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       # taz.de -- Ex-Obdachlose über Obdachlosigkeit: „Obdachlose haben keinen Feierabend“
       
       > Janita-Marja Juvonen hat selbst 14 Jahre lang auf der Straße gelebt. In
       > ihrem Buch „Die Anderen“ beschreibt sie die Realität der Obdachlosigkeit.
       
   IMG Bild: Die größte Hürde ist die Diskriminierung: Schlafplatz obdachloser Menschen unter einer Brücke in Hamburg
       
       taz: Janita-Marja Juvonen, welches Klischee über wohnungslose Menschen
       wollen Sie nie wieder hören? 
       
       Janita-Marja Juvonen: Obdachlose Menschen seien faul. Das ist die erste
       Sache, die man sich auf der Straße eben [1][nicht leisten kann.] Es gibt
       keinen Feierabend, keinen Urlaub, kein Wochenende. Ich konnte mich von
       meiner Obdachlosenzeit nicht krankmelden.
       
       Wieso werden wohnungslose Menschen immer so abgewertet? 
       
       Das hat mit eigenen Ängsten und Hochmut zu tun. Man möchte dem Glauben
       erliegen: „Das passiert mir nicht, nur faulen Menschen und
       Schulabbrechern.“ Menschen auf der Straße leisten nichts, was die
       Gesellschaft als Leistung wahrnimmt. Arbeit ist nur Arbeit, wenn man einen
       Lohn dafür bekommt.
       
       Was war Ihre Überlebensstrategie als Frau? 
       
       Möglichst unweiblich rüberkommen. Ich bin irgendwann auch sehr laut
       geworden. Menschen, die aggressiv erscheinen, nähert sich keiner. Du hast
       zum einen Privatsphäre und es schützt ein bisschen vor sexuellen
       Übergriffen.
       
       Von wem drohten diese Übergriffe? 
       
       Ich finde es faszinierend, dass das obdachlosen Männern so oft nachgesagt
       wird. Außer einmal waren es alles Männer mit Wohnung. Viele davon sind der
       Meinung, sie tun dir was Gutes, indem sie dich beachten oder dir im
       Gegenzug einen Schlafplatz anbieten. Ich habe unter einer Brücke mit fünf
       Männern zusammengelebt, da habe ich nicht einen Übergriff erlebt. Im
       Gegenteil, die haben mich immer geschützt.
       
       Auf der Straße nannte man Sie „JJ“. Was tragen Sie davon noch in sich? 
       
       Mir fällt es leicht zu reagieren, wenn sich Situationen ganz plötzlich
       ändern. Ich gehe sofort in einen Überlebensmodus. Auf der Straße hat sich
       mein Leben innerhalb von einer Sekunde geändert.
       
       Was hat Ihnen damals so gar nicht geholfen? 
       
       Kaffee! Und Weihnachtskekse. Ich werde bis an mein Lebensende keine
       Weihnachtskekse mehr essen. Menschen mit Wohnung bringen sehr gerne das,
       worüber sie sich selbst freuen würden. Mit 22 Kaffee ist mir aber nicht
       geholfen. Wenn ein Mensch ohne Wohnung das ablehnt, dann ist das sein gutes
       Recht. Es gibt aber Menschen, die dann der Meinung sind: „Ich helfe denen
       nie wieder!“ Deswegen: fragen, was gerade gebraucht wird.
       
       Was tun Sie, wenn Sie heute obdachlose Menschen treffen? 
       
       Ich unterhalte mich, weil ich von mir selbst weiß, dass mir Gespräche, die
       nichts mit meiner Lebenssituation zu tun haben, auf der Straße gefehlt
       haben.
       
       Was ist die größte Hürde, um aus der [2][Obdachlosigkeit] zu kommen? 
       
       Immer wieder gegen Mauern zu rennen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich
       meine wenige Energie auf der Straße brauche, und habe dann einfach
       aufgegeben. Die größte Hürde ist bis heute aber [3][Diskriminierung], unter
       anderem beim Wohnungsmarkt. Da kann man Geld vom Jobcenter bekommen, wie
       man will: Wenn man keine Wohnung bekommt, ist man wohnungslos.
       
       Was soll die wohnende Bevölkerung durch Ihre Aufklärungsarbeit begreifen? 
       
       Anfangs habe ich viele TV-Anfragen abgelehnt. Menschen würden einfach nur
       gucken, wie elendig mein Leben war, sich kurz aufregen und dann ist die
       Sache wieder gegessen. Einige Privatpersonen haben immer wieder diesen
       sozialromantischen Traum, durch Suppe verteilen beenden sie die
       Obdachlosigkeit in ihrer Stadt. Aber was Obdachlosigkeit beendet, [4][ist
       eine Wohnung]. Es ist Präventivarbeit, die Leute darauf aufmerksam zu
       machen: Das ist kein Eigenverschulden, dir kann es auch passieren, rechne
       damit! Reagiere nicht erst, wenn du auf der Straße sitzt.
       
       6 Feb 2024
       
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       ## AUTOREN
       
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