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       # taz.de -- Demos gegen AfD: Aufruf zu Protest, Zögern bei Verbot
       
       > Stimmen aus Wirtschaft und Kultur warnen vor Rechtsextremismus und
       > begrüßen die Demos. Politiker:innen bleiben gegenüber einem Verbot
       > der AfD skeptisch.
       
   IMG Bild: Bei einer Anti-AfD-Demonstration am Freitag in Bielefeld
       
       Berlin afp/dpa/epd/rtr | Deutschlandweit werden an diesem Wochenende wieder
       Zehntausende Menschen [1][bei Demonstrationen gegen rechts und für die
       Demokratie] erwartet. Zahlreiche prominente Stimmen aus Politik, Wirtschaft
       und Kultur unterstützen den Protest und warnen vor einem weiteren Erstarken
       der AfD und ihres rechtsextremen Umfelds. Zugleich äußern sich Mitglieder
       von Bundes- und Landesregierungen unterschiedlich [2][zu einem möglichen
       Verbot der Partei] oder etwa auch einem Entzug der Grundrechte des
       AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, Björn Höcke.
       
       So sieht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wenig Chancen, Höcke
       einzelne Grundrechte zu entziehen. „Das Bundesverfassungsgericht hat in der
       Geschichte der Bundesrepublik noch in keinem Fall entschieden, dass eine
       Person ihre Grundrechte verwirkt hat“, sagte Faeser den Zeitungen der Funke
       Mediengruppe vom Samstag. Bei Höcke und seinem als gesichert
       rechtsextremistisch eingestuften Thüringer AfD-Landesverband müsse es
       „zuerst um die politische Auseinandersetzung gehen“, betonte die
       SPD-Politikerin.
       
       Eine gegen den AfD-Politiker Höcke gerichtete Online-Petition hatte am
       Dienstag nach zwei Monaten die Zahl von einer Million Unterschriften
       überschritten. Die Petition fordert, dass die Bundesregierung beim
       Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach
       Artikel 18 des Grundgesetzes stellt. Gemäß dieses Artikels können
       demjenigen einzelne Grundrechte genommen werden, der diese „zum Kampfe
       gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“. Es könnten
       also zum Beispiel das Wahlrecht oder die Befugnis, öffentliche Ämter
       auszuüben, entzogen werden.
       
       Hinsichtlich eines Verbots der AfD zeigte sich Innenministerin Faeser
       ebenfalls skeptisch. Dies habe „sehr hohe Hürden“, sagte sie. „Unsere
       Verfassung sieht dieses schärfste Instrument der wehrhaften Demokratie
       zurecht als Ultima Ratio vor. Das kann niemand bei einer entsprechenden
       Sachlage ausschließen. Politisch ist aber klar: Wenn sich Menschen einer
       solchen Partei zuwenden, müssen wir dafür werben, dass diese Menschen zu
       den demokratischen Parteien zurückkommen“, betonte Faeser.
       
       Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat sich gegen ein
       AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen. [3][Im Gespräch mit der Frankfurter
       Allgemeinen Sonntagszeitung] nannte er aber andere Optionen zur Bekämpfung
       der Partei. Seien Mitglieder der AfD „erkennbare Verfassungsfeinde“,
       brauche es Konsequenzen. Dazu zählten etwa „die Unvereinbarkeit mit dem
       öffentlichen Dienst oder Beschränkungen bei der Parteienfinanzierung“.
       
       Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) erklärte, es sei
       ungewiss, ob für einen Verbotsantrag genug Material über die in Sachsen,
       Sachsen-Anhalt und Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei
       vorliege. Solange der Bund und die übrigen Länder dieser Einstufung noch
       nicht folgen, sei er skeptisch, „dass die hohen verfassungsrechtlichen
       Hürden für ein Verbotsverfahren derzeit genommen werden können“, sagte
       Schuster der Zeitung.
       
       Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) forderte ein Lagebild. „Die
       Erkenntnisse der Behörden müssen systematisch zusammengeführt und
       ausgewertet werden, sodass ein vollständiges Bild von den tatsächlichen
       Aktivitäten der AfD und ihren Vernetzungen zur rechtsextremen Szene
       entsteht“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Nur so
       könne beurteilt werden, „ob über die politische Auseinandersetzung hinaus
       ein rechtliches Vorgehen zum Schutz unserer Verfassung möglich ist“.
       
       ## Josef Schuster hofft auf Zivilcourage im Alltag
       
       Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster,
       sieht in den Demonstrationen gegen die AfD ein wichtiges Signal gegen eine
       Gleichgültigkeit der Gesellschaft angesichts von wachsendem Extremismus.
       „Ich bin wirklich erfreut, dass die Mitte der Gesellschaft aufsteht“, sagte
       Schuster [4][der Augsburger Allgemeinen vom Samstag].
       
       „Ich habe immer das Gefühl gehabt, man sieht die Prognosen und
       Wahlergebnisse der AfD, aber das lockt niemanden hinter dem Ofen hervor“,
       sagte Schuster. Dies habe ihm Sorgen gemacht. Umso mehr freue er sich,
       „wenn Leute jetzt auf die Straßen gehen und ihren Unmut zum Ausdruck
       bringen“.
       
       Der Zentralrats-Präsident äußerte die Hoffnung, dass Menschen nun auch im
       Alltag Zivilcourage zeigen. „Wenn im persönlichen Gespräch, am
       Arbeitsplatz, in der Familie, im Bekanntenkreis, im Sportverein oder in der
       Jugendgruppe jemand aufsteht und Ideologien äußert, die rassistisch,
       menschenverachtend oder antisemitisch sind“, wäre es gut, aufzustehen und
       zu sagen: „Weißt du, was du da gerade gesagt hast?“, sagte Schuster. Man
       müsse entsprechenden Menschen den Spiegel vorhalten. „So lässt sich eine
       Menge erreichen.“
       
       Ähnliches gelte auch für den Umgang mit der AfD auf politischer Ebene. „Ich
       glaube, es ist in der Politik generell verstanden, dass die AfD kein
       politischer Gesprächspartner sein kann“, sagte Schuster. „Und ich hoffe,
       die, die noch anderer Meinung waren, haben jetzt endgültig verstanden, mit
       wessen Geistes Kind man es da zu tun hätte.“
       
       Mit Blick auf hohe Umfragewerte der AfD zeigt sich der
       Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, besorgt über
       eine Erosion demokratischer Werte. „Auf genau diesem Nährboden gedeiht
       Judenhass“, sagte Klein der Neuen Osnabrücker Zeitung. Selbst die
       Beobachtung durch den Verfassungsschutz halte viele Menschen offenbar nicht
       davon ab, die AfD zu wählen.
       
       ## Hubertus Heil: „AfD schadet Deutschland wirtschaftlich“
       
       Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die Wirtschaft dazu
       aufgerufen, sich gegen rechts zu stellen. Er sei über jeden
       Wirtschaftsvertreter froh, der sich klar gegen die AfD und Nazis
       positioniere, [5][sagte Heil der Rheinischen Post]. „Wir sind eine offene
       Gesellschaft, darauf gründet auch unser wirtschaftlicher Erfolg.“
       Deutschland sei keine Insel. „Unsere Volkswirtschaft ist international
       vernetzt. Rassismus und Nationalismus können wir uns auch deshalb nicht
       leisten“, mahnte der SPD-Politiker.
       
       Jedem müsse klar sein, dass die AfD ein Standortrisiko sei, „eine Partei,
       die nicht nur unsere Demokratie angreift, sondern unserem Land auch
       wirtschaftlich und sozial schadet“, sagte Heil. „Qualifizierte Fachkräfte,
       die wir für Deutschland dringend gewinnen müssen, werden nur dann kommen,
       wenn sie sicher sein können, dass sie hier nicht ausgegrenzt oder gar
       bedroht werden.“
       
       Dem Aufruf Heils ist zumindest schon der Aufsichtsratschef von Siemens
       Energy, Joe Kaeser gefolgt. Er warnt vor Rechtsextremismus in Deutschland
       und zieht angesichts des Aufstiegs der AfD Parallelen zur NS-Zeit. „Wenn
       alles so stimmt, wie es berichtet wird, dann ist das ganz abscheulich“,
       sagte Kaeser, der auch Aufsichtsratschef des Lkw-Bauers Daimler Truck ist,
       der Nachrichtenagentur Reuters in einem am Samstag veröffentlichten
       Interview.
       
       Man zahle einen Preis, wenn man vor den Gefahren warne, fügte Kaeser in
       Anspielung auf Drohungen gegen seine Familie nach früherer Kritik an
       Rechtsextremen hinzu. „Aber ich will mir nicht nachsagen lassen, dass ich
       geschwiegen hätte, als noch Zeit war, Dinge zu korrigieren“, fügte er
       hinzu. Das sei die Lehre aus der deutschen Geschichte. Er werde sich an den
       derzeit in vielen Städten stattfindenden Demos gegen Rechtsextremismus
       beteiligen. „Nach 1933 gab es eine Zeit, in der die wirtschaftliche und
       gesellschaftliche Elite noch Position gegen den Kurs des Naziregimes hätte
       beziehen können“, betonte der Top-Manager. Damals hätten aber die meisten
       geschwiegen. „Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Ich mache mir
       wirklich Sorgen um unsere Demokratie“, sagte Kaeser.
       
       Vor einigen Tagen hatte auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen
       Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, vor der AfD gewarnt. Deutschland als
       Exportland profitiere wie wohl kaum ein anderes von Weltoffenheit,
       internationaler Zusammenarbeit und Handel und der europäischen Einigung.
       „Dass in diesem Land eine starke politische Partei Raum gewinnt, die all
       dieses infrage stellt, das ist wirtschaftlich gefährlich“, sagte er.
       
       ## BAP-Frontmann: „Wurde jetzt aber auch allerhöchste Zeit“
       
       Der Frontmann der Kölschrock-Band BAP, Wolfgang Niedecken, hat die Proteste
       gegen die AfD begrüßt. „Das wurde jetzt aber auch allerhöchste Zeit“, sagte
       Niedecken mit Blick auf die Demonstrationen dem [6][Fernsehsender Phoenix
       in einem am Freitagabend verbreiteten Interview]. „Ich finde es großartig,
       dass sich das von selbst entwickelt hat“, erklärte er. Die Menschen dürften
       die aktuellen Entwicklungen nicht länger hinnehmen. „Das, was jetzt wichtig
       ist, ist, sich gegen rechts zu positionieren“, unterstrich er.
       
       Der Musiker sieht die AfD als Bedrohung der Demokratie. „Da sind viele
       Nazis drunter“, sagte Niedecken. Das heiße nicht, dass die Leute, die diese
       dann wählten, auch Nazis seien. Sie fielen jedoch auf Lügen herein. Der
       Kölner Musiker erinnerte an den Nazi-Propagandisten Joseph Goebbels, der
       davon gesprochen habe, dass die NSDAP in den Parlamenten wie ein Wolf in
       eine Schafherde einbreche. „Die AfD versucht das Gleiche zu tun“, mahnte
       Niedecken.
       
       Auch Bayern-Coach Thomas Tuchel hat sich wie zuvor einige seiner
       Bundesliga-Kollegen klar gegen Rechtsextremismus und für Demokratie
       positioniert. „Zum Thema Rechtsextremismus muss man ganz klar sagen, können
       nicht genug aufstehen. Da stehen wir 1000 Prozent dagegen auf, da gibt es
       keinen Zweifel, gegen jede Art von Extremismus. Und da kann es dann auch
       keine Stimme zu viel geben“, sagte der 50 Jahre alte Fußballtrainer am
       Samstag bei der Pressekonferenz zum Ligaspiel gegen Werder Bremen.
       
       Zuvor hatten unter anderem Freiburgs Trainer Christian Streich, Bayer-Coach
       Xabi Alonso und Marco Rose von RB Leipzig in der aktuellen Diskussion
       Stellung bezogen. Streich hatte auch dazu aufgerufen, sich an den
       bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zu beteiligen. Der
       Kölner Abwehrspieler Timo Hübers hatte die Demonstration gegen rechts in
       der Stadt des Bundesligisten gelobt und sich ebenfalls klar gegen rechtes
       Gedankengut positioniert.
       
       Deutschlandweit werden an diesem Wochenende Zehntausende Menschen bei
       Demonstrationen gegen rechts und für die Demokratie erwartet. Allein bei
       einer Kundgebung in Hannover am Samstag gehen die Veranstalter von deutlich
       mehr als 10.000 Teilnehmern aus. [7][Eine Demonstration gegen rechts und
       die AfD in Hamburg] musste am Freitagabend wegen des großen
       Menschenandrangs abgebrochen werden. Einer der Organisatoren verwies auf
       Sicherheitsbedenken. Die Polizei sprach von 50 000 Teilnehmern, die
       Veranstalter von 80 000.
       
       Auslöser der Proteste ist ein Bericht des Medienhauses Correctiv aus der
       vergangenen Woche über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von
       Rechtsradikalen in einer Potsdamer Villa vom 25. November. An dem Treffen
       hatten auch mehrere AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der
       sehr konservativen Werteunion teilgenommen.
       
       20 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Proteste-gegen-die-AfD/!5986652
   DIR [2] /49-Abgeordnete-fuer-Pruefung/!5986396
   DIR [3] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/koennte-man-die-afd-wirklich-verbieten-19460865.html
   DIR [4] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/antisemitismus-der-mahner-josef-schuster-der-praesident-des-zentralrats-der-juden-id64678466.html
   DIR [5] https://rp-online.de/politik/deutschland/buergergeld-hubertus-heil-verteidigt-die-sanktionen-gegen-kritik_aid-105417203
   DIR [6] https://www.youtube.com/watch?v=nALYJiKrFU8
   DIR [7] /Ueber-80000-Menschen-gegen-Rechts/!5986734
       
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