URI: 
       # taz.de -- Politikerin über Investoren-Arztpraxen: „Eine Praxis, zwei Profite“
       
       > Die Hamburger Linke Olga Fritzsche fordert klare Kante gegen die von
       > Investoren betriebenen medizinischen Versorgungszentren. Bislang tut sich
       > nichts.
       
   IMG Bild: Gerecht geht anders: Selbst eine Vorzeigepraxis wie die Poliklinik auf der Hamburger Veddel hatte lange keinen Kassensitz
       
       taz: Sind Sie selbst schon mal in einer Investorenpraxis behandelt worden,
       Frau Fritzsche? 
       
       Olga Fritzsche: Ich selbst nicht. Aber der Hausarzt meines Vaters hat seine
       Praxis an Asklepios verkauft und seitdem sind die Bedingungen deutlich
       schlechter geworden.
       
       Wie hat sich die Behandlung Ihres Vaters verändert? 
       
       Es wurde deutlich [1][mehr darauf geachtet, nur so viel Zeit mit den
       Patient:innen zu verbringen wie auch durch die Pauschalen abgedeckt
       ist]. Wir hatten den Eindruck, dass es für meinen Vater deutlich weniger
       persönlich wurde. Der Arzt, der verkauft hat, hat sich irgendwann
       zurückgezogen und es kamen neue Ärzte in die Praxis. Es wurden ihm ständig
       Leistungen empfohlen, die man privat bezahlen muss.
       
       Ist er in der Praxis geblieben? 
       
       Mein Vater ist gegangen. Aber meine Eltern wohnen im Osdorfer Born, das ist
       ein Bereich, der immer an der Versorgungsuntergrenze liegt, es ist deutlich
       anders als in Harvestehude oder Eppendorf. Dann ist es nicht so einfach,
       einen Hausarzt zu finden.
       
       Die Investoren-Praxen argumentieren, ohne sie sei die Versorgung nicht
       sichergestellt. 
       
       In Berlin hatte man auch [2][das Problem, dass die einkommensschwachen
       Stadtteile unterversorgt waren]. Dadurch, dass – wie Hamburg auch – die
       ganze Stadt als ein Planungsgebiet für den ärztlichen Bedarf galt, konnte
       man die Niederlassung der Ärzt:innen nicht steuern. Berlin hat die
       Planungsgebiete verkleinert und nun kann man gezielt sagen: Jetzt kommen
       erst mal Kassensitze in den unterversorgten Gebieten. Das wäre schon mal
       ein Schritt in die richtige Richtung, zusammen mit dem Fonds, den die
       Ärztekammer hier aufgelegt hat, mit dem sie Geld zuschießt, wenn an
       unterversorgten Orten Praxen aufgemacht werden.
       
       Denken nicht alle niedergelassenen Ärzt:innen wirtschaftlich? 
       
       Natürlich. Aber aus einer Praxis, die von Investoren betrieben wird, müssen
       zwei Profite rausgezogen werden.
       
       Auf Ihre Anfrage hat der Hamburger Senat geantwortet, er habe den Bund
       aufgefordert, die von Investoren betriebenen Medizinischen
       Versorgungszentren (MVZ) zu regulieren. Gesundheitsminister Lauterbach
       (SPD) verspricht seit über einem Jahr einen Gesetzentwurf. Warum passiert
       trotzdem nichts? 
       
       Ich denke, dass es keine richtige Lobby gibt, die die Interessen der
       meisten Patient:innen, also der Kassenpatient:innen, vertritt. Und
       gleichzeitig sind die Interessen der anderen beteiligten Gruppen zu
       mächtig, als dass man sagte: dem schieben wir jetzt mal einen Riegel vor im
       Sinne des Gemeinwohls.
       
       Sie fordern ein Transparenzregister zu den Eigentumsstrukturen im
       Gesundheitswesen und Regelungen, um Gewinnausschüttungen an Dritte zu
       verbieten. Kann Hamburg das überhaupt entscheiden? 
       
       Wir denken: Ja. Wir sind der Meinung, dass man immerhin gucken können muss,
       wo überhaupt Investoren in Praxen drin sind. [3][Der Senat selbst sagt,
       dass es ihm schwerfällt, darüber einen Überblick zu haben].
       
       Um in so ein Register zu schauen, muss man ja schon wissen, dass es solche
       Praxen gibt. Bräuchte man nicht eigentlich ein Schild an der Tür? 
       
       Das haben wir auch schon verlangt – bislang erfolglos. Die Intransparenz
       geht noch weiter: Es gibt wenig Daten, aber man hat den Eindruck, dass
       Praxen schwerpunktmäßig im Umfeld von großen Krankenhauskonzernen gekauft
       werden, um den Nachschub an passenden Patient:innen zu sichern. Die
       Krankenhausreform kommt, und wenn man eine bestimmte Menge an
       Patient:innen für eine bestimmte Form von Operationen durchschleust,
       ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man zum Zentrum für diese Disziplin
       in einem bestimmten Versorgungsgebiet werden kann – das wäre wirtschaftlich
       lukrativ. Das wäre natürlich für die Muttergesellschaft, die auch das
       entsprechende Krankenhaus betreibt, sehr lukrativ.
       
       Viele Ärzt:innen wollen sich lieber in einem MVZ anstellen lassen, als
       selbst eine Praxis zu eröffnen. Stoßen die Investoren in eine Lücke, die
       die Politik gar nicht schließen kann? 
       
       Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es an bestimmten Stellen schwierig
       ist, einen Kassensitz zu bekommen. Wenn Sie an die [4][Poliklinik auf der
       Veddel] denken: dies Vorbildprojekt in einem sozial benachteiligten Gebiet
       hat lange keinen Kassensitz bekommen. Es geht gar nicht darum, die
       ärztliche Selbstorganisation auszubremsen, aber man könnte erwünschtes
       Verhalten ja auch staatlicherseits fördern. Die Lücke kann also auch anders
       gefüllt werden.
       
       Ist es sinnvoll, dass der Staat da hingeht, wo die Rendite gering ist, und
       die Ärzt:innen dorthin, wo das Geld sitzt? 
       
       Ja, ich denke schon. Man könnte dort reingehen, wo nahezu ausschließlich
       Kassenpatient:innen sind und ein Arzt gar keinen Gewinn erwirtschaften
       kann – so wie es etwa ein Kinderarzt in Billstedt kürzlich öffentlich
       gemacht hat. An so einer Stelle könnte man sagen: die Stadt übernimmt
       Kassensitze, eröffnet ein Gesundheitszentrum und stellt die Ärzt:innen
       dafür an. Das wäre eine sinnvolle Überbrückung oder Ergänzung, solange die
       Gesetze so sind, wie sie sind und eben nicht der tatsächliche
       Behandlungsbedarf abgerechnet werden kann, sondern nur Pauschalen.
       
       Wenn man die Senatsantwort auf Ihre Anfrage liest, hat man nicht das
       Gefühl, dass morgen ein neues Gesetz kommt. 
       
       Das würde ich auch so sehen. Es gibt aber auch immer eine kleine Diskrepanz
       zu dem, was die Fachpolitiker:innen denken. Da erfahren wir oft für
       unsere Vorschläge mehr Zustimmung, als nach außen kommuniziert wird. Es ist
       oft so, dass unsere Anträge abgelehnt werden, aber manche kommen irgendwann
       in einem neuen Gewand von einer anderen Partei – damit bin ich auch fein.
       
       6 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Investorenpraxen-auf-dem-Vormarsch/!5913243
   DIR [2] /Aerztemangel-in-Berlin/!5865030
   DIR [3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/86083/zahnaerztliche_versorgung_in_hamburgs_stadtteilen.pdf
   DIR [4] /Poliklinik-im-Hamburger-Armenstadtteil/!5447702
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
       ## TAGS
       
   DIR Hamburg
   DIR Gesundheitspolitik
   DIR Die Linke Hamburg
   DIR Medizin
   DIR Investoren
   DIR Ärztinnen
   DIR Hausarzt
   DIR Kassenärztliche Vereinigung 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Aufkauf von Arztpraxen: Gesetz gegen „Heuschrecken“
       
       Meldungen häufen sich, wonach Finanzinvestor:innen nach Arztpraxen
       greifen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach will dagegen nun vorgehen.
       
   DIR Medizinische Versorgung mangelhaft: Abschied vom Landarzt
       
       Landärzt:innen finden oft keine Nachfolger:in für ihre Praxen. In die Lücke
       stoßen Medizinische Versorgungszentren. Doch wer hat dort das Sagen?
       
   DIR Krankenhauskonzerne kaufen Arztpraxen: Kaufrausch im Gesundheitswesen
       
       Immer mehr profitorientierte Konzerne kaufen sich in die ambulante
       Gesundheitsversorgung ein. Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg will nun
       gegensteuern.