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       # taz.de -- Aktivist über Demos im ländlichen Raum: „Die Lage ist verdammt brenzlig“
       
       > Die Proteste in der Provinz dürfen nicht vergessen werden, sagt Aktivist
       > Jakob Springfeld. Antifa-Initiativen seien dort häufig in der Defensive.
       
   IMG Bild: Abwehrschirme gegen die AfD: Demo in Marktoberdorf in Bayern am 26. Januar
       
       taz: Herr Springfeld, über 100.000 gingen in München und Berlin gegen die
       AfD auf die Straße. Dennoch fordern Sie immer wieder, den Blick auf die
       vergleichsweise kleinen Proteste in der Provinz zu werfen. Warum? 
       
       Jakob Springfeld: Viele hatten vor den Protesten die Hoffnung verloren, den
       Aufstieg der AfD aufhalten zu können. Vor dem ersten großen
       Protestwochenende waren die Zweifel groß, dass mit vier Tagen Vorlauf
       überhaupt jemand zu einem Protest kommt. Dann standen etwa in Döbeln doch
       mehrere 100 Leute auf der Straße. Es ist nicht gesagt, dass die
       Massenproteste die AfD aufhalten können. Aber die Menschen haben zumindest
       wieder Hoffnung, dass sie noch was reißen können.
       
       Dieses Wochenende fanden in Sachsen viele Proteste genau an den kleineren
       Orten statt. Warum fällt es den Menschen dort schwerer, auf die Straße zu
       gehen? 
       
       An vielen Orten im ländlichen Raum herrschen rechte Hegemonien. Gerade an
       Schulen sind viele Kids rechts. Es wird dort als cool gesehen, rechts zu
       sein oder AfD zu wählen. Zivilgesellschaftliche, antifaschistische
       Initiativen sind dort häufig schon in der defensiven Position. Sich dort
       auf den Marktplatz zu stellen, ist erheblich schwieriger, als das in
       Dresden oder Leipzig zu tun. Deshalb stellt sich gerade in der Provinz die
       Frage, wie Proteste aufrechterhalten bleiben können.
       
       Inwiefern? 
       
       Wenn, wie zuletzt in einer Stadt wie Görlitz Hunderte protestieren, können
       Neonazis schwerer einzelne Personen zum Ziel machen. Geht es allerdings
       darum, regelmäßig zu protestieren, wird es auch Tage geben, an denen nur 60
       Leute auf der Straße stehen. Da sieht das alles deutlich schwieriger aus.
       
       Was könnte helfen? 
       
       Gerade hat sich die solidarische Vernetzung Sachsen gegründet. Damit sollen
       vor allem die Menschen in den kleinen Orten mit dem, was sie tun, aus
       großen Städten wie Dresden unterstützt werden.
       
       Wie sieht eine [1][solche Unterstützung] idealerweise aus? 
       
       Wir müssen den Menschen vor Ort und ihren Sorgen zuhören und sie nicht mit
       allem, was man machen kann, überfluten. Aktuell versuchen wir, aus allen
       möglichen Orten ein bis zwei Delegierte zu finden, die auf gleicher Ebene
       in einem Plenum sachsenweit darüber sprechen, wie sie unterstützt werden
       wollen. Noch sind wir sehr lose vernetzt und planen bald ein Treffen für
       eine langfristige Strategie. Bisher haben wir vor allem dabei geholfen,
       Pressemitteilungen oder Aufrufe zu erstellen. Aber wir konnten auch größere
       Anreisen aus Leipzig nach Döbeln organisieren, wo sich extrem rechte
       Akteur*innen zu einem Gegenprotest angekündigt hatten. Zum Glück standen
       von denen letzten Endes nur 20 Leute da.
       
       Sie sind selbst in Zwickau geboren und machen seit Ihrer Jugend
       antifaschistische Arbeit vor Ort. Sehen Sie durch die Proteste gerade einen
       Stimmungswandel? 
       
       Es ist ein Stück weit zu früh, das abzuschätzen. Zivilgesellschaft,
       Antifaschist*innen und von Diskriminierung betroffene Menschen warnen
       seit Jahren vor dem, was jetzt passiert. Ein Blick nach 2022: Da kam Björn
       Höcke nach Zwickau. Kurz zuvor hatte sich Gegenprotest organisiert, zu dem
       tatsächlich über tausend Leute kamen. Das ist für Zwickau echt viel. Doch
       es blieb eine Leuchtturmaktion. Das politische Klima in Zwickau hat sich
       nicht verändert. Kurz darauf demonstrierten die Freien Sachsen gemeinsam
       mit der AfD in zig Demos vor Geflüchtetenunterkünften, bei denen sie ganz
       offen über Abschiebungen und ihre Vorstellungen von dem, was sie
       Remigration nennen, gesprochen haben. Das hat niemanden interessiert. Nur
       einen solidarischen Gegenprotest gab es mit 20 Leuten. Es ist schön, dass
       der Ruck jetzt kommt, das will ich gar nicht kleinreden. Aber es kommt
       darauf an, was wir jetzt machen und ob wir die Menschen in die
       antifaschistischen Initiativen reinholen.
       
       Was müssten solche Initiativen aus Ihrer Sicht nun leisten? 
       
       Wir müssen gegen die AfD auf die Straße gehen, aber auch gegen soziale
       Ungleichheit. Wenn jeden Montag Faschos auf der Straße sind und keine
       antifaschistischen oder demokratischen Kräfte, die auch mal Kritik gegen
       Ampel und CDU auf die Straße tragen, dann rennen Menschen mit berechtigten
       Sorgen leider häufig in die Arme von extrem Rechten. Auch wenn diese Ängste
       keine Legitimation sind. Ganz konkret ist dazu auch ein Ansatz, mehr
       niederschwellige, solidarische Gemeinschaftsangebote anzubieten. Diese
       Arbeit haben zu sehr Rechte in Kiezen, vor den Schulen, in den sogenannten
       Brennpunktvierteln abgegriffen. Zum Beispiel der Dritte Weg, der im Winter
       Kleidung und so weiter verteilt. Von antifaschistischer Seite fand das in
       der Vergangenheit zu wenig statt. Kurz: Es braucht eine solidarische,
       kapitalismuskritische, antikapitalistische Alternative von links.
       
       Stärkster Konkurrent zur AfD, auf die viele im konservativen Sachsen
       setzen, ist die CDU. Vorigen Sonntag sprach auch Sachsens Ministerpräsident
       Michael Kretschmer (CDU) auf einer Demonstration in Görlitz. Was bedeutet
       das für die [2][antifaschistische Bündnisbildung?] 
       
       Bei dem Thema bin ich selbst immer wieder hin- und hergerissen. Primär
       sollten wir eine außerparlamentarische Alternative aufbauen. Rein
       idealistisch finde ich Kretschmers geflüchtetenfeindlichen Kurs falsch.
       Gleichzeitig demonstriert er in Görlitz gegen die AfD. Aber dort ist die
       Lage auch verdammt brenzlig. Für die Leute vor Ort bedeutet das viel, wenn
       sich ein Politiker mit Einfluss hinter sie stellt. In Görlitz oder in
       Bautzen oder Zittau sind selbst die wenigen CDUler, die eine demokratische
       Haltung einnehmen und die AfD kritisieren, von Anfeindungen betroffen.
       
       Was heißt das mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen in Sachsen,
       Thüringen und Brandenburg im September? 
       
       Hauptsache demokratisch – in dem Sinne entstehen gerade viele Bündnisse.
       Ich verstehe das, weil man sonst in vielen Orten womöglich ganz allein
       dastünde. Aber ich frage mich auf kommunaler Ebene oder auf Landesebene,
       was das wirklich heißt. Schon heute arbeiten AfD, FDP und CDU in vielen
       Kommunen zusammen. Egal, was wir zu den Wahlen machen. Wir werden von
       zivilgesellschaftlicher Seite nicht verhindern können, dass viele Leute die
       AfD wählen werden.
       
       Das klingt sehr düster. 
       
       Die Bedingungen sind jetzt schon an vielen Orten schwierig. Wir sollten auf
       eine AfD gefasst sein und uns vorbereiten, damit ein Wahlsieg nicht direkt
       ein Ende der Zivilgesellschaft und antifaschistischer Strukturen bedeuten
       müsste. Das heißt zum Beispiel, die Finanzierung von Jugendzentren und
       Demokratieprojekte unabhängig von der Landesebene durch Crowdfunding und
       Genossenschaftsaktionen zu sichern. Unser Hauptziel sollte nicht nur darin
       liegen, die Prozente der AfD runterzudrücken, sondern auch eigene Utopien
       und Zukunftsvorstellungen voranzustellen. Damit wir auch am Wahltag in
       Sachsen, sollte der nicht so gut werden, Zukunftsvorstellungen haben, für
       die es sich weiterhin lohnt zu kämpfen.
       
       28 Jan 2024
       
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