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       # taz.de -- Mutmaßliche Gruppenvergewaltigung: Der Frau ist erstmal zu glauben
       
       > Im Görli-Prozess zeigt ein Video wohl einvernehmlichen Sex. Doch es wäre
       > falsch, die Aussage des mutmaßlichen Opfers nun komplett anzuzweifeln.
       
   IMG Bild: Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: Eine Gerichtsverhandlung soll klären, was der Zeugin in einer Juninacht dort zugestoßen ist
       
       Es ließ wohl niemanden kalt, als im vergangenen Sommer bekannt wurde, dass
       eine Frau im Görlitzer Park in Kreuzberg mehrfach vergewaltigt worden sein
       soll. Von einer ganzen Gruppe Schwarzer Männer und im Beisein ihres
       Ehemanns, hieß es. Letzterer wiederum soll mit Stöcken und Schlägen daran
       gehindert worden sein, seiner Frau zu Hilfe zu kommen. Der Fall brachte
       eine Debatte ins Rollen: über sexuelle Gewalt, über Parks als Angsträume
       für Frauen. Über Sicherheit und die Frage, inwieweit ein Zaun rund um den
       Görli diese herstellen kann – oder auch nicht.
       
       Nun sind innerhalb weniger Verhandlungstage grundlegende Vorwürfe der
       Staatsanwaltschaft gegen die mutmaßlichen Täter zerbröselt. Die Verteidiger
       haben ein Video als Beweis vorgelegt. Eine Anklage wegen besonders schwerer
       Vergewaltigung scheint zumindest gegen einen der Tatverdächtigen kaum noch
       haltbar. Denn das Video zeigt wohl deutlich sexuelle Handlungen, aber
       ebenso deutlich, dass diese einvernehmlich sind. Auch [1][er habe
       einvernehmlichen Sex] mit der Frau gehabt, auf Bitte ihres Ehemanns, und
       nachdem er sich mehrmals versichert habe, dass sie es wolle, sagt der
       Angeklagte D.
       
       Das Video, dass ein Verteidiger [2][als „Wende“ im Prozess] sieht, stammt
       von D.s Handy. Und dass es erst zu Prozessbeginn auftauchte, liegt daran,
       dass weder Polizei noch Staatsanwaltschaft das Handy vorher untersucht
       haben. Die Justiz-Mitarbeiter*innen hatten es D. abgenommen, als er in
       Untersuchungshaft kam. Dort lag es mit seinen anderen persönlichen Dingen.
       D. selbst hatte lange gedacht, dass er das Video direkt gelöscht hatte.
       
       Hat die Polizei wichtige Beweise bei ihren Ermittlungen übersehen? Und hat
       die Staatsanwaltschaft ihre Anklage auf wacklige Füße gestellt? Sie hatte
       sich in erster Linie auf DNA-Treffer verlassen. Denn von allen drei
       Angeklagten waren Spermaspuren gefunden worden. Unstimmigkeiten in den
       Aussagen des Ehepaars blieben dabei unbeachtet: Diese hatten etwa gesagt,
       dass sie wegen der Dunkelheit niemanden erkennen konnten. Doch zur
       angegebenen Tatzeit war es am 21. Juni bereits taghell.
       
       ## Passt ins Vorurteil
       
       Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Darstellung der Zeug*innen
       einfach [3][zu gut in verbreitete Vorurteile] passte: In Vorstellungen von
       Schwarzen Männern als Tätern, und von einer weißen Frau als Opfer. Von
       wohnungslosen Dealern auf der einen Seite und einem Ehepaar mit Kindern auf
       der anderen. In das Muster von einem Aufschrei, wenn Nicht-Deutsche
       tatverdächtig sind, und von der allgemeinen Weigerung, sich grundsätzlich
       mit den Strukturen sexualisierter Gewalt zu befassen.
       
       Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien bekam der Fall zu
       Recht: Dass Frauen in Parks von Männergruppen vergewaltigt werden, ist eher
       eine Ausnahme. Ein Großteil sexualisierter Gewalt, ein Großteil aller
       Vergewaltigungen findet in privaten, vermeintlich geschützten Räumen statt,
       etwa der eigenen Wohnung. Doch auch die Behörden hätten dem Fall ihre ganze
       Aufmerksamkeit widmen müssen. Denn möglicherweise sitzen gerade Menschen zu
       Unrecht in Untersuchungshaft.
       
       Aufmerksamkeit in diesem Fall verdient aber [4][weiterhin die Aussage des
       mutmaßlichen Opfers]. Sie sei vergewaltigt worden, soll die Frau den
       Polizist*innen gesagt, die in der Tatnacht zum Görli kamen. Ein
       Anwohner hatte die Polizei gerufen, nachdem er Hilfeschreie aus dem Park
       gehört hatte. Nach Informationen der taz sollen es dezidiert auch Schreie
       einer Frau gewesen sein, und sie soll laut „help me“ gerufen haben.
       
       Ihr muss unbedingt zugehört und erst einmal auch geglaubt werden. Denn auch
       das ist ein Vorurteil: dass Frauen lügen und Vergewaltigungen erfinden.
       Sexuelle Kontakte, die im Einvernehmen beginnen, [5][können in Gewalt
       enden]. Wer nun direkt die Glaubwürdigkeit der Frau komplett in Zweifel
       zieht, droht auf [6][die nächste vorschnelle Erklärung] hereinzufallen.
       
       27 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Vorurteile
   DIR Vergewaltigung
   DIR Sexualisierte Gewalt
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