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       # taz.de -- Zu viel des Guten im Restaurant: Hassgeliebte Küchengrüße
       
       > Der Gruß aus der Küche sollte keine Verzweiflungstat sein, sondern
       > Genuss. Ein Sorbet zwischendurch aber reinigt und begeistert als
       > Kontrapunkt.
       
   IMG Bild: Reinigt den Gaumen: Zitronensorbet
       
       Manchmal nimmt das mit dem Gruß aus der Küche überhand. Sie wissen schon,
       diese kleinen Tellerchen mit einem Amuse-Gueule. Neulich in einem sehr
       guten Restaurant in Nürnberg (ein Stern im Michelin-Führer) haben wir zu
       einem Sechs-Gang-Menü noch vier dieser Zwischengänge bekommen. Eigentlich
       soll man sich ja nicht beklagen, wenn es etwas geschenkt gibt – aber wenn
       ein Essen wegen derart ausufernder Zuvorkommenheit eineinhalb Stunden
       länger dauert, dann eben doch.
       
       So etwas erlebe ich inzwischen häufiger. Entweder ist es Ausweis
       ausgeprägter Minderwertigkeitsgefühle, weil die Küche annimmt, das Essen
       ist den Preis nicht wert, der auf der Karte steht. Da frage ich mich dann:
       Warum geht ihr nicht damit runter? Oder es zeugt von maßloser
       Selbstüberschätzung, weil jemand denkt, er kann so mir nichts, dir nichts
       zehn statt sechs Teller schicken. Dabei sollen sich alle Gänge ja
       voneinander absetzen, zugleich eine gewisse Dramaturgie bilden – und mit
       den Zwischengängen wird’s dann einfach zu viel.
       
       Genug gemeckert! An sich ist so ein kleiner Küchengruß natürlich eine
       wunderbare Erfindung, mit der man sich als Koch vor dem Gast verbeugen
       kann. Bei mir ist er oft auch das Ergebnis eines nachmittäglichen
       Experiments, das so gelungen ist, dass ich es gleich präsentieren will. Es
       wäre einfach zu schade, das ganze Zeug wegzuwerfen oder einzufrieren.
       Wobei, einfrieren – ich verrate jetzt ein kleines Geheimnis: Beim
       Zwischengang in meinem Menü handelt es sich in letzter Zeit oft um eine
       Kugel Sorbet, die in etwas Alkohol badet.
       
       Sorbet, eigentlich ja Wassereis, meist rein auf Obst- oder Gemüsebasis,
       wird inzwischen als Bestandteil des Desserts angesehen. Früher dagegen
       wurde es als Zwischengang vor der Hauptspeise serviert. Es ist mir
       unerklärlich, wie das Sorbet als solches aus der Mode kommen konnte. Denn
       so eiskalt und ein bisschen süß ist es nach der Vorspeise ein schöner
       Kontrapunkt.
       
       Vielleicht kennen Sie den Spruch, dass eine Kugel Sorbet den Gaumen
       reinigt. Ich finde, er stimmt tatsächlich. Und wenn Kinder im Restaurant
       sitzen, dann hat die Küche sie mit was Süßem (dann ohne Alkohol) ziemlich
       sicher auf ihrer Seite. Aus was habe ich nicht schon Sorbet gemacht: aus
       Birnen, Quitten und Klaräpfeln, aus Wassermelone, Zwetschge und Kürbis.
       Gerade gibt es, weil Saison ist, Blutorangensorbet, von sizilianischen
       Tarroccos – ein bittersüßes Gedicht. Serviert wird das Sorbet in der
       ausgehöhlten, tiefgefrorenen Blutorange, und wer in den 1980ern
       aufgewachsen ist, kriegt eine kleine Portion Nostalgie gratis dazu.
       
       Allein für diesen kleinen Gang hätte ich nichts dagegen, ein ganzes Menü zu
       bestellen.
       
       29 Jan 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörn Kabisch
       
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