch eine Manifestation der Hoffnung. Hoffnung
       darauf, dass die Grundsätze der Demokratie stark genug sind, um gegen
       diejenigen zu bestehen, die sie bedrohen. Hoffnung darauf, dass Menschen,
       egal welcher Herkunft, sich gemeinsam für eine gerechte und offene
       Gesellschaft und Menschenrechte einsetzen können und wollen, wenn diese
       bedroht werden.
       
       Es mag eine bittere Realität sein, dass solche Deportationspläne
       überhaupt existieren, aber es ist auch eine Realität, dass wir, vereint in
       unserer Vielfalt, stärker sind. Und eine Realität ist, dass der Schutz
       unserer Demokratie nicht ein Selbstläufer, sondern ein mühevoller Weg ist.
       Ein Weg, der nicht an jeder Stelle flach und voller Blumen ist, sondern
       auch steinig sein kann. Ein Weg, für den es für uns alle keine Alternative
       gibt.
       
       28 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Geheimtreffen-mit-Rechtsextremen/!5984871
   DIR [2] https://gemeinsam-hand-in-hand.org/
   DIR [3] /Menschenkette-um-den-Reichstag/!5986877
   DIR [4] /Proteste-gegen-die-AfD/!5982930
   DIR [5] /Ex-Gruener-zum-Austritt-wegen-Asylpolitik/!5981460
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tareq Alaows
       
       ## TAGS
       
   DIR Anti-AfD-Proteste
   DIR Demonstration
   DIR Antifaschismus
   DIR Zukunft
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Hoffnung und Klimakrise: Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
       
       Wer sich mit dem Klima beschäftigt, hat keinen Grund für Optimismus? Von
       wegen! Woran sich taz-Autor:innen festhalten, die über die Krise berichten.
       
   DIR Fridays for Future orientiert sich neu: Klima und soziale Kämpfe koppeln
       
       Gegen rechts, für Arbeitskampf: Fridays for Future will künftig auch
       sozialen Ausgleich, Gerechtigkeit und Demokratie zu ihren Themen machen.
       
   DIR Strategiewechsel bei Letzter Generation: Die Hände frei
       
       Die Letzte Generation will keine Straßen mehr blockieren. Sie sagt: Durch
       die große Zahl an Unterstützer*innen habe sie jetzt andere Optionen.