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       # taz.de -- Politische Wende in Guatemala: Die Staatsanwältin soll weg
       
       > Guatemalas neuer Präsident Arévalo will das Land verändern – dazu muss er
       > das Justizsystem umbauen. An dessen Spitze steht eine Staatsanwältin.
       
   IMG Bild: Maria Consuelo Porras Argueta, Guatemalas Generalstaatsanwältin, bei ihrer Vereidigung 2018 soll gehen
       
       Guatemala-Stadt taz | [1][Bernardo Arévalo], der neue Staatschef
       Guatemalas, will keine Zeit verlieren, um zu initiieren wofür er gewählt
       wurde: den größten Reformprozess in Guatemalas jüngerer Geschichte. Die
       erste handfeste Herausforderung ist der Umbau des Justizsystems: von einer
       [2][willfährigen Justiz] im Auftrag der zahlungskräftigen Kreise des Landes
       zu einer kalkulierbaren, unabhängigen und fairen Justiz.
       
       Dafür – daran herrscht in Guatemala kein Zweifel – muss diese Frau weichen:
       María Consuelo Porras. Seit gut sechs Jahren gibt die 70-jährige
       Generalstaatsanwältin den Kurs der guatemaltekischen Justiz vor und hat
       Rechtsgrundsätze auf den Kopf gestellt: Ihr Zitat, dass jeder und jede, die
       oder der angeklagt sei, schließlich ihre Unschuld nachweisen könne, hat
       nicht nur in Guatemala Schlagzeilen gemacht. Warum? Weil der lapidare Satz
       den Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung auf den Kopf stellt.
       
       An diesem Mittwoch hätte Porras vor Arévalos Kabinett erscheinen und
       Rechenschaft ablegen sollen – sie tauchte schlicht nicht auf. Eine etwas
       drängendere Einladung hat sie nunmehr für den 29. Januar.
       
       Arévalo hat sich mehrere Fälle herausgesucht, denen er nachgehen will,
       darunter jenen der Festnahme und Inhaftierung des prominenten Journalisten
       [3][José Rubén Zamora], aber auch jene von Claudia González und Virginia
       Laparra. Beide sind prominente Jurist:innen, die sich verantworten mussten,
       weil sie sich engagiert hatten.
       
       ## Erzkatholisch, erzkonservativ, und an den Schalthebeln
       
       Laparra hatte eine korrupten Richter angezeigt und wurde daraufhin wegen
       Amtsanmaßung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Schon das Urteil
       war ein Skandal, aber obwohl es zur Bewährung ausgesetzt wurde, musste die
       dritthöchste Justizangestellte des guatemaltekischen Staates 18 Monate in
       Isolationshaft. Die verantwortliche Richterin witterte Verdunkelungsgefahr.
       
       Die Richterin steht laut Experten wie Jorge Santos, Direktor der
       Menschenrechtsorganisation Udefegua, auf der Lohnliste des „Paktes der
       Korrupten“. Sie ist nur ein Beispiel für Dutzende von Richter:innen und
       Staatsanwältinnen, oft in Schlüsselpositionen, die ihre Unabhängigkeit
       gegen ein pralles Bankkonto eintauschten. Sie stellen zwar bei weitem nicht
       die Mehrheit des Justizpersonals, aber sie sitzen oft an Positionen, wo sie
       Druck auf andere ausüben können.
       
       María Consuelo Porras, erzkatholisch und erzkonservativ, ist dafür nur das
       prominenteste Beispiel. Sie hat sich mit einer Riege von
       Staatsanwält:innen und Richter:innen umgeben, die das Gleichgewicht
       im guatemaltekischen Justizapparat haben kippen lassen: „aus dem noch 2019
       leidlich unabhängigen wurde ein instrumentalisiertes Justizsystem“, sagt
       Claudia González.
       
       González war Mitarbeiterin der UN-Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG),
       die 2019 aus dem Land geworfen wurde. Sie ist überzeugt, dass sie,
       Staatsanwältin Laparra oder Richter wie Miguel Àngel Gálvez nur deshalb
       sanktioniert wurden, weil sie den mächtigen Familien des Landes zu nahe
       getreten sind. „Wir haben die Unantastbaren antastbar erscheinen lassen.
       Das ist unser Vergehen“, sagt die zierliche Frau. Dafür saß Claudia
       González 81 Tage im Gefängnis, bis ein Richter diese Justiz-Posse ohne
       tragfähiges Fundament beendete.
       
       ## Möglichst schnell die Posten neu besetzen
       
       Bei Virginia Laparra dauerte es über 600 Tage, bis die 44-jährige
       Staatsanwältin aus der Isolationshaft befreit wurde. Miguel Ángel Gálvez
       ging hingegen über Berlin ins costa-ricanische Exil, um seiner
       Kriminalisierung zu entgehen. Die Namen der drei gehören zu denen, die
       immer wieder genannt werden, wenn es um die Reformierung und
       Neustrukturierung der Justiz in den nächsten Monaten und Jahren geht. Um
       die zu ermöglichen, muss die von den USA als hochkorrupt,
       demokratiefeindlich und unerwünscht deklarierte Porras aus der
       Schaltzentrale der Justiz verschwinden.
       
       Das ist nur der Auftakt. „Danach müssen die höchsten Gerichte neu besetzt
       werden: mit glaubwürdigen und ehrlichen Juristen“, so González. Die Wahlen
       zu deren Besetzung stehen turnusmäßig im April und Mai an – ihre
       transparente Durchführung könnte die Strukturen im Justizsystem innerhalb
       von kürzester Zeit korrigieren.
       
       „Das hätte in Guatemala Signalcharakter und wäre ein Auftakt nach Maß für
       die neue Regierung“, so die 56-jährige Juristin. Sie selbst würde nur zu
       gern ihren Teil dazu beitragen Guatemalas Justiz neu aufzubauen. Doch
       vorher muss sie den eigenen Prozess gegen die Generalstaatsanwaltschaft
       gewinnen: bis auf weiteres dirigiert von María Consuelo Porras.
       
       27 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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