URI: 
       # taz.de -- Was Städte durch weniger Autos gewinnen: So viel Platz
       
       > Wie viel Raum wird frei, wenn Autos in Städten weniger werden? Die taz
       > hat das am Beispiel Hamburg für 2030 ausgerechnet. Das Ergebnis macht
       > Hoffnung.
       
       Dass zwölf Parkplätze wegfielen, wurde Ende Oktober im Hamburger Bezirk
       Eimsbüttel [1][wie ein Fest gefeiert]. Eine [2][Initiative hatte erreicht],
       dass an einer Straßenecke, an der sonst Pkws quer parkten, ein neuer Platz
       eingeweiht wurde. Hochbeete wurden aufgestellt, ein Straßenschild mit der
       Aufschrift „Parnass-Platz“ enthüllt und Eröffnungsreden gehalten. Im
       Frühling diesen Jahres treffen sich die Anwohner:innen nun zum Gespräch
       darüber, wie sie den neuen Platz weiter beleben. 280 Quadratmeter haben sie
       gewonnen.
       
       Es wird viel neuen Platz geben in den Städten, wenn die Autos etwas von dem
       Raum abgeben, [3][den sie beanspruchen], wenn sie stehen, fahren oder
       tanken. Die taz hat am Beispiel Hamburg ausgerechnet, wie viel
       Raumpotenzial die Verkehrswende bis 2030 bringt.
       
       Wie viele Parkplätze, Parkhäuser, Tankstellen und Straßenspuren werden
       nicht mehr für Pkws benötigt, wenn der Autoverkehr in Hamburg im gleichen
       Maße abnimmt wie in den letzten Jahren? Das Ergebnis: Etwa 2.750.000
       Quadratmeter bekommen die Hamburger:innen bis 2030 zurück. Das ist mehr
       als die zwei kleinsten Länder der Erde – Monaco und der Vatikan – zusammen.
       
       Basis der Rechnung ist, dass es 2030 knapp 13 Prozent weniger Autoverkehr
       in der Stadt geben wird als 2020. Das ist eine Fortschreibung des Trends,
       wie er in Hamburg bisher verläuft. Die Stadt erfasst [4][in der
       Mobilitätserhebung] regelmäßig, wie sich Menschen bewegen.
       
       Die ungefähr 2.750.000 Quadratmeter sind keine optimistische
       Wunschrechnung. Damit die Emissionen im Verkehr schnell genug fallen,
       müsste der Autoverkehr sogar viel schneller abnehmen. Die Veränderung
       dürfte nicht nur gleichmäßig weitergehen, sondern müsste sich
       beschleunigen. Auch der Koalitionsvertrag in Hamburg sieht ambitioniertere
       Ziele vor als das hier angenommene Szenario. Die taz hat also bewusst
       konservativ gerechnet. Und trotzdem zeigt das Ergebnis: Da ist
       Raumpotenzial.
       
       13 Prozent der Parkhäuser und Parkplätze könnten demnach umgenutzt werden.
       Die Parkplätze machen den größten Platzgewinn aus. Es könnte, auch durch
       die Zunahme an E-Autos, rund 27 Prozent weniger Tankstellen geben. Konrad
       Rothfuchs, Verkehrsplaner in Hamburg, geht davon aus, dass bis 2030 auf 15
       bis 20 Prozent [5][der Hauptstraßen in Hamburg] Fahrstreifen reduziert oder
       zu Bus- und Fahrradwegen werden können.
       
       Hinter den abstrakten Zahlen stecken konkrete Möglichkeiten. Sichere
       Radwege, mehr Platz für Kinder oder neuer Wohnraum. Mehr Fläche, auf der
       Regenwasser wieder versickern kann und mehr kühlende Bäume – also bessere
       Anpassung an den Klimawandel. An einem Sommertag ist es auf einem
       asphaltierten Parkplatz zum Beispiel zwei Grad heißer als in einer [6][von
       Bäumen gesäumten] Straße.
       
       Die Auseinandersetzungen der letzten Monate um autofreie Straßen von
       [7][Hannover] bis [8][Berlin] haben gezeigt, wie viele Menschen beim Wort
       Verkehrswende Verluste und Verbote fürchten. Dass ihnen etwas genommen
       wird.
       
       Hier soll es darum gehen, was zu gewinnen wäre. Ohne eine Vorstellung von
       einer Stadt mit weniger Autoverkehr ist die Sitzheizung zu gemütlich.
       
       Der Hamburger [9][Künstler Jan Kamensky], der sich visueller Utopist nennt,
       versucht solche Zukunftsbilder zu entwerfen. Er gestaltet kurze Videos, in
       denen er Ansichten bekannter Plätze verändert. SUVs und Ampeln fliegen weg,
       Bäume wachsen, Bänke schieben sich ins Bild. Lastenfahrräder und Fußgänger
       nehmen den Platz ein, den die Autos verlassen haben.
       
       Würden Menschen von München bis Mönchengladbach mehr öffentliche
       Verkehrsmittel nutzen, wenn das heißt, dass ein kleiner Park in ihrer
       Straße entstehen würde?
       
       Schon die Pandemie hat dazu beigetragen, dass sich das Bewegungsverhalten
       der Menschen ändert. Viele Menschen haben sich das Home Office wenigstens
       an ein paar Tagen beibehalten und sparen sich so Wege. Während die
       Hamburger:innen vor der Pandemie noch 5,8 Millionen Wege am Tag
       zurücklegten, sind es nach der Pandemie 5,3 Millionen, obwohl die
       Bevölkerung in Hamburg gewachsen ist.
       
       Der Verkehrsplaner Konrad Rothfuchs beobachtet auch ein Umdenken, das er
       die „Verdörflichung der Stadt“ nennt. „Wir wollen uns wieder in der Nähe
       organisieren“, sagt er. Keine ewigen Wege zurücklegen müssen, um
       einzukaufen, Sport zu machen oder die Kinder abzuholen. „Unsere
       Anforderungen an den öffentlichen Raum verschieben sich. Wir gehen viel
       mehr raus, hocken uns irgendwohin und arbeiten“, sagt Rothfuchs. „Meinen
       Eltern wäre das nie in den Sinn gekommen.“
       
       Menschen stehen in überfüllten Städten also bereit, den Raum einzunehmen.
       Aber wie genau können die über 12.000 Quadratmeter Tankstellenfläche
       genutzt werden, die bis 2030 in Hamburg frei werden? Oder die gut zwei
       Millionen Quadratmeter ehemaliger Parkplatzfläche? Wir haben Menschen mit
       konkreten Vorstellungen gesucht und sie für die taz zum Träumen eingeladen.
       
       ## Parkhäuser zu Kitas
       
       Gerda Wunschel ist Geschäftsführerin eines Kita-Trägers in Berlin, der
       [10][einen Kindergarten in einem umgebauten Parkhaus] betreibt. 
       
       „Ungenutzte Parkhäuser muss man nicht gleich abreißen. Wie man die Gebäude
       stattdessen sinnvoll nutzen kann, hat der Bezirk Berlin-Kreuzberg schon vor
       mehr als 30 Jahren gezeigt: Unweit des Kottbusser Tors wurde aus einem kaum
       genutzten Parkhaus ein Kindergarten, der Platz für 136 Kinder bietet.
       
       Damals wie heute herrschte ein akuter Mangel an Betreuungsplätzen. Die
       Umnutzung war eine ressourcenschonende Option, um diese Plätze dort zu
       schaffen, wo sie benötigt wurden. [11][Kindergärten sind immer wieder von
       Verdrängung betroffen], müssen aus ihren Räumlichkeiten ausziehen und sich
       aufwändig neue suchen, auf dem angespannten Mietmarkt teilweise ohne
       Erfolg.
       
       Ich kenne das Gebäude in Kreuzberg noch als Parkhaus, das war dunkel, eng
       und hatte sehr niedrige Decken. Eigentlich sollte es abgerissen werden und
       dort eine Neubau-Kita entstehen. Während der Planung ist die Idee
       entstanden, es umzunutzen. Ich habe damals im Bezirksamt Kreuzberg
       gearbeitet und den Umbau so von Anfang an begleitet.
       
       In die Mitte des Gebäudes wurde ein Glashaus gesetzt, so hat es einen
       hellen, zentralen Bereich bekommen, der von allen Kindern genutzt werden
       kann. Durch das Glasdach hat der Raum eine hohe Decke und ist sehr hell.
       Die Kinder haben hier verschiedene Spiel- und Bastelecken, die sie sehr
       gerne nutzen.
       
       Der Bezirk war Träger des Bauvorhabens, 136 Kita-Plätze sind entstanden.
       Etwa 8,5 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, genauso viel wie Abriss und
       Neubau. Den Kindern stehen bei uns 2.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung.
       Hätten wir eine neue Kita gebaut, hätten wir für 136 Kinder nicht einmal
       700 Quadratmeter gehabt.
       
       Vom Bezirk vorgegeben war, dass die Kindertagesstätte einen ökologischen
       Schwerpunkt haben sollte. Nur: Wie setzt man einen ökologischen Schwerpunkt
       um in einem Haus, was eigentlich ein solider Betonbau ist? [12][Ein
       zentraler Aspekt ist, dass die Kita ein Umbau und kein Neubau war, das
       spart Ressourcen.] Wir haben beim Bau und der Ausstattung natürliche
       Materialien verwendet. Zusätzlich hat das Gebäude ein Gründach, dort gibt
       es eine Kräuterspirale, zusammen mit den Kindern haben wir dort Beete
       angelegt.
       
       Durch den ungewöhnlichen Bau konnten wir ein besonderes pädagogisches
       Konzept umsetzen, das in den 1980er Jahren innovativ war. Auch bei uns gibt
       es klassische Gruppenräume. Aber es gibt in Richtung Glashaus auch die
       Mehrzweckräume, die nutzen wir als Atelier, Bauraum und Werkstatt. Wir
       haben entschieden, die Räume innerhalb der Gruppen zu öffnen, die Kinder
       können also mit Kindern aus anderen Gruppen spielen.
       
       Für die Kinder ist das Parkhaus eine Fläche, die sie sich aneignen. Auf den
       ehemaligen Auffahrten sind jetzt jeweils acht Stufen. Da macht man nicht
       einen Schritt und geht auf die nächste Stufe, sondern macht einen Schritt
       und macht zwei Zwischenschritte und geht dann auf die nächste Stufe. Das
       ist für Erwachsene merkwürdig, aber für die Kinder ist es kein Problem. Sie
       rennen hoch und runter, freuen sich über den Platz und die besonderen
       Möglichkeiten. Die ursprüngliche Nutzung bleibt so sichtbar, das war dem
       Architekten wichtig. Eine solche Umnutzung wäre auch in anderen Städten
       möglich, mit allen ökologischen und pädagogischen Vorteilen.“
       
       ## Straßen zu Bäumen
       
       Sabine Rabe ist Landschaftsarchitektin und an der Erstellung von neuen
       Konzepten für Hauptstraßen in Hamburg beteiligt. 
       
       „Wenn ich träumen darf, würde jede Straße ein Park werden. Bäume sind das A
       und O, um Wasser im Kreislauf zu halten. Deshalb würde ich auf den frei
       werdenden Straßen als allererstes Bäume pflanzen, so simpel das klingt.
       
       Der Raum ist hart umkämpft, auch unter der Erde. Überall verlaufen Kabel,
       Fernwärmetrassen werden verlegt, sehr viele Flächen sind unterbaut, mit
       Tiefgaragen zum Beispiel, weshalb Bäume nicht wirklich tief wurzeln können.
       Sie brauchen also auch Platz unter der Erde, den würde ich ihnen geben.
       
       Ich würde [13][nicht nur resiliente Klimabäume pflanzen], sondern auch
       heimische Baumarten, die wir kennen, wie Buchen, Eichen, Kastanien. Wenn
       sie jung angepflanzt werden, haben sie eine größere Chance, zu überleben
       und sich anzupassen. Diese Bäume haben durch ihre großen Kronen ein hohes
       Verdunstungsvolumen. Denn über die vielen Blätter speichern die Bäume nicht
       nur CO2, sondern geben auch Wasser an die Luft ab und kühlen sie so. Gerade
       an heißen Tagen in Städten können Bäume die Temperatur messbar senken.
       
       Außerdem muss Boden in den Städten entsiegelt werden, also vom Asphalt
       befreit. Wo Fahrspuren wegfallen, sollte das erwogen werden. Beim Boden
       müssen wir große Reparaturarbeiten leisten und neues Substrat auftragen. In
       den vergangenen Jahren haben wir immer mehr Flächen versiegelt. Deshalb
       fließt das Wasser in die Kanalisation und gelangt oft nicht mehr ins
       Grundwasser. [14][Damit das wieder geschieht, muss das Wasser in der Erde
       versickern können.] Nicht an allen Stellen in Hamburg ist der Boden dafür
       gut geeignet, deshalb müssen wir darauf achten, dass genau dort, wo es
       geht, Regen wieder versickern kann. Umgekehrt haben wir es in Zukunft nicht
       nur mit Trockenperioden, sondern auch – wie wir gerade erleben – mit lang
       anhaltendem Regen zu tun. Daher brauchen wir dringend unversiegelte Räume
       für den Rückhalt von Wasser.
       
       Die Straßen sollten wir deshalb zu multicodierten Flächen umwandeln. Das
       heißt, nicht nur den Verkehr auf der Straße fließen zu lassen, sondern die
       Fläche vielseitig zu nutzen, etwa für Pflanzen, Versickerungszonen oder
       Regenrückhalteräume. Solche Wasserdepots können unter der Erde installiert
       werden, um das Wasser in einer trockeneren Phase dem Boden oder den
       Pflanzen zuzuführen. Es könnten aber auch Sport- und Spielflächen,
       Platzflächen und Straßen sein, die temporär überflutbar sind. Wir müssen
       dafür sorgen, dass der Wasserkreislauf wieder geschlossen wird und wir das
       Wasser nicht nur ableiten.
       
       Außerdem wünsche ich mir mehr öffentliche Plätze, an denen sich die
       Bewohner:innen begegnen können, zum gemeinsamen Kochen, Klönen,
       Rumsitzen, Gärtnern. Das Wunderbare an Straßenräumen sind die Länge und das
       Verbindende. In meinem Team gibt es viele Ideen, was auf den heutigen
       Straßenspuren entstehen könnte, etwa ein Bewegungsband zum Laufen und
       Spazieren, ein Parcours zum Radfahrenlernen, eine Rollbahn zum Skaten oder
       Inlinern, ein Asphalt-Malpark für Bodengemälde, ein Sonnenblumenfeld, ein
       endlos langer Gemüsegarten, eine städtische Baumschule, ein Planschbecken,
       eine Eisbahn im Winter oder ein Urban Gym zum Draußentrainieren, wenn es
       warm genug ist.
       
       All das könnte entstehen, statt Autorennen Platz zu bieten. Wir hätten
       Flächen für den längsten Spiel- und Sportplatz der Stadt und das längste
       Biotop der Stadt, denn die neue Urbanität ist auch das selbstverständliche
       Miteinander von Menschen, Tieren und Pflanzen. Oder eben: den längsten Park
       der Stadt!“
       
       ## Parkplätze zu Schlafplätzen
       
       Van Bo Le-Mentzel ist Architekt. Bekannt wurde er [15][durch seine
       Hartz-IV-Möbel] und die Entwürfe von Tiny Houses, kleinen temporären
       Häusern auf Rädern. 
       
       „Ein durchschnittlicher Parkplatz ist 5 Meter lang und 2,3 Meter breit. Das
       sind 11,5 Quadratmeter, damit kann man so viel machen! Wenn in einer Straße
       durch die [16][Verkehrswende ein Parkplatz frei wird], würde ich dort
       zuerst einen leeren Anhänger hinstellen. Dann braucht man noch eine
       Batterie für Strom und eine Propangasflasche zum Heizen. Das ist die
       Grundlage für eine Notunterkunft, ein Tiny House oder eine Werkstatt.
       
       Was konkret daraus wird, sollte die Entscheidung der Menschen sein, die
       dort wohnen. Öffentlicher Raum ist für alle da, deshalb ist es wichtig,
       dass die Nachbarschaft das Projekt akzeptiert. Idealerweise würde ich das
       Konzept und den Ort mit ihnen zusammen entwickeln und bauen. Für ein Tiny
       House braucht man im Prinzip nur vier Wände und ein Dach aus Holz. Wichtig
       finde ich allerdings, dass es sozial genutzt wird. Der öffentliche Raum ist
       nicht dafür da, dass alle ihre privaten Autos abstellen. Stattdessen
       sollten dort soziale Projekte stattfinden.
       
       Das passiert, wenn alle Zugang zu den Ressourcen haben, besonders Menschen,
       die im Stadtraum sonst verdrängt werden oder wenig Platz haben, [17][zum
       Beispiel Obdachlose], Jugendliche, Kinder oder Geflüchtete. Wenn ein
       Wohnwagenbesitzer diesen zur Verfügung stellen würde, wäre das ein soziales
       Projekt. Aber die meisten nutzen diese Gefährte nur im Urlaub. Dabei
       erfrieren in Hamburg jeden Winter rund 30 Menschen.
       
       Seit letztem Winter habe ich in Berlin eine mobile Notunterkunft stehen,
       für die ich jeden Abend einen neuen Parkplatz suche. Es ist ein Tiny House,
       das mit seiner Fläche von gerade mal zweieinhalb Quadratmetern so klein
       ist, dass es auf einen Kleintransporter passt. Die Hütte ist aus Holz,
       drinnen befinden sich eine Küche, eine Toilette, zwei Schlafplätze und ein
       Büro mit Stuhl und einem ausklappbaren Tisch. Im Moment schlafen dort jede
       Nacht obdachlose Menschen.
       
       Natürlich löst das das Problem der Obdachlosigkeit nicht. Auch nicht, wenn
       man 30.000 solcher Unterkünfte aufstellen würde. Aber im Notfall können sie
       Menschenleben retten. Und wenn Parkraum als Wohnraum genutzt wird, könnte
       das die Wohnungskrise generell entschärfen.
       
       Für den städtischen Raum eignen sich am besten mobile Lösungen. Stadtplaner
       müssen, wenn sie Häuser bauen, immer alle möglichen Szenarien durchdenken
       und reden mit sämtlichen Interessengruppen. Dann müssen sie einen
       Kompromiss finden, aber die sind nie radikal oder mutig. Das ist anders,
       wenn man Häuser auf Rädern baut. Klar muss man sich seiner Umgebung
       trotzdem bewusst sein. Aber wenn etwas nicht oder nicht mehr passt, dann
       fahre ich halt weg.
       
       Solange Tiny Häuser auf einen Kleintransporter passen, kann sie theoretisch
       jeder bauen. Dann kann man sie einfach auf einem Parkplatz parken und darin
       leben. Rechtlich gesehen ist das verboten, weil man in Deutschland einen
       gemeldeten Wohnsitz braucht. Und wohnen kann man nur auf Flächen, die als
       Wohnraum gemeldet sind. Im öffentlichen Raum geht das also nicht.
       
       Aber wo am Ende tatsächlich gelebt wird, kann keiner überprüfen. Alles, was
       man in Großstädten braucht, ist eine Parkvignette und einen Parkplatz. Der
       kostet in Hamburg 65 Euro im Jahr. Da kann man dann sein soziales Projekt
       draufstellen. Menschen sollten kreativ und aktiv werden und eigene Ideen
       umsetzen, die den öffentlichen Raum sozialer und schöner für alle machen.“
       
       ## Tankstellen zu Beeten
       
       Dida Zende betreibt in Berlin das [18][Kunstprojekt „FIT freie
       internationale tankstelle“] und belebt leerstehende Tankstellen wieder. 
       
       „Die Tankstelle ist ein Symbol unserer verschwenderischen Gesellschaft.
       Hier kommt man mit seiner dicken Karre hin, tankt Benzin und beschleunigt
       wieder. Der Schaden, der dabei für die Umwelt entsteht, ist riesig. Was für
       ein Schwachsinn, was für ein Luxus. Wie wäre es stattdessen, wenn die
       Tankstelle ein Ort der Entschleunigung sein könnte? Ein Ort, den alle
       gemeinsam gestalten können. Dieses gemeinsame Schaffen nenne ich „Human
       Fuel“ – also menschlichen Treibstoff.
       
       Ich betreibe meine „FIT freie internationale tankstelle“ im Berliner
       Stadtteil Prenzlauer Berg nun schon seit über zwanzig Jahren, tanken kann
       man hier nicht mehr. Für mich wird die Tankstelle selbst zum Kunstwerk. Zu
       einer Sozialen Skulptur, also zu einem Ort für Workshops,
       nachbarschaftliches Feiern und Zusammenkünfte. Ehemalige Tankstellen haben
       es mir angetan, auch in anderen Städten wie zum Beispiel in Kopenhagen und
       Miami habe ich zeitweise leerstehende Tankstellen genutzt und viele
       Mitstreiter gefunden, die selbst nun Projekte an Tankstellen durchführen.
       
       Warum dieser Ort? Weil er als sichtbares Symbol des untergehenden fossilen
       Zeitalters mitten in der Gesellschaft steht. Für zugängliche Kunstprojekte
       haben Tankstellen auch Standortvorteile. Sie sind gut sichtbar an der
       Straße positioniert, meine zum Beispiel genau an der Ecke von einer
       Kreuzung in einem Wohngebiet.
       
       Zum anderen stehen viele Tankstellen weltweit leer und es werden mehr
       dazukommen, durch die Verkehrswende und den Boom von Elektroautos. Außerdem
       macht die symbolträchtige Architektur die Tankstelle zu etwas Besonderem,
       was ich auch bei meinen Projekten berücksichtigen kann. Ich finde es
       spannend, bei der Transformation den ursprünglichen Charme des Ortes zu
       behalten: die typischen Farben, das Verkaufshäuschen und das Dach. So
       kommen Leute vorbei, die erst dachten, es wäre eine normale Tankstelle.
       Leute, die sonst in keine Kunstausstellung gehen würden.
       
       Bei der Bespielung der Orte ist mir wichtig, dass alles gemeinschaftlich
       passiert. So kamen die meisten Ideen für Projekte für meine Tankstelle in
       Berlin von Freund*innen und Nachbar*innen. Der Ort wird dabei vielseitig
       genutzt, auf dem [19][Tankstellendach haben sie zum Beispiel Gemüse
       angebaut]. Tomaten, Chilis und verschiedene Kräuter, die das Licht auf dem
       Dach optimal ausnutzen können. Unter dem Dach wurden im Sommer und Frühjahr
       auch öfter Chorproben abgehalten. Super zum Schutz vor Regen und als
       Schattenspender.
       
       Ein Projekt, das ich mit einem befreundeten Regisseur durchgeführt habe,
       passt besonders gut zu diesem speziellen Ort. Und zwar haben wir ein
       kleines Filmfestival veranstaltet, bei dem unterschiedliche Leute Remakes
       von berühmten Tankstellen-Szenen machten. Wir schauten die Filme am Ende
       zusammen, der schlechteste Beitrag gewann. Das fand ich auch wegen der
       Zugänglichkeit richtig gut, weil Menschen mitgemacht haben, die vorher noch
       nie eine Kamera in den Händen hielten und nicht dachten, dass sie kreativ
       sein können.
       
       Auch für Einrichtungen, die über die Energiewende aufklären, ist so ein
       Kunstprojekt interessant. Die Heinrich-Böll-Stiftung etwa nutzt FIT seit
       vielen Jahren für Veranstaltungen. Die Tankstelle der Zukunft kann also
       auch einen aufklärerischen Charakter haben und sich vom Energieträger für
       Autos zum Energieträger des Menschlichen wandeln.“
       
       26 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.hamburg.de/eimsbuettel/parnassplatz/
   DIR [2] https://kursfahrradstadt.de/2023/10/31/parnass-platz-eimsbuettel-hamburg-superbuettel/
   DIR [3] /Parkende-Autos/!5968714
   DIR [4] https://www.hamburg.de/bvm/mobiham/
   DIR [5] https://www.hamburg.de/contentblob/4259668/982bab381ad198c9b5d00e073cc6dcea/data/hauptverkehrsstrassen-pro-bezirk.pdf
   DIR [6] /Stadtbaeume-im-Klimawandel/!5950569
   DIR [7] /Autofreie-Innenstadt/!5961685
   DIR [8] /Flaniermeile-Friedrichstrasse/!5974743
   DIR [9] https://www.instagram.com/jankamensky/
   DIR [10] https://www.inakindergarten.de/berlin/kita-dresdener-strasse
   DIR [11] /Bedrohte-Kita-in-Prenzlauer-Berg/!5964871
   DIR [12] /Nachhaltigkeit-beim-Bauen/!5882374
   DIR [13] /Klimaresilienter-Volkspark-Hasenheide/!5886522
   DIR [14] /Wassermanagement-in-der-Stadt/!5905389
   DIR [15] /Montagsinterview-Prime-Lee-alias-Le-Van-Bo-Kommunikator/!5141559
   DIR [16] /Parkende-Autos/!5968714
   DIR [17] /Wohnungslosigkeit-in-Deutschland/!5971851
   DIR [18] /Besondere-Sauna-in-Berlin/!5890094
   DIR [19] /Lebensmittelanbau-in-Berlin/!5911732
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Fichtner
   DIR Alexandra Hilpert
   DIR Ann-Kathrin Leclere
   DIR Yannik Achternbosch
       
       ## TAGS
       
   DIR Verkehrswende
   DIR Zukunft
   DIR wochentaz
   DIR Hamburg
   DIR Stadtplanung
   DIR Mobilitätswende
   DIR Mobilität
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR GNS
   DIR Longread
   DIR IG
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR grüne Mobilität
   DIR Verkehrswende
   DIR Fahrrad
   DIR Autoverkehr
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Abgase
   DIR Öffentlicher Nahverkehr
   DIR Verkehrswende
   DIR Zukunft
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Van Bo Le-Mentzel über soziale Teilhabe: „Ich bin ein totaler Maximalist“
       
       Van Bo Le-Mentzel baut Tiny-Häuser, entwirft Hartz-IV-Möbel, plant
       Zukunftsdörfer. Vom Gefühl, dass er etwas zurückgeben muss, will er sich
       befreien.
       
   DIR Autobahn durch den Amazonas-Regenwald: Die Fremdempörung
       
       Für die Klimakonferenz baut Brasilien eine Autobahn durch den Regenwald.
       Wer sich jetzt aufregt, sollte fragen: Was ist mit den Autobahnen
       hierzulande?
       
   DIR Wertschöpfung von grüner Mobilität: 118 Milliarden Euro schwer
       
       Die nachhaltige Verkehrsbranche generiert viel Wertschöpfung. Sie fordert
       eine Milliarde Euro mehr pro Jahr für Radwege und Mobilitätsbudgets.
       
   DIR Schrottautos in Hamburg: Nehmt euren Müll vom Straßenrand!
       
       Gut 35.500 Quadratmeter Stadtraum werden in Hamburg mit alten Autos
       zugerümpelt. Knapp eine Million Euro kostete das die Stadt Hamburg in fünf
       Jahren.
       
   DIR Bürgerbegehren In Göttingen: Radentscheid auf der Zielgeraden
       
       In Göttingen kommt es immer wieder zu Unfällen zwischen Autos und
       Radfahrer:innen. Eine Initiative will das ändern. Die Zustimmung ist groß.
       
   DIR Forscherin über höhere SUV-Parkgebühren: „Die Zulassungszahlen steigen“
       
       Deutsche Kommunen haben es aus rechtlichen Gründen schwer, Parken zu
       verteuern. Doch es gibt Spielraum, sagt Expertin Anke Borcherding.
       
   DIR Paris verteuert Parken für SUVs: Wer Platz braucht, muss zahlen
       
       Für übergroße Fahrzeuge sollen in der französischen Hauptstadt künftig
       höhere Parkgebühren anfallen. Das ist das Ergebnis einer Bürgerbefragung.
       
   DIR CO2-Werte neuer Fahrzeuge: Autobauer unter Schummel-Verdacht
       
       Neuwagen stoßen wieder deutlich mehr Kohlendioxid aus, als die Hersteller
       angeben. Das zeigt eine neue Studie. Die Forscher sehen die EU in der
       Pflicht.
       
   DIR Mobilität in Städten: Bus und Bahn machen glücklicher
       
       In vielen Großstädten sind Autofahrende unzufrieden, zeigt eine Umfrage des
       ADAC. Der ÖPNV schneidet gut ab – dort aber stellen sich andere Fragen.
       
   DIR Verkehrsreformen vorerst gescheitert: Bundesrat bremst Verkehrswende aus
       
       Die Länder stimmen gegen das neue Straßenverkehrsgesetz. Kommunen und
       Verbände hatten auf Radwege und Tempolimits gehofft.
       
   DIR Die egalitäre Kraft der Stadtnatur: Freiheit, Gleichheit, Löwenzahn
       
       Ein neues EU-Gesetz könnte verbieten, dass mehr Flächen in Städten
       zubetoniert werden. Denn urbanes Grün ist kein Bullerbü-Projekt. Es rettet
       Leben.
       
   DIR Leben ohne Auto: Kommt Zeit, kommt Rad
       
       Mit drei Kindern und ohne PKW ist unsere Autorin in den Wald gezogen. Geht
       das – ein Leben auf dem Land ohne Auto?