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       # taz.de -- Landratswahl in Thüringen: AfD verliert im Saale-Orla-Kreis
       
       > CDU-Kandidat Herrgott setzt sich bei der Wahl im Saale-Orla-Kreis knapp
       > durch. Zeigen die bundesweiten Demos gegen Rechtsextremismus einen ersten
       > Effekt?
       
   IMG Bild: Die bundesweiten Proteste könnten den Wahlausgang im Saale-Orla-Kreis beeinflusst haben
       
       Berlin taz | Bis zum Ende war es knapp bei der Landratswahl im
       Saale-Orla-Kreis: Als am Sonntag um 18 Uhr die Auszählung begann, ging
       zunächst Uwe Thrum, der AfD-Kandidat, in Führung. Im ersten Wahlgang vor
       zwei Wochen war das schon einmal so gewesen, da hatte Thrum den höchsten
       Stimmenanteil in dem ostthüringischen Landkreis bekommen: 45,7 Prozent.
       Aber weil letztlich weniger als die Hälfte der Wähler:innen für ihn
       stimmte, war am Sonntag nun eine Stichwahl nötig. Und da zog Christian
       Herrgott von der CDU kurz nach Auszählungsbeginn am frühen Abend erst
       gleich – und dann an Thrum vorbei. Herrgott gewann schließlich mit 52,4
       Prozent. Ein Vorsprung von exakt 2.170 Stimmen.
       
       Seine Partei sei „heute in einem sehr engen Rennen“ gut in das
       Superwahljahr für Thüringen gestartet, sagte Herrgott danach. Im Mai stehen
       weitere Kommunalwahlen in Thüringen an, im Juni die Europawahl und im
       September dann die Landtagswahl. In Umfragen führt die AfD in Thüringen mit
       mehr als 30 Prozent.
       
       Bei seiner kurzen Ansprache am Sonntag klang Herrgott, seit 2020
       Generalsekretär der CDU in Thüringen, wie immer: nüchtern. Zu seiner Linken
       freute sich derweil der CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt: „Gemeinsam im
       Bündnis mit den Bürgern haben wir die Kraft, die angebliche Alternative von
       Höcke zu schlagen.“
       
       Nach dem ersten Wahlgang hatten demokratischen Parteien und zivile
       Bündnisse gemeinsam für den CDU-Kandidaten geworben – oder zumindest hatten
       sie gemeinsam gegen die AfD mobilisiert. Offensichtlich reichte das. Und
       lag es womöglich auch an der Anti-AfD-Stimmung, an der [1][bundesweiten
       Protestwelle gegen Rechtsextremismus], die dieser Tage weiter anhält?
       
       ## Hohes Durchschnittsalter, niedrige Löhne
       
       Das Ergebnis im Saale-Orla-Kreis gilt vielen Beobachtern als Stimmungstest
       im Wahljahr 2024. Der Kreis kämpft mit den gleichen Problemen wie andere
       Regionen in Thüringen, etwa mit dem demografischen Wandel. Die Hälfte der
       79.000 Einwohner:innen ist älter als 50 Jahre, die meisten wohnen in
       kleinen Orten mit schlechter ÖPNV-Anbindung und in Sorge um die
       flächendeckende Gesundheitsversorgung.
       
       Allerdings sind die Löhne im Saale-Orla-Kreis besonders niedrig:
       Arbeitnehmer:innen in allen anderen Kreisen Thüringens verdienen mehr.
       Deutschlandweit ist der durchschnittliche Bruttolohn im Saale-Orla-Kreis am
       niedrigsten. Bei der Landtagswahl 2019 und der Bundestagswahl 2021 gewannen
       AfD-Kandidaten Direktmandate. Die Szene der Reichsbürger:innen ist sehr
       stark, vertreten etwa durch die Gruppe „Freies Thüringen“, die auch
       gemeinsam mit der AfD auftritt.
       
       Obwohl Christian Herrgott direkt nach dem ersten Wahlgang Unterstützung von
       der SPD bekam und auch die Linke sich zumindest gegen Thrum engagierte, war
       extrem unklar, wie viel Zuspruch Herrgott von linken Wähler:innen zu
       erwarten hatte. Im [2][Wahlkampf warb der CDU-Kandidat] unter anderem mit
       „Bürgergeld abschaffen. Konsequent abschieben. Windkraft im Wald
       verhindern“.
       
       Auch wenn die Themen wenig mit dem politischen Gestaltungsspielraum eines
       Landrats zu tun haben, dürfte das einigen sauer aufgestiegen sein. Der
       ausgeschiedene Kandidat der Linken, Ralf Kalich, versuchte seine
       Wähler:innen dennoch von Herrgott zu überzeugen, indem er ihnen sagte:
       „Ihr stimmt nicht für die CDU, ihr stimmt gegen die AfD.“
       
       ## Wahlbeteiligung gestiegen, breite Bündnisse
       
       Zudem mobilisierten zivile Bündnisse zur Wahl – wie im vergangenen
       September schon in [3][Nordhausen, als die AfD in der Stichwahl um den
       Oberbürgermeister]posten verlor. Die AfD und ihr Kandidat Thrum befeuerten
       „eine gesellschaftliche Stimmung von Ausgrenzung, Menschenhass und
       Populismus“, schrieb etwa in einem [4][Aufruf das Bündnis „Dorfliebe für
       alle“].
       
       Laut Ann-Sophie Bohm, Landessprecherin der Thüringer Grünen, haben die
       Bündnisse entscheidend zum Sieg von Herrgott beigetragen. Dass Herrgotts
       CDU sich den Erfolg zuschreiben könne, weil er harte Positionen vertreten
       habe, glaubt sie nicht: „Dieser Erfolg beruht nicht darauf, als Kopie der
       AfD anzutreten.“
       
       Auch das Ergebnis legt nahe, dass die Überzeugungsarbeit unter den linken
       Wähler:innen tatsächlich geholfen haben könnte, die nötigen Stimmen in
       der Stichwahl zu mobilisieren. Rechnet man die Ergebnisse von CDU, SPD und
       der Linken aus dem ersten Wahlgang zusammen, ergeben sie etwa 23.341
       Stimmen. Christian Herrgott bekam im zweiten Wahlgang 23.534 Stimmen. Uwe
       Thrum gewann rund 1.700 weitere Stimmen hinzu und erhielt zum Schluss
       21.364 Stimmen.
       
       Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sagt, dass Herrgott im
       zweiten Wahlgang aufholen konnte, „kann man als ersten Effekt der
       bundesweiten Demonstrationen sehen“. Nachdem das [5][Recherchebüro
       Correctiv über ein geheimes Treffen der AfD] und Deportationspläne für
       deutsche Staatsbürger:innen mit Migrationshintergrund berichtet hat,
       protestieren derzeit Hunderttausende Menschen in Deutschland gegen die
       Partei und gegen Rechtsextremismus.
       
       Brodocz hebt auch die Wahlbeteiligung im Saale-Orla-Kreis hervor: Schon in
       der ersten Runde vor zwei Wochen war die Beteiligung mit 65,5 Prozent für
       eine Kommunalwahl überdurchschnittlich hoch. In der Stichwahl waren es nun
       68,6 Prozent. Zum Vergleich: Bei der letzten Wahl vor sechs Jahren stimmten
       33 Prozent der Berechtigten ab.
       
       Hohe Wahlbeteiligung, anhaltende Proteste und lokale politische Bündnisse:
       Fördert die Polarisierung um die AfD die Demokratie in Deutschland? Die
       Grünen teilen mit, sie konnten „seit Anfang Januar über 2.600 Eintritte in
       unsere Partei verzeichnen“, wie die politische Bundesgeschäftsführerin der
       Partei, Emily Büning, der dpa sagte. „Im Vergleich zu durchschnittlich
       knapp 700 Eintritten pro Monat im Jahr 2023 ist dies eine Rekordzahl.“
       Ähnlich hohe Zahlen habe es zuletzt im Bundestagswahlkampf 2021 gegeben.
       
       ## Mitgliederzuwachs bei der AfD
       
       Von einem ähnlichen Zuwachs berichtet allerdings auch die AfD. Wie die AfD
       der taz bestätigte, traten allein seit der Veröffentlichung von
       Correctiv1.900 Mitglieder der Partei bei. Profitieren also nicht nur die
       demokratischen Kräfte, sondern nutzt auch der AfD die aufgeheizte Stimmung
       derzeit?
       
       Björn Höcke, Landesvorsitzender der AfD in Thüringen und das Gesicht der
       Faschisten in der Partei, sagte noch am Wahlabend, es habe „die
       gegnerischen Kräfte des ganzen Landes“ gebraucht, um das Blatt gegen den
       AfD-Kandidaten Thrum zu wenden. Höcke versuchte also, die Niederlage Thrums
       doch noch in eine Erzählung der Stärke der AfD umzumünzen.
       
       Christian Herrgott organisiert als Landrat nun ab Anfang Februar die
       Verwaltung, repräsentiert den Kreis nach außen. „Ich möchte ein Landrat für
       alle Menschen in diesem Landkreis sein“, betonte Herrgott, ob sie ihn
       gewählt hätten oder nicht.
       
       29 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR David Muschenich
       
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