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       # taz.de -- Die Wahrheit: Das ganz große Fressen
       
       > Ja, ist denn immer noch Weihnachten? Jedenfalls sind vom Fest selbst im
       > Februar noch enorme Fressmengen übrig, die alle weggefuttert werden
       > müssen.
       
       Zum Glück ist heuer ein Schaltjahr. Da habe ich einen Tag länger Zeit, den
       Gefrierschrank bis zum nächsten Weihnachtsfest leerzufressen. Allerdings
       ist nun schon Februar und ich bin immer noch bei den Vorspeisen.
       
       Vor einigen Jahren haben meine Freundin und ich eine verheerende
       Abstimmungsniederlage in der Whatsapp-Gruppe „Wo feiern wir Weihnachten?“
       erlitten und wurden von einer Mehrheit der Freunde und Kinder auf
       Lebenszeit zum Austragungsort bestimmt. Seither stehen diese Leute am
       Heiligen Abend vor der Haustür und bringen Sachen mit.
       
       „Hier“, sagen sie etwa. „Wir haben einen Weihnachtsbaum gekauft.“ – „Wir
       auch“, antworten wir. „Stellt ihn einfach zu den anderen. Und bringt im
       nächsten Jahr lieber Gold mit. Notfalls auch Weihrauch und Myrrhe.“ Das tun
       sie aber nie, sie schleppen immer nur Essen und Bäume an. Die einen kommen
       ins Wohnzimmer, wo sie eine Schonung bilden, die Fourage wird in der Küche
       aufgefahren.
       
       Offiziell gibt es nur Kartoffelsalat mit Würstchen, aber das ist eine
       Sprachregelung wie „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“ und hält
       keinen davon ab, Kleinigkeiten wie drei Fuder Frikadellen, eine Käseplatte
       von den Ausmaßen Elsass-Lothringens oder einen Hektar Blechkuchen
       mitzubringen. Ferner wird zu jedem Gericht eine tierlose Variante
       gebastelt, was die Büffetmenge verdoppelt, obwohl es nur zwei Veganer gibt,
       von denen einer begeistert Fleisch in sich hineinstopft, sobald er genug
       Weihnachtspunsch intus hat.
       
       So bleiben etliche Platten und Schüsseln unberührt, aber wegwerfen kann ich
       die Reste nicht. Da bekomme ich ein schlechtes Gewissen den
       Containerkindern gegenüber, die hungernde Ennwortkinder als
       Belastungszeugen abgelöst haben. „Du schmeißt hier Reste weg und in der
       Bonner Südstadt containern die Kinder“, sagt meine Freundin, aber selber
       essen möchte sie die Reste auch nicht.
       
       Deswegen habe ich mir einen Ernährungsplan auferlegt. Über die letzten
       kalten Wochen werde ich wie der Eisbär einen Fressspurt einlegen. Wenn ich
       täglich mehr als 10.000 Kalorien schaffe, kann ich zu Ostern das Eisplateau
       der kalten Platten erreichen, bevor ich mich über den Tuppergletscher ins
       Packeisfeld der Bouletten schlage. Der Sommer soll leichten Beilagen
       gehören, während im Herbst die vereisten Fladenbrotplatten dran sind, die
       den Zugang zu den Desserts versperren. Für die süßen Reste ist die
       Adventszeit eingeplant. Doch bei der veganen Mousse au Chocolat streike
       ich, die schmeckt nach Aquafaba, einer „tollen Alternative“ zu Eischnee aus
       Kichererbsentunke.
       
       Beim letzten Weihnachtsbüffet wurde die vegane Mousse zum dritten Mal in
       Folge zum meistverschmähten Gericht gekürt und darf deswegen nicht wieder
       antreten. Ich möchte die letzte Schale davon in Kunstharz gießen und ein
       Mahnmal daraus bauen. Davor werde ich am nächsten Weihnachtsabend in
       stiller Abscheu niederknien und den Löffel abgeben, bevor mir schlecht
       wird.
       
       6 Feb 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
       ## TAGS
       
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