URI: 
       # taz.de -- Hintergrund des Begriffs „Remigration“: Angriff auf die Mitte
       
       > Die Idee der „Remigration“ basiert auf dem Begriff des
       > „Ethnopluralismus“. Diesen nutzen Rechte seit Jahren, um die Gesellschaft
       > zu infiltrieren.
       
   IMG Bild: Arbeitet an einer „Normalisierung durch Provokation“: Rechtsextremist Martin Sellner, hier bei einer Kundgebung 2016 in Wien
       
       Deportationsvorstellungen haben AfD-Politiker:innen und rechte
       Publizist:innen zwar schon seit Jahren ausgebreitet, aber nun ist ein
       Begriff in aller Munde: Die [1][„Remigration“]. Die Rede von Martin Sellner
       beim Treffen in Potsdam hallt nach. Ein diskursiver Sieg? In der AfD
       lavieren die führenden Personen zwischen Relativierungsbemühungen und
       Angriffsversuchen. Keine Überraschung, erstmals seit Jahren muss sich die
       Partei für ihre Positionen gesamtgesellschaftlich öffentlich rechtfertigen.
       
       Gegen diesen Rechtfertigungsdruck aus der Mitte der Gesellschaft versucht
       sich das gesamte „patriotische“ Milieu zu stemmen, mitunter auch mit
       Verschwörungsnarrativen. Der Vorsitzende der niedersächsischen
       AfD-Landtagsfraktion, Stefan Marzischewski, spricht von einer „fehlerhaften
       Berichterstattung über ein privates Treffen“ und redet von einer
       „exzessiven Diffamierungskampagne“.
       
       Dirk Nockemann, AfD-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft, geht von
       einer „politmedialen Hetze“ der SPD aus, es handele sich gar um eine
       „historische Desinformation“. In einer Bürgerstunde der Hamburger
       AfD-Fraktion war jüngst der Jurist und CDUler Ulrich Vosgerau zu Gast, der
       auch am Potsdamer Treffen teilnahm. Auch er versuchte das [2][Thema
       abzuschwächen]. Vosgerau schrieb schon in der neu-rechten Jungen Freiheit,
       dass Sellner nur ein „umstrittener Schriftsteller“ sei, der bloß sein Buch
       vorgestellt habe.
       
       Diesen diskursiven Konflikt strebt die selbsternannte „Neue Rechte“ schon
       seit Jahrzehnten an. Im vorpolitischen Raum sollen Themen und Termini
       gesetzt werden, um im politischen Raum Einfluss und Macht zu gewinnen.
       Einen der ersten Versuche startete 1964 Lothar Penz in Hamburg. Mit dem
       Arbeitskreis „Junges Forum“, der auch eine Publikation mit dem selben Namen
       verantwortete, sollte „die theoretische Basis eines neuen Denkgebäudes“
       geschaffen werden.
       
       ## „Ethnopluralismus“ bedeutet „Ausländer raus“
       
       Der „intellektuelle Führungskreis“ des Forums wusste, dass es geboten war,
       mit einer modifizierten Argumentation und moderater Rhetorik aufzutreten,
       um politische Positionen thematisieren und etablieren zu können. Aus diesem
       Kreis kommt auch der Historiker und Publizist Hennig Eichberg, der den
       Begriff des [3][„Ethnopluralismus“] prägte und damit eine bis heute gültige
       Argumentationsbasis entwarf, ohne die letztlich die „Remigration“-Vision
       nicht zu denken ist.
       
       Warum Rechte nicht von Rückführungen oder Deportationen sprechen, zeigt
       dieses Konzept auf: Der Ethnopluralismus geht von Ethnien aus, die
       historisch zu einer homogenen Gemeinschaft gewachsen sind, mit einer
       eigenständigen Identität und Kultur, die es zu bewahren gelte.
       
       Die Argumentation klingt freundlich, doch schon die Prämisse, dass sich
       Ethnien eigenständig und ohne Einfluss von anderen Ethnien entwickelten,
       ist falsch. Die zugrundeliegende Botschaft, dass Ethnien vor fremden
       Einflüssen geschützt werden müssten, ist letztlich radikal. Sie bedeutet
       nichts anders als: Ausländer raus, Deportation, Remigration. In seinem Text
       „Strategie der Sammlung“ hebt Sellner selbst hervor, dass ein „homogenes
       ‚deutsches‘ Deutschland“ nicht aufgegeben werden sollte.
       
       Ist es diesem Milieu 2024 gelungen, nach über 60 Jahren mit der Vision der
       „Remigration“, die ohne Ethnopluralismus nicht greift, die
       gesellschaftliche Mitte zu beeinflussen? In der Zeitschrift Sezession
       versucht [4][Martin Sellner] nun, die laufende Debatte als Erfolg zu
       feiern. Und das, obwohl die AfD leicht bei Umfragen verliert. Er schreibt:
       „Das strategische Ziel der Normalisierung durch anschlussfähige Provokation
       besagt auch, dass man unter Umständen für eine langfristige metapolitische
       'Gebietseroberung’ temporär Verluste an Stimmen und Popularität hinnehmen
       muss.“ „Verschreckte Wechselwähler“ kämen später zurück.
       
       8 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Unwort-des-Jahres-ist-Remigration/!5985316
   DIR [2] /Reaktionen-auf-Remigrations-Treffen/!5986406
   DIR [3] /Rechtsextremes-Geheimtreffen/!5984115
   DIR [4] /Martin-Sellner/!t5584106
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Der rechte Rand
   DIR Schwerpunkt Demos gegen rechts
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Martin Sellner
   DIR Martin Sellner
   DIR Kolumne Der rechte Rand
   DIR Martin Sellner
   DIR Schwerpunkt Demos gegen rechts
   DIR Compact
   DIR Schwerpunkt Demos gegen rechts
   DIR Schwerpunkt Demos gegen rechts
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neonazi-Vortrag in Berlin-Wilmersdorf: Sellner bleibt nicht ungestört
       
       Rund 100 Demonstrierende protestierten vor einem Restaurant in Wilmersdorf
       gegen eine Veranstaltung mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner.
       
   DIR Schleswig-Holsteins AfD vernetzt sich: Allianz mit rechten Medienmachern
       
       Die AfD Schleswig-Holstein trifft sich am 20. Juli mit rechtsextremen
       Publizisten. Das Ziel ist, den vorpolitischen Raum weltanschaulich zu
       besetzen.
       
   DIR Martin Sellner auf „profil“-Cover: Völlig falscher Fokus
       
       Das österreichische Nachrichtenmagazin „profil“ packt Martin Sellner auf
       den Titel. Eine gute Begründung dafür liefert die Redaktion allerdings
       nicht.
       
   DIR Umgang mit der AfD: Wir können so nicht weitermachen
       
       Fakten gehen nicht so leicht viral, die Framings und Verdrehungen von AfD
       und Co hingegen schon. Es ist Zeit für ein Umdenken.
       
   DIR Ludwig und Press & Book kicken „Compact“: Weniger Brauntöne im Bahnhof
       
       Das rechtsextreme Magazin „Compact“ verschwindet aus dem
       Bahnhofsbuchhandel. Ein Eingriff in die Pressefreiheit, um die
       Pressefreiheit zu schützen.
       
   DIR Abschiebepläne der AfD: Nichts ist normal
       
       Es habe auch schon früher Pläne gegeben, Migrant:innen massenhaft
       auszuweisen, sagen manche. Damit normalisiert man einen rechtsextremen
       Diskurs.
       
   DIR Drittes Demo-Wochenende gegen rechts: 100.000-mal Protest am Sonntag
       
       Am Sonntag sind mehr als 100.000 Menschen in fast 70 Orten für ein buntes
       Deutschland auf die Straße gegangen. Seit Freitag waren es mehr als
       600.000.