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       # taz.de -- Strategiewechsel bei Letzter Generation: Die Hände frei
       
       > Die Letzte Generation will keine Straßen mehr blockieren. Sie sagt: Durch
       > die große Zahl an Unterstützer*innen habe sie jetzt andere Optionen.
       
   IMG Bild: CO2-Handabdruck: Blockade der Letzten Generation in Prenzlauer Berg, September 2023
       
       Berlin taz | Die Letzte Generation will sich von ihrem Markenzeichen
       trennen: dem Protest per Straßenblockade, um die Bundesregierung zum Erhalt
       eines lebenswerten Klimas zu bewegen. „Vor zwei Jahren haben 24 Menschen
       das erste Mal eine Straßenblockade gemacht und sich festgeklebt“, schreiben
       die Aktivist*innen in einer Mitteilung mit der Überschrift „Neue
       Strategie für 2024“.
       
       „Das Festkleben war wichtig, um nicht direkt von der Straße gezogen zu
       werden und somit unignorierbar protestieren zu können.“ Seitdem habe sich
       die Anzahl der Protestierenden bei der Letzten Generation verhundertfacht.
       Das eröffne neue Möglichkeiten. „Das Kapitel des Klebens und der
       Straßenblockaden endet damit.“ Tausende [1][Gerichtsverfahren] wurden wegen
       der illegalen Aktionen bundesweit gegen die Aktivist*innen angestrengt.
       
       Ihre Kritik an der Bundesregierung hält die Bewegung aufrecht. „Obwohl
       Grundgesetz und internationale Verträge weiteres Zögern verbieten,
       entscheiden sich Menschen mit viel Gestaltungsmacht und Geld in unserem
       Land, den politischen Kurs der Zerstörung weiter aufrechtzuerhalten“, heißt
       es. „Ob aus Angst vor Veränderung oder aus zynischem Eigennutz – darüber
       lässt sich nur spekulieren.“
       
       Deutschland hat 2023 [2][deutlich weniger Kohlendioxid ausgestoßen als im
       Vorjahr], wie eine Analyse des Thinktanks Agora Energiewende in einer
       vorläufigen Schätzung gezeigt hat. Um knapp 10 Prozent sind die
       klimaschädlichen Emissionen demnach zurückgegangen. Sie lagen im
       vergangenen Jahr bei 673 Millionen Tonnen CO2, der niedrigste Stand seit
       den fünfziger Jahren. Aber: Im weltweiten Vergleich gehört Deutschland
       damit immer noch zu den CO2-Schwergewichten.
       
       ## Produktion nicht klimafreundlicher, sondern weniger
       
       Und die Einsparungen sind nur zum Teil auf politisch gesteuerten
       Klimaschutz zurückzuführen, also etwa den Umstieg auf erneuerbare Energien.
       Ungefähr die Hälfte der Emissionsminderungen geht laut Agora auf
       kurzfristige Effekte zurück, teilweise sogar auf unbeabsichtigte. Die
       Industrie hat zum Beispiel nicht unbedingt klimafreundlicher, sondern vor
       allem weniger produziert. Der Energieverbrauch war entsprechend gering, die
       Emissionen sanken. Verbessert sich die Wirtschaftslage wieder, könnte der
       Effekt dahin sein.
       
       Derweil [3][überschlagen sich weltweit die Temperaturrekorde], wie es die
       Klimawissenschaft seit Jahrzehnten für den Fall vorhersagt, dass die
       Menschheit den Ausstoß von Treibhausgasen nicht stoppt. Das vergangene Jahr
       war so heiß wie kein anderes seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im
       globalen Schnitt überschritten die Temperaturen das typische Niveau von vor
       der klimaschädlichen Industrialisierung laut dem EU-Klimawandeldienst
       Copernicus um 1,48 Grad. Die Grenze von 1,5 Grad, bei der die Erderhitzung
       laut Pariser Weltklimaabkommen möglichst stoppen soll, liegt also
       gefährlich nahe. Neben dem Klimawandel spielen dabei auch natürliche
       Faktoren wie das temporär wärmende Klimaphänomen El Niño eine Rolle.
       Zahlreiche zerstörerische Wetterereignisse stehen allerdings schon
       nachweislich mit der Klimakrise in Verbindung, etwa die [4][extreme Dürre
       in Amazonien] vergangenes Jahr, [5][die Ahrtal-Katastrophe] und
       [6][praktisch jede Hitzewelle].
       
       Ganz an den Nagel hängt die Letzte Generation ihren Protest deshalb nicht.
       „Von nun an werden wir in anderer Form protestieren – unignorierbar wird es
       aber bleiben“, schreiben die Aktivist*innen. Ab März soll es weitergehen.
       Dann werde die Gruppe zu „ungehorsamen Versammlungen im ganzen Land“
       aufrufen. Was damit genau gemeint ist, wollen die Aktivist*innen
       allerdings noch nicht verraten. „Lassen Sie sich überraschen, aber es wird
       unüberhörbar sein“, sagte eine Sprecherin der Gruppe auf Nachfrage.
       
       Die Unterstützung für die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland hat sich
       halbiert, seit die Letzte Generation mit ihren Straßenblockaden begonnen
       hatte. Das hat im vorigen Jahr eine Umfrage der Organisation More in Common
       ergeben, die dieselben Fragen auch schon zwei Jahre zuvor gestellt hatte.
       Damals hatten noch 68 Prozent der Befragten erklärt, dass die Klima- und
       Umweltbewegung ihre grundsätzliche Unterstützung habe. Im Mai 2023 waren es
       nur noch 34 Prozent. Das Ergebnis lässt keinen kausalen Schluss zu. In
       dieselbe Zeit fällt beispielsweise das umstrittene Heizungsgesetz der
       Ampelregierung oder die Energiekrise infolge von Russlands Krieg in der
       Ukraine. Ob die Letzte Generation nun im Alleingang die ganze
       Klimabewegung um ihre Beliebtheit gebracht hat, lässt sich also schwer
       sagen. Dass sie selbst kaum Unterstützung hat, macht die Umfrage aber
       deutlich: 85 Prozent gaben darin an, sie hätten eher kein Verständnis für
       die Straßenblockaden der Klimaschutzgruppe.
       
       Die soll es nun also nicht mehr geben, stattdessen die „ungehorsamen
       Versammlungen“. Außerdem will die Letzte Generation „die Verantwortlichen
       für die Klimazerstörung in Zukunft verstärkt direkt konfrontieren“. Das
       bedeute zum Beispiel, Politiker:innen und andere Entscheider:innen
       öffentlich zur Rede zu stellen. Daneben wollen die Aktivist*innen für
       ihren Protest „verstärkt Orte der fossilen Zerstörung“ auswählen und nennen
       als Beispiele Ölpipelines, Flughäfen oder das Betriebsgelände von
       Energiekonzern RWE.
       
       Genau genommen haben sie das vorher schon: Der Autoverkehr, den die
       Aktivist*innen durch ihre Straßenblockaden behindert haben, gehört zu
       den großen Problemfeldern der deutschen Klimapolitik.
       
       30 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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